Rainer Münch: Willkommen bei Purpose versus Profit. Ich bin Rainer Münch und ich unterhalte mich hier mit meinen Gästen über die Werteorientierung im Geschäftsleben. Mein heutiger Gast Florian Kolf bringt einmal eine ganz neue Perspektive in den Podcast ein. Denn er ist weder Manager noch Gründer, sondern von ganzem Herzen Journalist. In den Handelsblatt-Räumlichkeiten in Düsseldorf sprechen wir über sein Purpose vs. Profit-Dilemma, die Verantwortung der Medien und über die aktuelle KI-Revolution. Mich hat sein klares und lautes Bekenntnis zu christlichen Werten sehr beeindruckt, und damit auch seine Selbstverpflichtung zu verantwortungsbewusstem Journalismus. Und nun viel Spaß mit der heutigen Folge.
Florian Kolf ist Teamleiter Familienunternehmen, Handel und Konsum beim Handelsblatt. Nach dem Studium der Volkswirtschaft und Politik in Köln absolvierte er die verlagseigene Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten. Neben dem Handelsblatt schrieb er als Redakteur bereits für die WirtschaftsWoche, das Magazin Capital und das Magazin Euro. Er ist Vater von zwei erwachsenen Töchtern, und in seiner Freizeit macht er gerne Sport sowie Unternehmungen mit Freunden. Lieber Herr Kolf, herzlich willkommen bei Purpose versus Profit.
Florian Kolf: Ja, herzlichen Dank, dass ich eingeladen bin.
Rainer Münch: Herr Kolf, ich freue mich sehr, dass ich mit Ihnen mal 'ne ganz neue Purpose-versus-Profit-Perspektive in den Podcast bekomme, nämlich die der Medien. Und da möchte ich auch direkt einsteigen. Welche Verantwortung tragen denn aus Ihrer Sicht Journalisten, wenn es um die Werteorientierung in Gesellschaft und Wirtschaft geht? Was sind da so in Ihrer Erfahrung die Möglichkeiten und auch die Grenzen?
Florian Kolf: Ja, Grenzen auf jeden Fall, aber eben eine sehr große Verantwortung. Also, ich denke, es ist als Journalist nicht unsere Aufgabe, den Menschen irgendwelche Werte aufzudrängen oder vorzuschreiben, sondern es ist unsere Aufgabe, Werteorientierung vorzuleben, in dem was wir tun, wie wir schreiben, wie wir mit Themen, Geschichten, aber auch mit den Menschen umgehen, mit denen wir zu tun haben, da glaubwürdig zu sein und auch in gewisser Weise ja, eine Haltung zu zeigen, ohne Meinung aufzudrängen. Also das finde ich so sehr entscheidend, dass wir klar machen, wofür wir stehen, aber in unserer Berichterstattung das auch zurücknehmen und sachlich berichten. Aber trotzdem mit einer gewissen Grundhaltung.
Rainer Münch: Wenn Sie sagen: klar machen, wofür wir stehen. Wie ergibt sich dieses "Wir" aus der Balance zwischen dem Verlag, Ihrem Team, Ihrem Ressort und Ihnen persönlich?
Florian Kolf: Es ist klar, dass unser Verlag auch wertegetrieben ist. Wir sind ein Familienunternehmen, Dieter von Holtzbrinck ist unser Verleger, der auch, sehr stark auch ein wertegetriebener Mensch ist, dem auch gerade der unabhängige Journalismus unglaublich wichtig ist. Der macht das nicht hier, um Geld zu verdienen. Natürlich will er auch keinen Verlust machen, das ist klar. Aber er macht das in der Verantwortung für unabhängigen Journalismus. Und deswegen ist auch für das Handelsblatt unabhängiger Journalismus der wichtigste Wert, der unverhandelbar ist und über allem steht. Darüber haben wir uns auch, ein, man nennt das heute schön neudeutsch "Purpose" gegeben. Wir sind wertegetrieben. Das sind Werte wie Gemeinschaft, aber auch Eigenverantwortung, Mut, Klarheit, unter denen wir uns leiten lassen als Verlag. Natürlich auch Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft mit allen ihren Ausprägungen. Dazu kommen eben dann auch die persönlichen Werte der Redakteure, von denen sie sich leiten lassen. Und auch da finde ich es ganz wichtig eben, es sind Werte wie Fairness, Verantwortungsbewusstsein, auch da Klarheit ist für mich auch sehr wichtig, aber eben auch für mich beispielsweise die christlichen Grundwerte, die mich auch prägen und unter denen ich dann auch meine Arbeit mache. Ich bin ja eine Person, auch wenn ich arbeite, ich leg das ja nicht ab.
