Rainer Münch: Heute ist Kirsten Patzki zu Gast. Die Grundlagen ihrer Karriere hat sie bei Oliver Wyman gelegt, bevor sie bei ProSiebenSat.1 die Leitung der Konzernstrategie übernahm. Dann wechselte sie auf die Startup-Seite und hat zuletzt das Hautpflege-Startup nkm als CEO geleitet. Eine Marke mit einer starken Community und mehr als 100.000 Followern auf Instagram. Daneben engagiert sie sich als Startup-Advisor beim Mentoring Club. Kirsten ist verheiratet, lebt in München und liebt die Berge. Liebe Kirsten, ich freue mich sehr, dass Du heute im Podcast Purpose versus Profit bei mir zu Gast bist.
Kirsten Patzki: Vielen Dank für die Einladung, Rainer.
Rainer Münch: Gerne möchte ich mit Dir heute drei Aspekte der Wertorientierung aufgreifen. Zum einen Deine persönlichen Werte anhand eines Gegenstands, den Du mir mitgebracht hast und den ich hier schon sehen kann und gespannt auf die Geschichte bin. Dann eine große moralische Frage bezogen auf Deine Tätigkeit und eine der Lebensfragen von Max Frisch. Beginnen möchte ich direkt mit der Frage nach Deinem Gegenstand und warum Du ihn ausgewählt hast und was er für Dich bedeutet.
Kirsten Patzki: Vielen Dank erst mal noch mal für die Einladung, Rainer. Ich freue mich sehr, hier zu sein, auch in diesen Räumlichkeiten zu sein. Sehr schön, auch so ein bisschen wieder an die Anfänge zu schauen. Und damit sind wir vielleicht auch gleich bei meinem Gegenstand. Den gibt es sehr, sehr lange schon in meinem Leben, wahrscheinlich auch schon zur Studienzeit. Und zwar habe ich ein Buch mitgebracht. Das ist kein Roman, sondern ein Notizbuch. Wenn Ihr das jetzt sehen könntet, die uns zuhören, dann ist das auch ein sehr grelles Buch. Ich suche immer ein sehr freudig-farbiges Notizbuch aus und für mich ist es so der Moment, den ich öfter in der Woche, aber vor allen Dingen auch über das Jahr hinaus nutze, um für mich zu reflektieren: Wo stehe ich? Bin ich auf dem Weg? Und vor allen Dingen auch die Frage: Mag ich mich so, wie ich gerade bin? Ist es das, was ich machen möchte? Was für mich ein großer Treiber ist: Wenn ich morgens in den Spiegel schaue – mag ich das, was ich sehe? Das treibt mich an.
Rainer Münch: Wann gab es dieses Buch zum ersten Mal? Wann hat er begonnen für Dich, dieser bewusste Prozess?
Kirsten Patzki: Ich glaube, dieser bewusste Prozess war am Anfang gar nicht so bewusst, sondern das fing so ein bisschen an im Studium. Ich habe damals BWL studiert und habe das eher so auf Zetteln angefangen, dass ich mal hier und da überlegt habe, saß irgendwo, ich weiß noch, ich habe in Ingolstadt studiert, auf dem Rasen habe ich einfach für mich so ein bisschen reflektiert: Was mag ich gerade? Welche Fächer finde ich spannend? Was nicht? Was könnte ich anders machen? Wie fühle ich mich dabei? Und das wurde dann immer mehr. Und dann habe ich das irgendwann mal in so eine Kladde gepackt und irgendwann festgestellt: Nein, das ist es auch nicht. Und dann weiß ich, habe ich mir irgendwann, das war damals noch weiß, so ein weißes Notizbuch gekauft. Und dann fing ich irgendwann an und habe auch Bilder eingeklebt. Das war dann so die Zeit der Visionboards, dass man eher überlegt hat: Wo möchte ich denn vielleicht irgendwann mal hin? Und so kam das eine zum anderen und deswegen auch sehr bildlich, sehr visuell gehe ich damit um.
Rainer Münch: Und kannst Du vielleicht ein bisschen beschreiben, wie der Kompass dahinter ausschaut? Also wenn Du sagst, Du schaust, wo Du stehst – gegenüber wo Du stehen möchtest. Wie findest Du heraus, wo Du stehen möchtest? Was ist die Referenz in der Reflektion für Dich?
Kirsten Patzki: Das ist manchmal erst mal ganz im Kleinen. Also, dass ich zum Beispiel am Ende einer Woche überlege: War das eine gute Woche? Habe ich mich wohlgefühlt diese Woche? Was hat mir gutgetan? Und dann schreibe ich manchmal auch Kleinigkeiten auf, die ich ganz bewusst nur für mich gemacht habe. Gerade auch in so einer Rolle, ob das in der Konzernstrategie ist oder als Beraterin war, aber vor allen Dingen jetzt auch für nkm ist es natürlich eine Rolle, wo ich oft ganz viel was für andere mache, wo ich ganz oft auf das Team schaue oder auch auf den Kunden schaue. Und da schaue ich dann manchmal einfach: Was hat mir gutgetan? Und wenn ich am Ende einer Woche merke, da war irgendwie viel für alle anderen drin, aber nicht für mich, dann ist das so mein erster Kompass, auf den ich schaue. Das kann dann aber auch zum Beispiel mal – ich habe im Sommer Geburtstag, das ist immer so ein ganz gutes halbjähriges Fazit, dass ich sage, im Sommer und im Winter, so um die Weihnachtszeit, dass ich manchmal so ein bisschen einfach innehalte. Und ich gebe zu, ich habe ganz oft nicht so diesen kompletten großen Plan, wo ich sage, da möchte ich hin und das ist mein Weg und darauf arbeite ich hin, sondern es ist mehr so im Kleinen, dass ich merke: Habe ich Gestaltungsfreiraum? Ist es das, wo ich das Gefühl habe, ich kann so führen, wie ich führen möchte? Das sind mehr so meine eigenen Aspekte, nach denen ich das vergleiche.
