Wasserstoff-Boom eröffnet dem Maschinen- und Anlagenbau große Wachstumschancen

München Der Aufschwung der Wasserstoffwirtschaft im Zuge der Energiewende bietet dem deutschen Maschinen- und Anlagenbau vielfältige Wachstumschancen. Bis zum Jahr 2030 wird die Wertschöpfung für Ausrüstung allein in Europa kumuliert 350 Milliarden Euro erreichen – zu diesem Ergebnis kommt die Strategieberatung Oliver Wyman. Dazu tragen auch die nationalen Wasserstoff-Strategien der Regierungen bei, die in vielen Ländern bereits beschlossen oder in Arbeit sind. Profitieren werden vor allem Maschinen- und Anlagenbauer sowie Komponentenhersteller, die ihr Produktportfolio anpassen, in branchenübergreifenden Konsortien kooperieren und die nötigen Fähigkeiten aufbauen.

Stahlkochen ohne Klimafolgen – Wasserstoff macht es möglich. Das klimaneutral erzeugte Gas soll in der Industrie fossile Brennstoffe ersetzen und so die CO2-Bilanz selbst in Hochöfen künftig ins Gleichgewicht bringen. Dabei eröffnet sich dem Maschinen- und Anlagenbau ein höchst lukrativer neuer Markt. Auf zusammengerechnet 350 Milliarden Euro taxiert die Strategieberatung Oliver Wyman das Volumen der Ausrüstung für die Erzeugung, Nutzung und den Transport von Wasserstoff bis zum Jahr 2030 in Europa, wovon bis zu 200 Milliarden Euro auf den klassischen Maschinen- und Anlagenbau entfallen. „Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau kann dank seiner hohen Technologiekompetenz enorm vom Wasserstoff-Boom profitieren“, sagt Daniel Kronenwett, Partner bei Oliver Wyman und Autor der Studie. „Dazu allerdings müssen die Unternehmen jetzt die Weichen stellen und ihre strategische Position definieren.“

Abwarten kann für Maschinen- und Anlagenbauer wie Komponentenhersteller gefährlich sein – denn schon jetzt formen sich branchenübergreifend Allianzen, die den Weg in die Wasserstoff­wirtschaft ebnen. So haben sich unter anderem der Stahlhersteller Salzgitter, der Gasekonzern Linde und der regionale Versorger Avacon zusammengeschlossen – mit Unterstützung von Siemens Energy und dem Windkraftanlagen-Hersteller Vestas als Technologie-Provider – um die Versorgung mit grünem Wasserstoff zu fördern. „In den nächsten zehn bis 20 Jahren wird der Umbau hin zu Wasserstofftechnologien insbesondere über Konsortien und Partnerschaften vorangetrieben“, erläutert Kronenwett. „Um sich hier einzuklinken, müssen Maschinen- und Anlagenbauer rasch umsteuern, gerade wenn sie derzeit zum Beispiel an CO2-intensive Industrien wie die Öl- und Gasindustrie liefern.“ Weiterer Vorteil: „Wer sich an Kooperationen beteiligt, umgeht die Risiken von teuren Alleingängen mit ungewissem Ausgang.“

Wasserstoff als Job-Motor

Um die steigende Nachfrage der Wasserstoffwirtschaft zu bedienen, gilt es für den Maschinen- und Anlagenbau, zügig noch mehr Know-how aufzubauen. Laut Studie können bis 2030 rund um die klimafreundliche Wasserstoffwirtschaft bis zu eine Million neuer Jobs in Europa entstehen – davon mehrere Hunderttausend allein im Maschinen- und Anlagenbau. „Es wird eine Herkulesaufgabe sein, diese zu besetzen“, sagt Kronenwett. „Denn die Kompetenz fällt nicht vom Himmel. Sowohl Fach-Expertise als auch Transformations-Expertise müssen zügig geschaffen werden.“ Die Anforderungen an Fachkräfte werden sich grundlegend wandeln. Während im Bereich „schmutziger“ Technologien, etwa bei der Herstellung von Verbrennungsmotoren, in Kohlekraftwerken oder Öl- und Gasanlagen, Jobs wegfallen, wird die Nachfrage nach qualifiziertem Personal in der Entwicklung und Herstellung, Installation sowie im Aftermarket-Service „grüner” Technologien steigen. Besonders gefragt sind Fachkräfte im Bereich Verfahrenstechnik oder Elektrochemie.