Rainer Münch: Mhm.
Florian Kolf: Ich bin ja kein Automat, der Artikel produziert.
Rainer Münch: Jetzt sind Sie schon länger dabei. Wie hat sich das denn verändert, dieser Rahmen über die letzten fünfzehn, zwanzig Jahre?
Florian Kolf: Ich denke, dass der Druck größer geworden ist. Ich bin dabei seit über 30 Jahren beim Handelsblatt. Ich habe 94 hier als Volontär in der Holtzbrinck-Schule angefangen. Damals haben wir ein reines Printprodukt gemacht, wo es auch viel schwerer war zu messen, was wir tun. Da war es noch einfacher, einfach zu sagen, wir schreiben einen Artikel, weil wir ihn so für richtig halten. Wir wussten aber gar nicht genau: Finden unsere Leser das auch? Wer liest uns eigentlich? Und heute ist alles messbar, bis ins Detail. Jeder Artikel online wird gemessen. Wie viel haben ihn insgesamt gelesen? Wie viel Abonnenten haben ihn gelesen? Wie viel Abos sind abgeschlossen worden von Leuten, die auf Deinen Artikel kamen, weil sie ihn unbedingt lesen wollten? Wie lange ist er durchgelesen worden? Wie tief ist er gescrollt worden? All diese Sachen werden gemessen und dadurch wird der Druck natürlich immer höher, erfolgreiche Artikel zu produzieren. Die Gefahr ist aber, dass man, wenn man, dass Erfolg nicht immer auch das ist, was die Werte hergeben. Also, natürlich für 'ne schnelle Überschrift, die oberflächlich skandalträchtig ist, kriegt man vielleicht mehr Klicks. Man muss aber dann schon sehen, möchte ich das so machen und vertreten? Und da ist der Druck natürlich groß geworden, weil einerseits klar, auch bei uns, wir sind ein profitorientiertes Unternehmen, wir sind auch getrieben von unseren KPIs, wie man so schön sagt. Aber grundsätzlich haben wir eben auch das journalistische Selbstverständnis, auch mal Artikel zu machen und zu schreiben, weil wir sie für relevant und wichtig halten, auch wenn sie vielleicht jetzt gerade nicht so gut nach den Zahlen performen.
Rainer Münch: Gibt es da auch positive Aspekte aus dieser unmittelbaren Messbarkeit, wo Sie sagen, da sind schon auch, da ist eine Resonanz da, die auch hilft, die es früher eben gar nicht gab?
Florian Kolf: Mit Sicherheit, natürlich. Das ist auf jeden Fall auch sehr hilfreich, weil man eben auf diese Weise sehr viel mehr über seine Leser erfährt. Wer sind die Leser eigentlich? Wofür, für welche Themen interessieren sie sich? Denn man muss sich darüber im Klaren sein: Schon dadurch, dass ich ein Thema setze, habe ich ja schon eine gewisse Verantwortung für die Vielfalt der Themen. Ich setze ein Thema, was vielleicht vorher keiner gesetzt hat und rücke diese Geschichte damit ins Rampenlicht. Und das hat ja auch einen Grund, weil ich es für relevant oder wichtig halte. Aber vielleicht sehen meine Leser das völlig anders und interessieren sich für völlig andere Themen. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist natürlich, dass man schon lernt, wie baut man einen Text auf? Wir bauen Texte heute völlig anders auf, als wir sie früher geschrieben haben. Man kommt schneller auf den Punkt, erklärt schneller: Warum machen wir das eigentlich hier? Man macht einen Einstieg, aber dann relativ schnell, was wir „Portal“ nennen, wo man dem Leser die Relevanz klarmacht: Warum solltest du das hier lesen? Und da muss man sich auch selber dann viel stärker fragen: Ja, warum mache ich das eigentlich hier? Mache ich das hier, weil mir das gerade jemand erzählt hat, weil ich vielleicht meinem Gesprächspartner einen Gefallen tun will, dass ich das publiziere, damit er mir morgen wieder was erzählt? Aber wenn es den Leser nicht interessiert, warum mache ich es dann? Also da wird man auch schon geerdet, um zu sagen: Pass mal auf, konzentriere Dich drauf. Dein wichtigster Kunde ist der Leser und den musst Du letztlich glücklich machen mit deinen Artikeln. Und dass nichts anderes, zeigen die Zahlen, die wir messen.