Rainer Münch: Und fällt Dir ein Beispiel ein, wo diese Reflektion zu einer Zäsur geführt hat? Wo Du gesagt hast, Dir wird jetzt auch in der Reflektion noch mal klarer, dass Du was ändern möchtest, ändern musst?
Kirsten Patzki: Ja, das war, ich habe bei Oliver Wyman damals angefangen und für mich war das irgendwann der Punkt, dass ich zum Beispiel gemerkt habe, ich möchte noch mehr Gestaltungfreiraum übernehmen, im Sinne von ich kann das hinter die Implementierung, wie wir das damals immer schön genannt haben, selber mitbegleiten. Ich kann es wirklich machen. Das war zum Beispiel damals für mich der Wunsch, dann zu ProSieben zu gehen. Dort war ich ja dann zuständig für Konzernstrategie und letztendlich war ich dann zwar näher dran, aber ich habe gemerkt, ich kann immer noch nicht zu dem Grad es selber umsetzen, selber machen, selber entscheiden, wie ich wollte. Und dann nach gut zweieinhalb, drei Jahren habe ich dann gemerkt: Nein, ich möchte noch mal weiterziehen und deswegen auch die Entscheidung, dann in ein Startup zu gehen, wo ich wirklich sage, da schaue ich mir das heute an und sage, naja, lass es uns ausprobieren, wir probieren es mal morgen aus und dann merken wir in vier Wochen, vielleicht auch erst in acht Wochen, aber in einem relativ kurzen Zeitraum im Verhältnis zum Konzern zum Beispiel, ob es funktioniert oder nicht funktioniert. Mein Antrieb ist, einfach auszuprobieren und nicht so lange zu hadern, sondern zu gucken, ob es klappt.
Rainer Münch: Vielleicht kannst Du noch – Stichwort Kompass – so ein bisschen auf Deine persönlichen Werte eingehen. Was ist Dir wichtig im Berufsleben, wenn es um Werte geht?
Kirsten Patzki: Ich habe mich lange gar nicht so explizit mit dem Wort ,,Werte’’ beschäftigt, sondern habe so ein bisschen für mich geschaut: Was mag ich in der Zusammenarbeit mit anderen? Weil ich oft fand, dass wenn es um Werte ging, waren das oft so große Themen, so wie Liebe, Familie etc. Und irgendwann habe ich für mich so gemerkt: Was ist mir wichtig in der Zusammenarbeit? Und da habe ich für mich zwei Themen gefunden. Das eine ist Ehrlichkeit. Das ist mir unglaublich wichtig. Und Verantwortung übernehmen. Für mich selber, aber auch für andere. Und ich glaube, in beiden Themen steckt sehr, sehr viel drin. Das Gegenteil von Ehrlichkeit ist für mich dann nicht die Lüge, weil es geht nicht darum, dass jemand einen bewusst anlügt. Es ist mehr die Frage nach Klarheit oder Transparenz. Es gibt diesen schönen Spruch: ,,Clear is kind. Unclear is unkind.’’ Also: Wenn ich jemandem etwas sagen möchte, das möglichst klar zu formulieren. Was möchte ich? Das heißt, ich habe mich ganz am Anfang in meiner Führungsrolle oft gefragt: Muss ich härter sein? Und dann habe ich irgendwann gemerkt: Nein, ich muss nicht härter sein. Ich muss vielleicht klarer sein von dem, was ich eigentlich haben möchte, oder mir wünsche in der Zusammenarbeit. Und was ich mir dann oft wünsche, ist die Transparenz. Und das ist auch mir wichtig, was ich gebe. Ich bin sehr, sehr transparent mit meinem Team, mit meinen Teammitgliedern. Und gleichzeitig wünsche ich mir aber auch die Transparenz im Gegenzug. Das heißt Ehrlichkeit ist für mich oft das Gegenteil, eher blackboxing. Also, ich zeige einfach niemandem, was ich mache. Ich mache das ganz für mich alleine. Ich stimme mich nicht ab. Und da ist mir Transparenz sehr wichtig, weil ich das Gefühl habe oder auch für mich die letzten Jahre lernen durfte, dass das die Basis ist für Vertrauen.
Rainer Münch: Also für mich, ich muss da viel an Authentizität denken und dieses authentische Miteinander. Für mich persönlich war das sicherlich auch ein Weg über die letzten Jahrzehnte inzwischen, da so ein bisschen synchroner zu werden. Also in diesem, wie Du es auch sagst, nach was fühle ich mich in dem Moment und was fühlt sich in dem Moment richtig an und das auch stärker zuzulassen und weniger viel darüber nachzudenken. Was wird erwartet und was ist jetzt in dem Moment vielleicht auch konform oder was sind Beobachtungen, die ich gemacht habe, wie andere sich hier verhalten, sondern eben mehr zu sich zu kommen. Und ich glaube, das ist dann auch so eine Brücke zu dieser Ehrlichkeit. Was ich spannend finde: Letztens hatte ich auch ein paar Artikel gelesen, dass man natürlich zugleich aufpassen muss, dass man nicht in der Authentizität verharrt und dass man sich immer sagt, so wie ich bin, so wie ich jetzt bin, ist alles genau richtig. Und es geht darum, das zu leben und zu zeigen, diese Weiterentwicklung eben auch immer zuzulassen und damit so ein Moving Target zu haben. Würdest Du das auch so sehen?