Als „grün“ gilt Wasserstoff, wenn er mithilfe von Wind- und Solarenergie oder anderen Erneuerbaren klimaneutral erzeugt wird. Bei der Herstellung von „blauem“ Wasserstoff sind zwar noch fossile Energieträger im Einsatz – doch das CO2 wird abgeschieden und gespeichert, damit es keine Klimaschäden verursachen kann. Im Jahr 2050 werden laut Studie trotz starken Wachstums der „grünen“ Verfahren noch fast 50 Prozent „blaue“ Technologien im Einsatz sein. „Doch auch beim Auffangen des CO2 ist das Know-how des Maschinen- und Anlagenbaus gefragt“, sagt Kronenwett. 

Breite Positionierung bringt Vorteile

Für die Maschinen- und Anlagenbauer zahlt es sich laut Studie aus, die gesamte Wertschöpfungs­kette zu bedienen. Sie sollten sich also nicht allein auf Elektrolyseure und Brennstoffzellen konzentrieren, in denen Wasserstoff erzeugt und verbraucht wird. „Die größeren Chancen für die Ausrüster bietet Equipment zur Produktion von erneuerbaren Energien sowie die Infrastruktur zur Speicherung und Verteilung des Wasserstoffs“, sagt Oliver Wyman-Experte Kronenwett. Der Erhebung zufolge machen diese beiden Bereiche zusammen 60 bis 70 Prozent des gesamten Wertschöpfungspotenzials aus.

Komponenten wie Pumpen oder Kompressoren als typische Produkte des Maschinenbaus stehen nach Einschätzung von Oliver Wyman für 30 Prozent der Wertschöpfung in der Wasserstoff­herstellung. Bei Speicher- und Verteilnetzen mit 40 Prozent und bei der Brennstoffzelle mit 60 Prozent liegt der Anteil der Ausrüster sogar noch höher. „Der Maschinen- und Anlagenbau wird ein großer Profiteur sein, etwa durch die Bereitstellung integrierter Systeme aus Windkraftanlagen und Wasserstoffproduktion oder von Anlagen zur Großserienfertigung von Bipolarplatten als einer Schlüsselkomponente für Brennstoffzellen“, erläutert Kronenwett.

Nachfrage verdoppelt sich alle fünf bis zehn Jahre

Maschinen- und Anlagenbauer, die sich in der Wasserstoffwirtschaft gut positionieren, können auf langfristig gute Geschäfte hoffen. Die Nachfrage nach dem klimafreundlichen Energieträger wird sich laut Oliver Wyman-Analyse alle fünf bis zehn Jahre verdoppeln. „Damit werden auch die Investitionen in industrielle Ausrüstung anhaltend stark steigen“, sagt Kronenwett. Technischer Fortschritt steigere die Dynamik der Nachfrage. „Bereits bis 2030 werden dank Ausrüstungs-Innovationen sowie durch Lern- und Skaleneffekte die Produktionskosten für Wasserstoff mehr als halbiert.“ Im Zuge einer weiteren Industrialisierung neuer Technologien wird sich diese Dynamik nach 2030 noch beschleunigen.

Befeuert wird der Boom mit staatlichen Mitteln. So haben bereits 33 Staaten, die zwei Drittel der globalen CO2-Emissionen verursachen, eine nationale Wasserstoffstrategie beschlossen oder planen diese. Zu ihnen zählen auch die USA, Russland, China, Indien, Brasilien, Australien. Klimapolitische Kurswechsel in großen Ökonomien wie den USA leisten hier neuen Vorschub. „Damit entstehen auch über Europa hinaus viele Absatzchancen“, sagt Kronenwett. Unternehmen profitieren auch von staatlicher Finanzierung. So investiert allein die Bundesregierung im Rahmen ihrer nationalen Strategie neun Milliarden Euro – mit dem Ziel, Deutschland zum weltweit führenden Ausrüster für moderne Wasserstofftechnologien zu machen.

 

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