Rainer Münch: Ich komme noch mal zurück zu diesem Spannungsfeld Purpose versus Profit im Medienkontext. Würden Sie denn sagen, da ist ein Medienunternehmen noch mal besonders gefordert und stärker gefordert als ein Nicht-Medienunternehmen und als Unternehmen, über die Sie schreiben? Oder würden Sie sagen, es ist einfach anders?
Florian Kolf: Das ist schwer zu sagen. Ich denke, dass sich der Purpose und die Tatsache, dass wir einen Purpose haben, für uns selbstverständlicher ergibt als für die meisten Unternehmen. Viele Unternehmen suchen ja manchmal auch verzweifelt nach ihrem Purpose und manchmal wirkt er auch arg konstruiert und dann gibt es ja auch Glaubwürdigkeitsprobleme. Bei uns ist es ganz klar, aus unserem Auftrag heraus unabhängigen Journalismus zu machen. Wir sind auch, ich will es jetzt nicht überhöhen, aber wir sind auch ein Teil der Demokratie, die sogenannte vierte Gewalt. Wir haben da eine große Verantwortung, Menschen aufzuklären, zu befähigen, mit Demokratie, mit Wirtschaft, mit allem besser umgehen zu können. Das ist ja unsere Aufgabe. Und daraus ergibt sich für uns automatisch auch ein Purpose. Und der ist extrem wichtig. Und der steht eigentlich grundsätzlich über allem. Wir haben auch ethische Standards, wie wir Artikel schreiben, Quellenlage, dass Informanten nicht gefährdet werden, dass Menschen, die vielleicht nicht mit einem Namen genannt werden, wenn ihnen daraus Nachteile erfolgen würden, also dass man da auch sehr, sehr vorsichtig mit umgeht, wie berichte ich, und ständig darüber nachdenkt, welche Folgen hat meine Berichterstattung für Menschen, für Unternehmen, für die Demokratie? Das ist für uns total zentral wichtig und steht eigentlich über allem.
Rainer Münch: Wie muss ich mir diese Purpose-Entwicklung oder Formulierung beim Handelsblatt vorstellen? Wie lief das ab? Wurden da die Redaktionen, die Mitarbeitenden einbezogen, oder?
Florian Kolf: Ja, sicher. Das ist ein langer Prozess, wobei das Ergebnis am Schluss eigentlich keinen überrascht hat, weil es wirklich ganz automatisch sich ergibt aus dem, was wir tun. Und das, finde ich, so sollte es auch sein, dass ein Purpose nicht hinter: „Och, das ist doch unser Purpose“, sondern dass man sagt: „Ja klar, hätten wir gar nicht aufschreiben brauchen. War doch selbstverständlich.“ Dann ist der Purpose gut.
Rainer Münch: Da würde ich Ihnen 100 Prozent zustimmen.
Florian Kolf: Und genau so ist es bei uns im Grunde auch gelaufen, dass dann natürlich irgendwann der Verlag meint, wir müssen das auch verschriftlichen, auch nach außen hin, aber alle genickt haben und gesagt: Ja, genau, das sind unsere Werte. Das ist ganz klar. Was ich eben aufzählte mit Klarheit, mit Gemeinschaft, aber auch Vielfalt, Eigenverantwortung. Das sind die Sachen, die wir eigentlich permanent hier auch leben. Und deshalb ergab sich das für uns eigentlich ganz harmonisch und selbstverständlich, dass das irgendwann dann auch mal nach außen sichtbar in ein, in Worte gefasst wurde.
Rainer Münch: Kriegen Sie Feedback von außen auf diesen Purpose, also von Ihren Lesern, Leserinnen oder auch von Bewerbern oder Volontären? Ist das ein Thema, was präsent ist, auch außen oder ist es mehr, wenn man drin ist?
Florian Kolf: Ehrlich gesagt, ehrlich gesagt nicht. Natürlich gehen auch schon mal Leserbriefe und Leserreaktionen ein bisschen in diese Werterichtung, sei es irgendwie Fairness, sei es Klarheit. Das trifft schon mal natürlich die Punkte, aber gezielt angesprochen worden auf unsere Werte bin ich noch nie. Nein.
Rainer Münch: Sie hatten das schon ein bisschen angeschnitten –, aber wie würden Sie Ihre persönlichen Werte beschreiben? Was ist für Sie der Nordstern für Ihr Handeln?