Kirsten Patzki: Absolut, absolut. Ich glaube ganz stark an Wachstum. Ich glaube, das persönliche Wachstum hängt auch ganz stark mit der beruflichen Weiterentwicklung zusammen. Und in unserem Fall jetzt als Startup geht es auch ganz stark darum, wie viel kann ich mich weiterentwickeln, dass ich auch das Unternehmen weiterentwickeln kann. Authentizität, wie Du sagst, ist oft so ein großer Begriff und gleichzeitig ist es manchmal einfach in dem Moment, mich verletzlich zu zeigen oder auch wütend. Ich glaube, das ist sowohl als auch. Ich kann mich zum Beispiel an eine Situation erinnern, das war Ende 2022, da hatten wir im Team zum Beispiel sehr, sehr viel Umbruch bei nkm und das war einfach eine Woche, die war emotional unglaublich anstrengend und es gab viele Diskussionen und hin und her und ich habe gemerkt, das war für das ganze Team unglaublich anstrengend und auch für mich. Am Ende der Woche bin ich nach Hause gekommen und ich habe mich so richtig ausgelaugt gefühlt von der Woche. Und dann habe ich eine Mail an das Team geschrieben und habe gesagt, auch für mich war das eine sehr, sehr intensive Woche. Ich bin nächste Woche nicht im Haus. Ich nehme keine Termine an. Ihr seid gut aufgestellt. Ich meine, wir reden von einer Woche. Ihr seid gut aufgestellt. Schaut einfach auf Euch, gönnt Euch mal eine Pause, geht mal durch den Wald, und nächste Woche greifen wir wieder gemeinsam an. Und ich weiß noch, dass ich vor dieser Mail saß und dachte: Schreibe ich die jetzt oder schreibe ich die nicht? Aber sie hat sich für mich so richtig angefühlt und ich habe gedacht: Wenn ich das jetzt in dieser Rolle, in diesem Umfeld nicht kann, dann kann ich es nirgendwo, weil klar, im Konzern hätte ich die vielleicht nicht so geschrieben, die Mail. Und ich weiß noch, dass ich sie abgeschickt habe und in wenigen Minuten ganz, ganz viele Antworten aus dem Team bekommen habe. Bis hin zu einer Mail, die ist mir noch bis heute im Kopf geblieben. Eine sagte: “Ich habe noch nie so eine ehrliche Mail von einer Vorgesetzten bekommen. Vielen Dank dafür.” Und das ist das, was mir dann letztendlich viel gibt. Wo ich denke, ich bin auf dem richtigen Weg. So möchte ich führen.
Rainer Münch: Ja, schönes Beispiel auch für den Mut in dem Moment, dass Du das dann auch gemacht hast. Manchmal gibt es ja diese Stimme in einem, die einen so ein bisschen dahin schubst und die man dann auch manchmal leichtfertig unterdrückt und sagt: Ja, jetzt nicht. Ja, gefährlich.
Kirsten Patzki: Ehrlichkeit hat viel für mich zu tun mit offener Kommunikation in jede Richtung. Also zum Beispiel auch, dass ich möchte, dass Teammitglieder oder auch Peers oder auch in jegliche Richtung, auch im Privatleben, jeder weiß: Das, was ich sage, das meine ich. Und im umgekehrten Sinne zum Beispiel auch, wenn mir irgendwas nicht gut passt oder wenn ich das Gefühl habe, nein da hakt es irgendwie, dass ich das auch anspreche. Das hat für mich auch viel mit Ehrlichkeit zu tun. In dem Moment nicht nur das immer zu sagen, was positiv ist. Ich habe ganz oft das Gefühl, dass wir so einen Harmonieschleier über viele Sachen legen wollen und dass wir manchmal verlernt haben, sachlich zu diskutieren. Sondern dass wir einfach mehr hergehen dürfen und sagen können: Hey, da bin ich anderer Meinung. Let’s discuss. Und dann kann man aber auch abends wieder gemeinsam ein Bier trinken gehen. Das ist mir wichtig in der Zusammenarbeit und das merke ich auch, je mehr ich das selber auch umsetze, kriege ich das auch von dem Team zurückgespielt.
Rainer Münch: Ja, ich finde gerade das, was Du ansprichst, diese Verbindung von Ehrlichkeit mit Freundlichkeit, auch wichtig. Und ich finde, gerade wenn es um gegensätzliche Meinungen geht, erlebe ich häufig, dass es dann auch emotional konfrontativ wird und auch gerne unfreundlich wird. Und es lässt sich aber viel besser lösen, wenn man diese Ehrlichkeit mit Freundlichkeit kombiniert. Und ich glaube, da gibt es ja auch verschiedene Abhandlungen zum Thema Kindness und was das alles bewirken kann. Finde ich auch spannend. Da hatte ich jetzt jüngst auch einen Kunden, wo ich das als ganz toll erlebt habe, wie die auch auf Vorstandsebene zum Teil sehr kritische Positionen hatten, aber immer mit Menschlichkeit, mit Freundlichkeit artikuliert, und dann im Ergebnis eben auch total konstruktiv waren, weil es eben unterschiedliche Positionen sind, die auch zugelassen werden, die toleriert werden. Aber es muss eben nicht heißen: Konfrontation und emotionale Spannungen. Das ist einfach eine andere Ebene. Und ganz häufig ist es eben nicht zu trennen bei ganz vielen.
Kirsten Patzki: Und ich finde gerade das schön, auch wenn wir es schaffen, eine Kultur zu etablieren, in der das möglich ist. Ich habe oft in der Vergangenheit zu mir gesagt: Kultur, so ja, das ist irgendwie so etwas Weiches. Und es ist genau wie Du sagst. Dieses: Kriegen wir es hin, zu diskutieren, ohne dass es zu persönlich ist, dass ich auch mal die Meinung von mir als Person trennen kann? Und gerade in der Rolle jetzt auch als CEO bei nkm war es für mich oft ganz schwer zum Beispiel Feedback zu bekommen, weil da kriegt man irgendwann kein Feedback mehr. Entweder ist es auf der einen Seite, weil sich jeder gut mit Dir stellen will, weil Du ja irgendwie entscheidest. Und auf der anderen Seite vielleicht auch, weil Du gar nicht mehr so diese Instrumentalisierung hast. Und ich habe zum Beispiel ganz oft in den Feedbackschleifen einfach gesagt: Wenn Du eine Sache in der Zusammenarbeit ändern müsstest oder gerne würdest, was wäre das? Nur dann kriegst Du eigentlich von dem Team, dass es sagt: „Ja, okay, also vielleicht, was ich dann gut fände, wäre…“ Und das ist mir wichtig, dass wir dahin kommen, dass wir einfach auch konstruktive Kritik äußern dürfen, weil das ist ja auch wieder etwas, von dem ich wachse. Und ich bin 38. Also ich möchte mich noch viel entwickeln dürfen in verschiedenen Rollen und ich lechzte danach, reflektieren zu können. Da sind wir wieder bei meinem Gegenstand. Dafür brauche ich Feedback, und zwar nicht nur das positive Feedback – ja, alles ist super –, sondern gerade das konstruktive, kritische.
