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KI: Intelligenz nicht nur für den Onlinehandel

Stationäre Händler können ihre Margen um bis zu zehn Prozentpunkte steigern

Der offensichtliche Unterschied zwischen Online- und Offlinehandel liegt im Vorhandensein oder Nichtvorhandensein stationärer Läden. Doch ein anderer Unterschied dürfte noch wichtiger sein: Onlinehändler sammeln und nutzen wesentlich mehr Daten als die stationäre Konkurrenz. Dieser Vorteil hat sich in Zeiten von COVID-19 als ein entscheidender Wettbewerbsfaktor gezeigt.


Wenn jemand ein T-Shirt in einem Laden kauft, können viele Händler lediglich den Artikel, den Preis, den Zeitpunkt des Verkaufs und die Zahlungsmethode erfassen. Wenn jemand dagegen das gleiche T-Shirt online erwirbt, weiß der Händler nicht nur all das, sondern kennt auch den Namen des Kunden und seine E-Mail- sowie Rechnungsadresse, damit auch sein Wohnumfeld. Ableiten lassen sich auch individuelle Präferenzen von Kunden sowie der gesamte Kaufprozess einschließlich angeklickter, aber nicht gekaufter Artikel („Customer Journey“). Über die Zeit lernen diese Händler auch, welche anderen Produkte mit einem T-Shirt üblicherweise erworben werden. Eventuell erhält er sogar Einblick in die Social-Media-Profile von Kunden, wenn das Profil genutzt wurde, um auf die Shoppingseite zu gelangen. Und wenn der Artikel ein Geschenk war, erfährt er auch über den Empfänger viele dieser Informationen. 

Onlinehändler haben damit einen entscheidenden Startvorteil in einer Zeit, in der sich der gesamte Handel mit Künstlicher Intelligenz (KI) beschäftigt. Schon heute sammeln Onlinehändler standardmäßig Daten und sitzen mittlerweile auf einer wahren Daten-Goldmine über alle Bereiche ihres Online-Ökosystems hinweg. Seit Jahren setzen sie Data Analytics ein, um diese Informationen auszuwerten und ihre Prozesse über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu optimieren: von der Kundenansprache über die Kaufentscheidung bis zur Bezahlung und Abwicklung.

Künftig erlaubt KI in diesem Zusammenhang nicht mehr nur eine weitere Automatisierung von Aufgaben. Vielmehr geraten nun auch Entscheidungsfindung und Problemlösung in den Bereich des Möglichen – zu Beginn in unterstützender Funktion, auf Dauer aber auch in einer vollständig automatisierten Form. Dies könnte den Niedergang des stationären Handels beschleunigen und für einige Händler potenziell existenzbedrohend sein. Ohne eine konzertierte Aktion traditioneller Einzelhändler wird der schon bestehende digitale Vorsprung des Onlinehandels weiter wachsen; die Schwierigkeiten der eingesessenen Händler dürften noch größer werden. 
 

Abbildung 1: Wachstum des E-Commerce in China 

Quelle: Euromonitor
 

China erlaubt schon heute einen Blick in die Zukunft. Das Land steht beim Onlinehandel an vorderster Front; mehr als 40 Prozent der Handelsumsätze entfielen 2018 auf das E-Commerce- Geschäft (vgl. Abbildung 1). Zum Vergleich: In Großbritannien liegt dieser Anteil bei 26 Prozent, in den USA bei 17 Prozent, in Deutschland bei 14 und in Frankreich bei 11 Prozent. 

Eng verbunden mit der rasanten Digitalisierung ist in China der ebenso rasante Aufstieg der digitalen Handelsgiganten Alibaba und JD.com. Sie decken dank Übernahmen oder auch eigener Entwicklungen inzwischen alle Bestandteile der Wertschöpfungskette im Handel ab, einschließlich Apps für das digitale Bezahlen, Lieferdiensten und sozialen Netzwerken (vgl.  Abbildung 2). Vor allem die Übernahme klassischer Filialanbieter bereitet dem traditionellen Einzelhandel Kopfschmerzen, denn damit können Alibaba und JD.com die digitale Effizienz ihres Onlinegeschäfts mit den Vorteilen von Läden kombinieren. Hier können Kunden die Produkte anfassen und sich von Mitarbeitern beraten lassen.  