Florian Kolf: Also ich würde schon sagen: Fairness, Verantwortung, dieses Bewusstsein, dass Du dadurch, dass Du schreibst, eine Bühne gibst den Themen, eine immense Verantwortung hast. Und ständig darüber nachdenken, was hat, welche Folgen hat Dein Tun? Es gibt ja so ganz praktische Folgen, wenn ich über ein Unternehmen schreibe, kann das bis hin gehen zur Insolvenz, wenn ich irgendwelche Bilanzfehler aufdecke oder aber behaupte, Unternehmen wäre nicht kreditwürdig, kriegt keine Kredite mehr. Das ist ja alles schon passiert damals. Man kennt Leo Kirch, die Geschichte mit der Deutschen Bank. Das ist immer so als mahnendes Beispiel auch von unseren Hausjuristen: Passt auf. Das sind so Sachen, aber auch für Menschen, die darf ich natürlich... Ich muss mit meinen Gesprächspartnern fair umgehen, darf sie nicht, weil es mir gerade gut in den Kram passt, irgendwie lächerlich machen oder bloßstellen. Das sind für mich ganz wichtige Sachen, dass hinterher die Leute sagen: Ja, war zwar kritisch die Geschichte, aber fair. Das ist für mich so dieses, der wichtigste Maßstab, wenn ich hinterher den Leuten noch in die Augen gucken kann, auch über die ich sehr kritisch berichtet habe und die trotzdem nicht sagen: Mensch, der war unfair zu uns. Das ist für mich, so glaube ich, ein ganz wichtiger, zentraler Punkt. Ich denke auch, dass der Leser ein Recht dazu hat, wirklich ausgewogen und umfassend informiert zu werden durch das, was ich tue. Also ich darf nicht verkürzen, um einen gewissen Spin reinzubringen, um eine schöne Überschrift zu kreieren, dann Fakten weglassen. Dann lasse ich lieber die Geschichte ein bisschen weniger knallig wirken, dafür, dass sie aber vollständig ist und alle Seiten dargestellt werden. Was ich ganz wichtig finde, ganz klar bei jedem Thema: Alle Seiten, alle Beteiligten müssen dargestellt werden, müssen zu Wort kommen. Und nur dann ist es wirklich auch ein guter journalistischer Beitrag. Das ist wichtiger für mich als die Zahl der Klicks für die tolle Überschrift.
Rainer Münch: Ist das für Sie ein sehr intuitiver Prozess, wo Sie sagen, in der Regel haben Sie da ein ganz gutes Gefühl, wo Sie da liegen? Oder ist es ein sehr bewusstes Korrektiv, wo Sie dann auch regelmäßig sich hinterfragen, zu sagen: Kann ich das so schreiben? Erfüllt es meine Grundsätze und die Grundsätze des Verlags? Oder wie muss ich mir das vorstellen?
Florian Kolf: Beides. Es ist natürlich eine Sache der, auch der handwerklichen Routine, dass man einfach ganz selbstverständlich automatisch, wenn man eine Geschichte angeht, sich einen Rechercheplan macht und dann auch alle Beteiligten auftauchen. Ich muss die Meinung, und die Meinung einhören und den, den befragen. Grundsätzlich, wenn wir über irgendwas berichten, brauchen wir zweite, dritte Stimmen, Experten, die es unabhängig einordnen. Das ist im großen Ganzen ist es Handwerk. Manchmal muss man sich's noch mal bewusst in Erinnerung rufen: Oh, Moment, hier sind wir vielleicht zu schnell, weil uns die Geschichte zu selbstverständlich erschien, nach vorne geprescht. Da müssen wir vielleicht noch mal 'ne Schleife drehen und noch mal, einfach noch mal eine Ebene reinziehen und noch mal nachfragen irgendwo. Da hilft dann eben auch, wenn man sich gegenseitig mal auf die Geschichten guckt. Bei uns ist ja ganz klar: ein Autor, eine Autorin schreibt, dann wird, einer redigiert. Es gibt noch Korrekturleser, es gibt noch 'ne Ressortleitung, die häufig draufguckt, mal 'ne Chefredaktion. Also wir haben sehr viele Instanzen, die auch noch mal drübergucken und sagen: Moment, also das scheint mir jetzt noch nicht... Oder: Hast Du …? Oder: Fehlt das nicht? Also da gibt es auch noch Korrektiv innerhalb unserer Organisation, aber das Meiste ist wirklich handwerkliche Routine, die automatisch mitgedacht wird.
Rainer Münch: Wie häufig kommt's denn vor, dass Sie dann so 'n Artikel geschrieben haben oder am Schreiben sind und Sie denken: Boah, das wär jetzt ne Hammer-Schlagzeile, die würde wirklich auch gut fliegen und funktionieren, aber die ist zu verkürzt, die ist zu einseitig. Das mach ich nicht. Also gibt's die Momente, wo Sie wirklich da auch hadern und sagen: Ja, für die Auflage wär's gut, aber das, das mache ich nicht?