Rainer Münch: Jetzt kennst Du sowohl aus der Tätigkeit bei uns und dann eben auch bei ProSieben Sat.1 die Konzernwelt ganz gut und hast jetzt die Startup-Welt erlebt. In der Draufsicht würde man glauben, im Startup-Umfeld müsste das doch ganz einfach sein. Im Startup entwickelst Du etwas, Du kannst Werte schaffen, Du kannst eine Kultur etablieren, die dann dem entspricht, was man sich eben auch wünscht. Würdest Du das so sehen? Ist es so einfach? Oder doch nicht?
Kirsten Patzki: Ich glaube, vieles ist einfacher. Aber nicht einfach. So würde ich das sehen. Es ist viel mehr Gestaltungsfreiraum, das auf jeden Fall. Denn ich kann natürlich nicht in einem großen Unternehmen, wo zigtausend Menschen sind, als Einzelner leicht die Kultur verändern. Das ist ganz, ganz schwer. Da kann ich natürlich gerade jetzt, wir waren 60 Leute bei nkm, auch da kann ich es natürlich ganz anders prägen aus der Rolle heraus. Gleichzeitig bringt natürlich jeder einzelne Mitarbeiter sich ein und soll sich auch einbringen. Das heißt es ist nicht so, dass man eine Kultur wirklich von heute auf morgen transformieren kann, sondern das hat natürlich erst einmal viel mit Vertrauen gewinnen zu tun. Und dann ganz langsam, Stück für Stück. Weil eine Kollegin sagte damals, als ich kam: Vorsicht, wir sind eine Wattebäuschchen-Werfkultur. Ich fand das einen sehr, sehr schönen Begriff und machte das auch sehr deutlich. Also gerade dieses: lieber nicht kritisieren; alles ist ganz schön. Gerade im Startup ist es oft so: Wir sind eine Familie. Wir haben eine gemeinsame Ideologie. Und das sehe ich oft sogar eher kritisch, weil das ist dann ein Aspekt von: Wir haben uns alle lieb und eigentlich brauchen wir aber die gemeinsame Leistung und gemeinsame Weiterentwicklung. Und ich glaube, da ist dann zum Beispiel Startup manchmal eher sehr emotional, während dann vielleicht sogar im Konzern manchmal die Sachlichkeit ein bisschen im Vordergrund steht, weil da irgendwie klar ist: Das ist ein Job und da gehe ich hin. Und da ist im Startup, dann glaube ich oft die Emotionalität höher im Sinne von: Ja, wir wollen doch das hier irgendwie gemeinsam machen. Und sehr ideologisch.
Rainer Münch: Ich denke, wir haben jetzt einiges über die Werte reflektiert, die auch im Berufsleben wichtig sind. Ich würde gerne zum zweiten Teil kommen, nämlich einer moralischen Frage bezogen auf Deine Tätigkeit, wo es auch wirklich darum geht: Purpose versus Profit. Mit nkm Naturkosmetik München habt Ihr Euch Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben. Es ist ein ganz zentrales Element des Geschäftsmodells. Zugleich ist es ein For-Profit-Unternehmen, das am Ende eben auch Gewinne erwirtschaften muss. In welchen Situationen wurde Dir dieses Spannungsfeld besonders bewusst und wo musstest Du Entscheidungen treffen, die eben primär gewinnorientiert waren und Abstriche gemacht haben in der Nachhaltigkeit?
Kirsten Patzki: Ich finde den Blick auf Purpose versus Profit da ganz spannend, weil ich manchmal das Gefühl habe, dass wir so ein bisschen unterscheiden nach guten Werten und schlechten Werten. Und das ist das, was ich auch in der Rolle bei nkm zum Beispiel ganz viel für mich reflektiert habe. Gibt es überhaupt diese Unterscheidung zwischen „Nachhaltigkeit gut“ und „Profit schlecht“? Das ist auch eine Diskussion, gerade was ich eben angesprochen habe mit der Ideologie ganz am Anfang, wenn ein Unternehmen gegründet wird, da hast Du ganz oft viele Teammitglieder, die natürlich rein ideologisch erst mal das Unternehmen mit aufbauen wollen. Und das heißt, diese Frage stand gerade am Anfang auch ganz stark im Raum. Sodass ich mich dann ganz oft gefragt habe: Naja, aber wenn ich zum Beispiel nachhaltig wirtschaften möchte, bedeutet das auch, ich muss unter’m Strich profitabel sein, weil sonst bräuchte ich immer Kapital, was mir zum Beispiel andere geben würden. Und dann könnte ich gar nicht nachhaltig wirtschaften. Das heißt für mich persönlich gehört zur Nachhaltigkeit viel mehr dazu, als wenn wir das herunterbrechen auf zum Beispiel Klimaschutz. Für mich ist Nachhaltigkeit auch: Ich kann den Teammitgliedern einen sicheren Arbeitsplatz bieten. Dass ich halt nicht ein Unternehmen bin, das von jetzt auf gleich hochschnallt, sondern dass ich einfach die Möglichkeit habe, stetig nachhaltig zu wachsen und damit auch einen nachhaltigen Beitrag zu leisten als Unternehmen. Das war für mich erst mal einer der ersten Aspekte, den ich so ein bisschen gesehen habe, um auch für mich selber, aber auch dem Team deutlich zu machen: Profit an sich ist nichts Schlechtes. Es geht nicht darum, dass wir große Investoren haben, die da jährlich Millionen rausziehen, sondern wir sind ein bootstrapped Unternehmen. Das heißt wir sind ein Unternehmen, das mit eigenem Geld wirtschaftet. Und dadurch sind wir ein Unternehmen, wenn wir am Ende des Jahres etwas unter dem Strich haben: Das ist das Geld, das wir wieder investieren. Das heißt in dem Moment, wenn wir uns überlegen, einen neuen Laden zu eröffnen, oder wenn wir sagen, okay, wir möchten das technische Setup anders aufbauen, oder natürlich