Der Handlungsbedarf in Sachen Digitalisierung und KI im chinesischen Einzelhandel wächst daher; in einer Umfrage erklärten kürzlich mehr als drei von vier befragten Managern, dass ihre Branche in den kommenden fünf Jahren eine „echte Disruption“ infolge des KI-Einsatzes erleben werde.

Doch noch gibt es Hoffnung, wie Erfahrungen von Oliver Wyman zeigen. Wenn traditionelle Händler ein ambitioniertes KI-Programm auf- und konsequent umsetzen, können sie nicht  nur dieser Bedrohung begegnen, sondern zugleich die wirtschaftlichen Spielregeln verändern. Einige Handelsunternehmen konnten ihre Margen bereits um bis zu zehn Prozentpunkte erhöhen. Im Betrieb resultierten diese Verbesserungen aus intelligenteren Prozessen in den Läden, einer Automatisierung vieler administrativer Prozesse und einer deutlich intelligenteren Supply-Chain-Steuerung. Hinzu kamen bessere Entscheidungen dank einer verbesserten Steuerung des Sortiments, der Lieferanten, der Preise und Aktionen. Selbst wenn nur einige dieser Verbesserungen in Angriff genommen werden, sind die finanziellen Vorteile erheblich, verglichen mit der Ausgangslage und den in vielen Handelssegmenten dünnen Gewinnmargen.
 

Abbildung 2: Typische Customer Journey eines chinesischen Verbrauchers 

Quelle: Oliver Wyman-Analyse
 

WAS KANN KI IM HANDEL LEISTEN?

In der Vergangenheit galt KI häufig als Tool, mit dem nur Technologieunternehmen arbeiten können. In China schlossen sich daher Einzelhändler, die KI nutzen wollten, in der Regel mit einem der zwei großen Handelsimperien zusammen. Doch nun kann jedes investitionswillige Unternehmen selbst von den KI-Vorteilen profitieren und so seine Marge deutlich steigern. 

Einfache KI-Algorithmen können sich wiederholende Aufgaben übernehmen, die bislang noch menschliches Eingreifen erfordern. Das gilt beispielsweise für das Scannen von Papierrechnungen und das Auslesen der dort genannten Zahlen und Artikel oder auch die Fähigkeit von Sprachassistenten, einfache Anweisungen menschlicher Stimmen umzusetzen. 

Etwas ausgefeiltere KI-Lösungen kombinieren Daten und logisches Denken, um zu Entscheidungen zu kommen. KI braucht immer Daten – anders als der Mensch, der auf Basis von Erfahrungen entscheiden kann. Doch mit Daten kann ein Rechner dank KI weit mehr als  Menschen leisten. Er kann wesentlich größere Datenmengen aus einer größeren Zahl verschiedener Quellen wesentlich schneller verarbeiten. Mit der Zahl der Daten wachsen die Fertigkeiten solcher Systeme. Dies erklärt den Vorsprung der Onlinehändler bei KI-Anwendungen. Doch auch traditionelle Einzelhändler verfügen über eine Fülle von Daten über das Einkaufsverhalten, die sie beispielsweise über Loyalitätsprogramme gesammelt haben. 

KI ist längst keine Science-Fiction mehr, sondern im Alltag angekommen. Nach Überzeugung von Oliver Wyman kann KI dem Handel helfen, seine Umsätze zu steigern und seine Kosten zu reduzieren. Die Margen im Betrieb steigen dadurch um bis zu vier Prozentpunkte und aufgrund besserer Entscheidungen um bis zu sechs Prozent (vgl. Abbildung 3). Diese Zahlen zeigen nur das Potenzial der Verbesserungen in den kommenden gut fünf Jahren. Längerfristig besteht darüber hinaus die Möglichkeit, personalisierte Kundenerfahrungen zu schaffen, die potenziellen Verkäufe neuer Produkte vorauszusagen sowie mit Robotik weitere händische Tätigkeiten zu automatisieren. 

Abbildung 3: Zusammenfassung der möglichen Margenverbesserungen durch KI  

Quelle: Oliver Wyman-Analyse
 

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