Florian Kolf: Ja, definitiv. Das kommt immer wieder vor, dass wir dann ringen, wie weit kann man eine Schlagzeile zuspitzen, ohne sie zu überspitzen. Das ist was, wo wir eigentlich täglich mit konfrontiert sind, wo dann eben auch noch mal in der Diskussion mit denen, nämlich unser Chef vom Dienst und unserer Schlussredaktion, die natürlich die Artikel noch schöner machen wollen für die Verkaufe, die dann auch sagen: Ja, kann man noch...? Und dann spielen sie zurück: Geht die Überschrift noch? Und ich sage: Nee, die geht jetzt nicht mehr, aber vielleicht können wir das noch. Da ringen wir eigentlich sehr, sehr häufig dran, wie weit darf man eine Schlagzeile zuspitzen? Ich freue mich auch, wenn eine Schlagzeile knallig ist und gut funktioniert, solange sie dann wirklich auch gedeckt ist und ich hinterher noch in den Spiegel gucken kann. Und da kämpfen wir uns immer so ein bisschen mit dem-- drehen das Zahnrädchen immer so, dass wir sagen: Okay, bis hier geht's. Das ist häufig so, dass wir da, das ist auch so ein Spiel natürlich manchmal. Ja.
Rainer Münch: Und ist schon vorgekommen, dass Sie hinterher irgendwie gedacht haben: Oh, da war ich jetzt vielleicht ein bisschen zu sehr auf die Auflage fokussiert und das hätte ich vielleicht ein bisschen vorsichtiger formulieren sollen?
Florian Kolf: Ja, sicher. Wäre unehrlich, da nein zu sagen. Das kommt schon vor, dass man auch einfach der Spaß an der Geschichte mit einem durchgeht und es manchmal auch Sachen erscheinen, wo man hinterher sagt: Mm, na ja, hättest Du vielleicht jetzt ein klein bisschen rausnehmen können. Oder dann: Ein Leser kommt, oder—ne. Das ist ja auch ein natürliches Korrektiv, sind die Leser dann, die sagen: War diese Schlagzeile wirklich nötig? Und Du denkst Dir: Nee, hat er eigentlich recht. Das kommt schon auch schon mal vor, ja. Aber eigentlich versucht man schon, das vorher sauber zu regeln.
Rainer Münch: Gibt es denn Artikel, wo Sie sagen, da können Sie sozusagen Ihre Werteorientierung noch mal besonders gut auch ausdrücken und ausleben und wo Sie sagen, da haben Sie dann einfach als Medium auch einen sehr positiven Einfluss?
Florian Kolf: Auf jeden Fall. Ein Beispiel, was jetzt gerade aktuell war, ist das sogenannte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das ja ermöglichen soll, also dass großen Websites vorschreibt, dass sie ihre Website so gestalten müssen, dass sie zugänglich auch für Menschen mit Behinderung sind und da auch klare gesetzliche Vorschriften sind. Das war ja jahrelang bekannt, wurde dann immer geschludert und viele Unternehmen haben es nicht eingehalten. Und ich habe das bewusst als Thema vorangetrieben, wohlwissend, dass es nicht schlagzeilen- und klickträchtig ist. Aber mir war das Thema wichtig, weil ich sagte, das ist ein Thema, worauf wir auch als Handelsblatt aufmerksam machen müssen. Wir haben dann auch Untersuchungen in Auftrag gegeben, wie viele Websites die Standards schon erfüllen. Zu zwei Stichpunkten: Einmal ein paar Monate vorher, einmal jetzt zum Inkrafttreten des Gesetzes mit erschreckenden Ergebnissen und darüber auch große Artikel gemacht. Und das ist auch nie infrage gestellt worden von der Redaktion, dass wir das auch so machen sollen und machen dürfen, weil wir gesagt haben, das Thema ist relevant. Das ist uns einfach auch wichtig, dieses Thema Inklusion, Teilhabe für alle Menschen, weil wir ja auch als Handelsblatt eben uns zum Ziel gesetzt haben, alle Menschen dazu zu befähigen, am Leben, Wirtschaftsleben teilzunehmen. Und das ist ja genau so ein Thema, was dann auch in unsere Werte passt. Und deswegen war mir dieses Thema unglaublich wichtig und ich habe dann auch, dann einfach auch nicht drauf geguckt, wie es klickt, sondern einfach gesagt, das ist ein Thema.