auch mehr und mehr zum Beispiel Teammitglieder kommen und sagen: Hey, ich habe mich weiterentwickelt, ich hätte gerne ein anderes Gehalt. Dafür brauchen wir das. Dafür müssen wir wachsen und dafür muss auch unter dem Strich etwas übrigbleiben, sonst kann ich gar nicht investieren. Das ist für mich so der zentralste Punkt, wenn ich an Nachhaltigkeit denke. Der zweite Aspekt ist sicherlich der, den Du so ein bisschen zwischen den Zeilen hast mitschwingen lassen. Das ist der Aspekt der Nachhaltigkeit, wenn ich den herunterbreche im engeren Sinne auf Klimaschutz, wenn ich darauf schaue. Und da ist es zum Beispiel oft auch eine Frage von: Wie positioniere ich mich? Du hast gerade gesagt, Nachhaltigkeit ist ein großes Thema. Für ein Unternehmen wie nkm ist Nachhaltigkeit sehr, sehr relevant. Und gleichzeitig muss man schauen: Was heißt denn eigentlich Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit ist aus meiner Sicht heute kein USP mehr, mit dem man sich am Markt differenzieren kann. Im Gegenteil, ich glaube, alle Startups mehr oder minder schauen, wo bin ich irgendwie nachhaltig, und auch die großen Konzerne schauen mehr und mehr. Entweder haben sie große Abteilungen, die das machen, oder sie haben Nachhaltigkeit-Reports. Und für mich war eher wichtig, dass wir sagen: Was heißt Nachhaltigkeit für uns wirklich im everyday doing? Zum Beispiel bezogen auf die Produkte, sind wir da auch wieder beim Thema Transparenz, also großer Wert der Ehrlichkeit, als auch zum Beispiel der Regionalität. Also, dass wir lokaler beziehen. Auch das zum Beispiel auf Produkte, wo natürlich dann die Inhaltsstoffe teurer sind, als wenn ich sie aus dem Ausland beziehen würde, qualitativ hochwertiger, regionaler etc. Aber da sehen wir zum Beispiel einen großen Aspekt der Nachhaltigkeit. Oder wir haben 2022 eigene Mehrwegflaschen auf den Markt gebracht und das ist zum Beispiel insofern spannend, da dort wieder ganz eng zusammenkommt, dass das Unternehmen bootstrapped ist. Denn das ist etwas, das rechnet sich nicht automatisch. Das ist sehr teuer erst mal in der Entwicklung. Das heißt große Investoren würden da erst mal drauf schauen und sagen: Naja, ist das jetzt wirklich For-Profit am Ende? Da ist dann vielleicht eher der Aspekt in die Richtung, dass ich sage, nein, oder das war vor allen Dingen Alexander, der gesagt hat, wir möchten dieses Projekt auf die Beine stellen und sagen, nein, da möchten wir rein investieren und daran glauben wir. Und gleichzeitig hast Du gerade so ein bisschen gefragt, wo sehe ich Grenzen. Grenzen sehe ich zum Beispiel, dass Nachhaltigkeit oft ein Thema ist, gerade im Social-Media-Umfeld. Du hast eingangs gesagt, wir haben über 100.000 Follower auf Instagram. Nachhaltigkeit ist oft ein sehr vorsichtiges Pflaster, würde ich sagen. Damit würde ich sehr vorsichtig umgehen, wenn man sich da als Brand darauf bezieht. Für nkm ist es wichtig, dass Nachhaltigkeit nicht das einzige Kriterium ist, weil wir sind bei Social Media oft, ich weiß nicht, ob Du das kennst, aber bei dem sogenannten Begriff ,,Whataboutism’’, also dass es dann sehr schnell ins Detail geht. Aber was ist denn damit? Aber was ist denn damit? Aber ihr gebt doch Papiertüten raus. Aber es ist doch noch das. Am Ende sind wir ein Konsumprodukt. Das darf man nicht unterschätzen. Und da gab es zum Beispiel mal einen Moment, an den ich mich erinnere, da habe ich damals eine Story gemacht, da war ich auf dem Weg zu einem großen Event, und ich hatte eine Lederjacke an. Wir haben recht viele DMs, Nachrichten dazu bekommen, ob das in Ordnung ist, dass die CEO von einem Startup, das vegan und nachhaltig ist, eine Lederjacke trägt. Und da sind wir dann aus meiner Sicht wirklich bei ,,Whataboutism’’, weil Du jeden Tag versuchst, die kleinsten Sachen zu überlegen, zu hinterfragen, umzusetzen und zu machen und dann sind wir auf wirklich Detailgraden unterwegs. Und das war zum Beispiel dann auch intern eine Diskussion. Und da habe ich gesagt: Aber da ist für mich eine Grenze. Ich kann weder mir noch anderen im Team vorschreiben zum Beispiel, was sie anhaben. Ein ähnliches Beispiel ist bei Nachhaltigkeit. Wir hatten vorher den Sitz in Oberhaching und haben zum Beispiel irgendwann mittags gemerkt, dass der eine oder andere sich nicht Mittagessen mitgebracht hat und ganz oft was bestellt wurde. Und wir hatten total viel Müll mittags. Dann haben wir gesagt: Okay, das müssen wir irgendwie anders machen und haben dann diese Rebowls zum Beispiel genutzt, dass wir da sagen, okay, da können wir das nutzen. Gleichzeitig kam dann aber zum Beispiel aus dem Team die Frage auf: Ist es in Ordnung, wenn hier andere Fleisch bestellen oder vegetarisch bestellen? Müssten nicht alle vegan bestellen? Deswegen meine ich auch bei einem Startup, da wird es dann sehr schnell emotional. Wo ich auch wichtig finde, dass wir da eine Grenze ziehen und sagen: Es ist immer noch das Individuum. Klar kann ich gucken, zum Beispiel wenn ich ein Event habe und Essen dort habe, dann ist das vegan. Aber ich sehe mich nicht in der Rolle zu entscheiden, was jeder für sich selber isst.
Rainer Münch: Ja, ich glaube, da reißt Du ein ganz großes Thema an, mit dieser absoluten Perspektive, die da gerne herangezogen wird in der Bewertung. Es gibt da nur irgendwie alles perfekt oder gar nichts und dieser Maßstab ist dann auch total verzerrt, anstatt anzuerkennen, was sind die positiven Beiträge und überwiegen die positiven Beiträge die negativen Beiträge und eben, wie Du auch sagst, eine gewisse Freiheit zu lassen und eine Individualität auch zu tolerieren und auch das Menschsein am Ende zu akzeptieren, weil wir natürlich unsere Bedürfnisse haben und weil wir nicht immer nur reglementiert, limitiert durch das Leben gehen. Dann ist es irgendwann nicht mehr lebenswert. Kommen wir nochmal zurück auf diesen Entscheidungskonflikt. Ich finde es gut und nachvollziehbar, dass Du das einordnest und dass Du sagst, auch ein Profit hat einen Purpose, wenn er richtig eingesetzt wird – und verantwortungsbewusst. Gab es denn trotzdem Entscheidungen, die Du treffen musstest, wo Du einen Bauchschmerz hattest? Wo Du das Gefühl hattest, eigentlich würde ich jetzt gerne anders entscheiden, weil es wäre einfach noch mehr im Sinne unserer nachhaltigen Ausrichtung, aber wir können uns das einfach nicht leisten? Und wo Du vielleicht auch irgendwie gerne die Möglichkeiten gehabt hättest, anders zu entscheiden?
Kirsten Patzki: Für mich gab es nicht diesen einen Moment, wo ich sage, da hätte ich wirklich gerne anders entschieden. Ich sehe Nachhaltigkeit eher als Reise. Im Sinne von: Wo habe ich kleine Möglichkeiten? Wo kann ich vielleicht mal einen größeren Schritt gehen? Und genau wie Du sagst: Nicht dieser Absolutismus, dass ich sage, das ist jetzt eine Entscheidung für oder dagegen. Sondern ich sehe das eher als Aspekt, wo wir sagen können, da wäge ich zum Beispiel auch ab. Was steht höher, wenn ich zum Beispiel daran denke, Mehrwert für den Kunden oder Nachhaltigkeit? Das ist dann manchmal eher ein Aspekt. Ich kann mich zum Beispiel daran erinnern, dass wir Aufsätze hatten, da waren die einen mehr recycelbar als die anderen. Aber das war halt super unpraktisch für den Kunden, weil das einfach zu dickflüssig war, um das aus so einem Tinktürchen herauszubekommen. Und das ist für mich dann aber keine Entscheidung, wo ich denke, ich würde mich gerne mehr für die Nachhaltigkeit entscheiden, sondern dann ist es für mich ganz klar eine Entscheidung für den Kunden-Mehrwert. Wenn der Kunde das besser nutzen kann etc., dann gehe ich da ganz klar mit. Und das ist dann aber für mich auch keine Bauchschmerz-Entscheidung, auch im Nachgang nicht. Ich glaube sogar auch da, dass wir manchmal auch als Gesellschaft zwei verschiedene, ja, dass wir so ein bisschen ein Schwarz-Weiß-Denken haben. Weil auf der einen Seite sehen wir gerade in der jüngeren Generation ganz, ganz viel Fokus auf Nachhaltigkeit. Sie schauen nach. Sie fragen nach. Wir kriegen auch ganz viele Nachfragen. Und auf der anderen Seite sehen wir zum Beispiel im Markt, dass Konzerne – gerade chinesische Konzerne wie Shein, Temu oder Amazon –, die wachsen weiter. Und da sehen wir natürlich, das ist dann auch eine Diskrepanz. Weil ich auf der einen Seite sage, ich möchte alles nachhaltig haben, und auf der anderen Seite sage ich, aber günstiger ist dann irgendwie doch besser. Und ich glaube deswegen, dass es wichtig ist, auch da einfach ein gesundes Maß als Leiter in so einer Rolle zu haben und einfach zu schauen, wie kann ich nicht zu absolut damit umgehen, weder mit den Produkten als auch mit dem Gesamtunternehmen, und dementsprechend auch den Kunden einfach den Mehrwert anbieten. Denn für mich ist das Ganze eher so ein ,,Movement’’, wenn man so sagen möchte. Ich möchte nicht den erhobenen Zeigefinger haben und sagen „Du musst jetzt unser Produkt kaufen, weil das ist besser und nachhaltiger“, sondern ich finde es viel schöner zu sagen: „Schau mal, so kann man das auch machen. Wenn Du Lust hast, begleite uns doch auf diesem Weg.“ Das finde ich viel ansprechender und dann gewinnt man damit den einen oder anderen vielleicht und der andere schaut es sich ein bisschen länger an. Und ich glaube in der Summe sehen wir aber den Trend, dass immer mehr darauf geachtet wird und ich möchte eher einladen als reglementieren.
Rainer Münch: Das finde ich eine schöne und wertvolle Perspektive. Wenn Dich ein junger Mensch fragt, was er oder sie beitragen könnte und wie so eine nachhaltige Orientierung vielleicht auch in der Berufsentwicklung gelingen kann: Was würdest Du ihm oder ihr dann mitgeben?