Rainer Münch: Ich hatte Sie ja wie all meine Gäste gebeten, auch einen Wertegegenstand mitzubringen, der sozusagen Ihre Werte repräsentiert, der etwas für Sie darstellt. Und Sie haben ja ein kleines Kreuz mitgebracht, ein Steinkreuz, ich sag mal, so wahrscheinlich acht Zentimeter hoch, und es steht auf so 'nem kleinen ovalen Sockel. Was hat's mit diesem Kreuz auf sich? Was verbinden Sie damit, inwiefern repräsentiert es Ihre Werte?
Florian Kolf: Das, ich hatte es ja eben schon kurz angesprochen, repräsentiert meine christliche Grundhaltung, meine Erziehung. Ich bin groß geworden, in den, mit diesen Werten, von meinen Eltern vermittelt. Und auch wenn ich heutzutage immer öfter mit dem Bodenpersonal Gottes hier auf Erden hadere und dem, was sie so tun, ist es trotz allem für mich ein wichtiger Leitfaden, die Grundwerte. Ich habe irgendwann mal dieses Kreuz entdeckt, das gefiel mir, und hab mich, und seitdem steht es eigentlich, stand es immer auf meinem Schreibtisch im Büro. Und das Interessante ist, dann kommen Leute und gucken und sagen: Ach, Du hast da ein Kreuz stehen. Warum denn? Und dann kommt, plötzlich kommt man ins Gespräch und kommt ins Gespräch eben auch: Ja, warum steht das da? Und kommt dann auch über Werte, genauso im Gespräch, wie wir jetzt hier führen, entsteht dann plötzlich am Arbeitsplatz, wo es normalerweise nicht entstehen würde. Das ist so ein, im ersten Blick ist das so dieses Kreuz, vielleicht so ein kleiner Störfaktor. Man erwartet es nicht auf einem Schreibtisch. Und dann war das Feedback aber von den Kollegen und Kolleginnen eigentlich immer sehr positiv, weil sie sagten: Mensch, das ist interessant, dass einem das wichtig ist und er stellt es sich dann eben auf den Schreibtisch. Und das begleitet mich jetzt schon seit vielen, vielen Jahren und manchmal erinnert's auch so ein bisschen dran, wo man herkommt.
Rainer Münch: Haben Sie die christliche Prägung auch an Ihre Kinder weitergegeben?
Florian Kolf: Grundsätzlich ja. Aber es ist natürlich in der heutigen Zeit extrem schwierig, ihnen noch klarzumachen, warum das wichtig ist, wenn man eben, ich sagte gerade, das Bodenpersonal, wenn man sieht, was, was alles im Rahmen der Kirche jetzt heutzutage passiert. Ich glaube, dass Kirche nicht mehr in der Lage ist, junge Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit wirklich auf Augenhöhe zu begegnen. Die Themen, die für sie relevant sind, wirklich auch aufzugreifen. Und deshalb denke ich, die Grundwerte habe ich ihnen gut mitgegeben, aber kirchlich sind sie jetzt nicht mehr. Nein.
Rainer Münch: Welche Hoffnung sehen Sie, dass die Kirche einen positiven Beitrag leisten, noch leisten kann in der Gesellschaft, was Werteorientierung angeht, nach vorne gerichtet.
Florian Kolf: Sagen wir mal so, sie könnte. Sie hätte eine große Möglichkeit. Sie ist eine weltumspannende Organisation, extrem wertegetrieben, parteiisch nur für den Menschen, und zwar für die Menschen, denen es nicht gut geht. Also könnte eine Kirche auch so selbst politisch wirklich wirken in dem Sinne, dass sie die Mächtigen daran erinnert, eben die Schwachen nicht zu vergessen. Und: Es wird immer gesagt, Kirche soll nicht politisch sein, soll sich nicht einmischen. Doch! Ich glaube, Kirche muss sich einmischen. Selbst Jesus hat sich damals politisch eingemischt. Der war auch unbequem. Und das ist genau was, was heute auch, denk ich, wichtig ist, dass man auch da so ein staatenunabhängiges Korrektiv hat, einen Mahner, der sagt: Pass mal auf, erinnert euch bitte daran, was wir für wichtige Werte vertreten sollten. Und vielleicht ist der Papst, den wir jetzt haben, einer, der das kann. Er wird ja immer als politischer Mensch, als politischer Papst gesehen. Das muss man jetzt sehen, wie sich es entwickelt. Aber ich glaube, so eine unabhängige Stimme in der Weltpolitik, die heutzutage ja immer verrückter wird, würde gar nicht schaden.