Kirsten Patzki: Das Wichtige ist, dass Du lernst. Das ist das Allerwichtigste. Wir sprechen ja gerne von diesem Growth-Mindset. Einfach immer zu schauen: Wo kannst Du was lernen? Gerade auch in der persönlichen Entwicklung nicht zu schauen: Wo kann ich am meisten Geld verdienen? Dann wäre man nämlich eigentlich auch wieder beim Profit. Oder wo kann ich irgendwie vielleicht den tollsten Titel erhalten? Sondern eher zu schauen: Was ist die Rolle, wo ich das Gefühl habe, da kann ich am meisten lernen? Weil ich vielleicht inspirierende Menschen um mich herum habe, weil ich vielleicht einen inspirierenden Chef oder Chefin habe, vielleicht aber auch einfach, weil die Tätigkeit was ist, wo ich sag: Hey, da kann ich mich noch ein bisschen mehr reinfuchsen. Für mich ist ganz oft, wenn ich in einem Raum bin, dass ich ganz oft sagen möchte: Ich möchte diejenige sein, die am meisten lernt. Und das war mir jetzt auch in meiner Rolle bei nkm total wichtig, weil ich bin nicht diejenige, die jeden einzelnen Bereich schon mal selber gemacht hat. Natürlich habe ich, und das ist mir auch wichtig, in jedem Bereich sehr tief reingeschaut. Ich kann alles so ganz gut, würde ich mal behaupten. Und trotzdem, ich beschäftige mich wahrscheinlich vier Stunden die Woche mit dem Shopify Store und dann haben wir aber ein Team, das sich 40 Stunden oder mehr Stunden, weil wir ein größeres Team haben, damit beschäftigt. Das heißt das müssen ja die Experten sein. Und ich liebe es, wenn ich mit denen im Raum sitze und sage: Okay, und das und das ist vielleicht die Idee, was meint Ihr dazu? Und ich sage mal, in 90 Prozent der Fälle würde ich mit der Entscheidung mitgehen, die sie gehen. Das heißt, ich führe auch ganz stark danach, dass ich eher sage: Was würdest Du tun? Du bist der Experte. Und klar, ich frage da nach. Und wenn die Entscheidung oder die Argumentation für mich schlüssig ist, dann gehe ich mit. Wenn nicht, dann sage ich, lass uns das noch mal anschauen oder vielleicht noch mal eine andere Option andenken. Und das wäre vielleicht für mich der zweite Aspekt, einfach in Optionen denken. Ich glaube auch da wieder, nicht dieses Absolute zu nehmen, das ist jetzt so oder das ist so, sondern eher zu schauen, welche Optionen habe ich, wie kann ich mich ausprobieren und da selber Verantwortung zu übernehmen. Das ist glaube ich auch so ein Aspekt, den ich ganz stark sehe. Wir sind heute manchmal in so einer Gesellschaft, in der wir ganz oft sagen: Mein Chef ist doof und ich hatte ein toxisches Umfeld und außerdem bin ich eh schon irgendwie aus einer blöden Kindheit und dies und das und jenes. Und das ist vielleicht auch alles wahr. Aber die Frage ist ja: Wie gehe ich jetzt damit um? Was kann ich gestalten? Wenn wir wieder den Link zu meinem Buch machen, dann stelle ich mir ganz oft die Frage: Was ist das, was ich jetzt gerade beeinflussen kann? Ich rege mich auch gerne, sehr gerne über ganz viele Sachen auf. Und dann ist aber für mich die Frage: Was kann ich jetzt gerade machen? Und dann einfach auch die Verantwortung zu übernehmen und das zu tun. Klar können wir irgendwie sagen: Die Politik macht das nicht und die macht das nicht und das müsste man anders machen und das müsste man machen. Und die führen sowieso alle blöd. Und dann einfach zu sagen: Okay, aber dann übernehme ich Führung und versuche es anders zu machen. Oder dann bringe ich mich irgendwo ein. Und dazu würde ich die jungen Menschen einladen.
Rainer Münch: Würde ich zu 100 Prozent unterstreichen. Ich finde dieser Blick in die Vergangenheit, daraus kann man lernen und dieser ist auch wichtig und auch wichtig zu reflektieren, aber verändern kann man ja nur die Zukunft und mit Einschränkungen die Gegenwart. Und wenn man dann so hängen bleibt in der Vergangenheit und dem „was wäre wenn und hätte doch und dann könnte“, dann ist ja nichts gewonnen und man dreht sich da ein bisschen im Kreis. So, zum Abschluss gerne noch zum dritten Teil. Ich hatte Dich ja gebeten, Dich ein bisschen mit Max Frisch und seinem Fragebogen zu beschäftigen und eine der Lebensfragen auszuwählen. Für welche hast Du Dich denn entschieden und warum?
Kirsten Patzki: Ja, ich habe im Vorgespräch ja schon gesagt, ich fand ganz viele Fragen spannend. Und dann hast Du mir so ein bisschen mitgegeben, ich soll einfach gucken, welche im Nachgang mit mir am meisten resoniert. Und dann habe ich mich für die Frage entschieden: Bist Du Dir selbst ein Freund? Ich fand das eine sehr schöne Frage und ich muss auch sagen, dass sie mich über die letzten Wochen jetzt so ein bisschen begleitet hat, die Frage. Dass ich einfach manchmal drüber nachgedacht habe: Bin ich mir selbst ein Freund? Vielleicht ist das auch eine Frage, die ich mit in mein Buch in Zukunft nehme. Und wenn ich jetzt ein bisschen darauf schauen würde, bin ich denn mir selbst ein Freund, dann glaube ich, bin ich ganz oft sehr, sehr kritisch mit mir selber. Bei aller Entwicklung und Reflektion ist es glaube ich ganz oft so, dass ich am Abend, am Ende des Tages nach Hause fahre und denke, ich möchte so gerne inspirierende Führungskraft sein, aber heute hast Du es da nicht hingekriegt und das hättest Du irgendwie anders machen können und da hättest Du Dich irgendwie noch mehr einbringen können oder da hast Du vielleicht irgendwas voreilig entschieden oder so. Da erkenne ich ganz oft so dieses, dass ich sehr kritisch bin. Und gleichzeitig habe ich über die letzten Jahre aber auch für mich kennengelernt, den Gegenspieler davon in mir zu haben, so diesen wohlwollenden Freund: „Hey, ich finde, Du hast das ganz gut gemacht.“ Und das fühlt sich manchmal komisch an, sich das selber zu sagen. Aber ich merke gleichzeitig, wie das so ein bisschen ehrlicher auch wieder zu mir selber ist. Und zu sagen: Naja, ganz so kritisch ist es vielleicht dann doch nicht. Und eher zu sagen, es ist auch okay, dass Du in dem Moment wütend warst, weil es war einfach eine heavy Woche, machen wir nächste Woche anders. Aber es ist in Ordnung. Oder einfach auch mal zu sagen: Ja, Du bist schon fünf Minuten zu spät. Ich hole mir jetzt trotzdem gerade den Tee, gucke zwei Minuten raus und gehe dann ins Gespräch. Das ist manchmal das, wo ich das Gefühl habe, da kann ich mir selbst ein Freund sein und darf es wahrscheinlich auch immer mehr und auch schätzen gelernt habe, mir selbst ein Freund zu sein.
Rainer Münch: Ich glaube, ich finde auch, dass in der Frage ganz viel Kraft steckt, und ich habe mich damit auch schon beschäftigt. Und es beginnt ja dann mit der Frage: Was ist ein guter Freund? Hat man da entweder eine Person vor Augen oder ein Verhalten vor Augen und ein gutes Gefühl, was einem ein guter Freund gibt in ganz unterschiedlichen Situationen, und dann in der Tat dieser Wechsel auf einen selbst und die Frage: Bin ich das selbst zu mir? Kann ich das zu mir sein? Was tut es? Und da glaube ich, kann man noch ganz viel Potenzial auch erschließen, indem man, wie Du sagst, auch sich selbst gegenüber, immer positiver ist und gerade, wie Du es ja auch beschreibst, wenn man jemand ist, wo ich mich auch dazu zählen würde, der total viel lernen möchte und der sich entwickeln möchte. Dann kommt er ganz viel über die Lücke und ganz viel über das: Wo bin ich heute und wo könnte ich hin und wo möchte ich hin? Und damit auch eine eher kritische Haltung natürlich zum Hier und Jetzt. Und ich glaube, gerade dann ist es wertvoll, wenn es einem, wenn es uns gelingt, diese positive Stimme ab und zu auch innerlich in uns zu tragen und ein bisschen diesen Druck auch herauszunehmen und daraus dann wieder Kraft zu schöpfen und dann nach vorn zu gehen.
Kirsten Patzki: Ja. Und wie Du sagst: Was ist eigentlich ein guter Freund? Der hat genau für mich so dieses wohlwollende, gute Gefühl und gleichzeitig darf der ja auch mal kritisch sein und ehrlich sein und einfach sagen: „Hey Kirsten, ganz ehrlich, also das war jetzt wirklich nicht so toll.“ Und ich glaube, das ist auch das, was ich, wenn ich so in meinen kleinen, feinen, sehr engen Freundeskreis schaue, was ich bei denen am meisten schätze, dass eine Freundin auch mal zu mir sagt: „Du ganz ehrlich, also ich finde, das hättest Du echt anders machen können.“ Aber auf eine sehr wohlwollende Art und Weise und dann gleichzeitig auch irgendwann mal wieder zu sagen, jetzt ist aber auch gut. Also jetzt holen wir uns mal einen Kaffee und setzen uns in die Sonne und genießen einfach das Leben, so wie es ist.
Rainer Münch: Ja, in der Kommunikation mit Freunden oder auch in Partnerschaften wird ja auch immer mal wieder differenziert, dass man mitunter Advice möchte und mitunter aber auch nur Comfort. Also dieses auch einfach mal so ein bisschen Zuhören und Zuspruch und einfach eine emotionale Unterstützung, die da ist. Und ich finde auch da wieder, wenn man das auf sich selbst überträgt, diese Balance zu finden zwischen: Wo hilft mir eine kritische Reflektion und Analyse weiter – und wo eben auch nicht? Und wo kann ich für mich selbst auch einfach mal ein gutes Gefühl so stehen lassen und sagen, das ist einfach gut gemacht? Und das einfach auch mal abspeichern als positiven Moment und nicht schon wieder, „ja, aber und man könnte doch“. Dann glaube ich, geht es ja auch so ein bisschen um das Energiemanagement und wo kann ich die Batterie auch mal einfach aufladen und es mal zulassen, um dann wieder sozusagen anzugreifen.
Kirsten Patzki: Absolut. Und ich habe auch für mich so ein bisschen gelernt: Die Batterie muss am Ende des Tages nicht immer leer sein. Das war für mich eine der meisten Aha-Momente, wo ich irgendwann so dachte, weil ich ganz oft denke, ah ich habe ja noch was und ich kann noch dies machen und ich kann noch das machen und dann gehe ich noch zum Sport und so. Und einfach auch zu sagen: Es ist total okay, wenn noch 10 Prozent da sind. Wie bei so einem Handy. Dass ich nicht immer gucken muss, wenn es wirklich ganz aus ist, sondern dass ich einfach wirklich sagen kann: Nein, es ist total okay, dass da einfach ein bisschen Energie übrig ist. Und ich versuche da gerne, das Leben so ein bisschen als Experiment zu sehen. Irgendwie denke ich dann: Na ja, es hat ja jetzt noch keiner vor mir dieses Leben genauso gelebt. Irgendwie gibt es da keinen richtigen oder falschen Weg, sondern ich möchte es so ein bisschen ausprobieren. Und manchmal falle ich hin und dann stehe ich wieder auf und manchmal denke ich eher, ist doch eigentlich auch sehr schön so.
Rainer Münch: Wie ist denn dann Deine Antwort auf die Frage: Bist Du Dir selbst ein guter Freund?
Kirsten Patzki: Ja. Der Kritiker in mir würde jetzt sehr gerne sagen: „Ja aber“. Und vielleicht darf ich es auch einfach mal stehen lassen und sagen: „Ja, bin ich“.
Rainer Münch: Ein sehr schönes Schlusswort für unsere Podcast-Episode. Liebe Kirsten, herzlichen Dank für das Gespräch. Es hat mir eine große Freude bereitet. Ich hoffe, Dir auch und bis zum nächsten Mal.
Kirsten Patzki: Vielen Dank Dir, Rainer.