Rainer Münch: Ja, ich denk' mir manchmal, wenn man so auf die Situation in der Gesellschaft schaut und die Konflikte auf der Welt in unterschiedlichsten Formen und auch zwischen verschiedenen Menschen und Völkern…, da könnt man ja fast auf die Idee kommen, so etwas wie die Kirche zu erfinden als Idee, um da sozusagen das Ganze zu befrieden und über die dann doch häufig gemeinsamen Werte auch zu verbinden und diese Wertegrundlage zu stärken. Und leider, leider haben wir die Institutionen und es gelingt ja trotzdem nicht. Also was gibt Ihnen da Hoffnung, dass es nach vorne vielleicht noch mal 'n positiveren Einfluss geben kann durch die Kirche?
Florian Kolf: Gute Frage. Ich weiß gar nicht, ob ich die Hoffnung wirklich habe. Es ist, ich sage, es könnte sie sein. Ich sehe es im Moment wirklich nicht, dass da im Moment sich was tut. Gerade wenn man auf Deutschland guckt, ist die Kirche so fern der Menschen, wie sie schon lange nicht mehr war. Es wäre schön, wenn sie diesen Einfluss hätte. Ich glaube aber, ich sehe es im Moment nicht, dass sie da wirklich groß was tun. Wenn man sich unsere Gesellschaft anguckt und auch weltweit die Gesellschaften anguckt: Die Werteorientierung nimmt meines Erachtens eher ab. Es wird sehr viel stärker auf den eigenen Vorteil geschaut. Es werden Deals gemacht, statt irgendwie grundsätzliche, werteorientierte, auf Augenhöhe funktionierende Beziehungen gepflegt. Ich denke, da sind wir eher auf dem Rückzug, was Werte angeht.
Rainer Münch: Das ist direkt eine schöne Überleitung zu der großen moralischen Frage, die ich mitgebracht habe. Da geht es jetzt gar nicht nur speziell um Sie und das Handelsblatt, sondern um die Medienbranche einfach allgemein. Wir haben es auch schon angeschnitten, dass heute sehr viel gearbeitet wird mit Vereinfachung, mit Verkürzung, auch mit Polarisierung. Es ist sehr KPI-orientiert, Klicks sind hoch im Kurs und damit werden natürlich auch diese Spaltungen zum Teil verstärkt oder vielleicht hier und da sogar provoziert durch die Medien. Wie sehen Sie da die Verantwortung für die Medien und wo führt das noch hin, wenn man das weiterdenkt und immer stärker zugespitzt wird und auch aufgewiegelt wird vielleicht an manchen Stellen?
Florian Kolf: Das ist eine sehr bedenkliche Entwicklung, mit Sicherheit. Was wir erleben, ist ja ein immer stärkeres Verschmelzen von klassischen Medien bis hin zu Qualitätsmedien, wozu ich das Handelsblatt zähle, mit dem ganzen Bereich der Social-Media-Öffentlichkeit. Und ich habe die Befürchtung, dass immer weniger Menschen bewusst ist, wo da die Unterschiede liegen. Es wird alles als eins gesehen und ob jetzt jemand sich auf Social Media äußert oder ein Handelsblatt einen recherchierten, mit vielen Quellen belegten Artikel veröffentlicht: Da ist ein großer Unterschied und viele Menschen erkennen das aber nicht mehr und sagen: Ja, aber da stand doch das. Warum sagst Du jetzt das? Also das ist so, dass man da, also auch die Medienbildung der Menschen sehr stark abgenommen hat. Und deshalb ist die Gefahr sehr groß, dass dann eben auch diese Aufmerksamkeit erheischenden Mechanismen des Social Media auf die Medienbranche überschlagen. Schön wäre es, wenn die Medienbranche so viel Einfluss haben könnte auf die Menschen, dass sie dann die Standards auch im Social Media erwarten. Ich glaube, das wird nicht kommen. So groß ist einfach unser Einfluss nicht mehr. Aber ich habe da schon große, große Sorgen, dass immer weniger Menschen hinterfragen, was ist eigentlich-- was ist diese Information eigentlich wert? Welche Quelle hat sie? Wie, wie seriös ist diese Information? Und die gar nicht mehr genau wissen, wie informiere ich mich wirklich gut? Und da sehe ich für uns eine riesige, riesige Verantwortung, aber auch eine riesige Chance, einfach mehr darüber zu sprechen, wie wir arbeiten, was eigentlich Journalismus ausmacht. Das haben wir früher nie gemacht. Das machen wir mittlerweile sehr, sehr stark, dass wir auch nach draußen gehen, mit unseren Lesern reden, auch klarmachen, was für uns guter Journalismus ist und was wir da für einen Aufwand betreiben, damit der da ist, um damit immer mehr Menschen klarzumachen, wie wichtig es ist, sich seriös und gut zu informieren. Und da sehe ich ganz groß unsere Aufgabe.
Rainer Münch: Ich frage mich da ja fast, ob KI da auf mittlere Sicht nicht sogar hilfreich sein kann in dem Prozess. Denn wenn wir mal ein paar Jahre nach vorne schauen, dann wird's ja so sein, dass egal ob jetzt Videos oder Fotos oder Artikel, dass ganz vieles davon ist einfach künstlich generiert, ohne, ohne Substanz. Und ich kann mir vorstellen, dass es so weit weg geht von, von der Substanz und von den Inhalten, dass es auch die, der Großteil der Gesellschaft realisiert und dass es dann vielleicht eine Rückbesinnung geben könnte: Wie informiere ich mich eigentlich richtig und wie differenziere ich und wie sortiere ich? Würden Sie es teilen oder sind Sie da kritischer?
Florian Kolf: Ich glaube, es wird sich spalten. Was uns helfen wird, ist, dass einfache Tätigkeiten, für die es auch wirklich nicht viel journalistischen Sachverstand braucht, von der KI übernommen werden können. Natürlich kann KI eine schnelle Meldung generieren aus klaren Sachverhalten, mit dem-- mit dem man sie füttert. KI kann tolle Bilder machen. Wir machen auch schon Illustrationen mit, mithilfe von KI, kann uns helfen, schnell aus Daten eine Grafik zu machen. Es gibt so viele, vielfältige Einsatzmöglichkeiten, wo KI helfen kann, schnell irgendwelche Datenmengen zu analysieren, was für uns Tage und Wochen in Anspruch genommen hätte. Entscheidend sind zwei Sachen. Zum einen, dass wir uns klare Regeln geben, wie wir mit der KI umgehen, wie wir sie einsetzen und wo wir sie einsetzen, uns nicht darauf verlassen, dass die KI jetzt selbstständig Sachen machen kann, die dann auch die Qualität, der Qualitätsanforderungen entsprechen, die wir haben. Wir müssen das schon überwachen und klar steuern. Und das Zweite ist, dass man sehr, sehr klar kennzeichnen muss, wo KI zum Einsatz gekommen ist, gerade als Medium, dass man sagt, dieses Bild ist mithilfe von KI erstellt worden. Hier ist eine Meldung mit KI erstellt worden. Hier ist KI für dies und jenes zum Einsatz gekommen. Und wenn man das regelmäßig macht, wird der Leser und Nutzer auch klarer kriegen: Was ist eigentlich die die Aufgabe von KI? Und was können die riesigen Vorteile von KI sein? Aber es gibt eben auch große Gefahren, dass heutzutage selbst super echt wirkende Videos schon komplett von KI erzeugt werden und damit natürlich vermeintliche Beweise erzeugt werden, die aber keine sind, weil sie fake sind. Und die Gefahr ist riesengroß und das wird ja gerade in Social Media häufig schon eingesetzt mit gefälschten Videos, gefälschten Bildern, auch gefälschten angeblichen Dokumenten, die sehr täuschend echt nachgebaut werden können mit KI. Und da ist eine sehr große Gefahr, wenn wir nicht wirklich das sehr offensiv spielen, wie, dass und wie wir KI einsetzen, wofür, das auch kennzeichnen. Das finde ich ganz, ganz wichtig. Und wenn wir das alles gut machen, kann das gut ausgehen. Aber die Gefahren sind extrem groß. Auch, dass es bewusst missbraucht wird.
Rainer Münch: Ja. Ich muss da immer an Fußball denken. Und warum an Fußball? Weil dort wurde der Videobeweis eingeführt, weil einfach der-- das Video ganz lange Zeit für, für 'ne ganz hohe Beweiskraft stand. Das, was ich auf Video habe, ist wirklich bewiesen. Und genau das wird ja momentan extrem relativiert. Und es wird nicht mehr lange dauern, wo ich eben Videos ganz grundsätzlich nicht mehr vertraue, weil diese KI-Kennzeichnungen, die werden manche machen, aber viele auch nicht.
Florian Kolf: Denkbar wäre ja, dass irgendwann künftig der Videoschiedsrichter gehackt wird und jemand von außen mit KI einfach die Bilder manipuliert. Theoretisch, ich weiß nicht, ob das technisch schon möglich ist, aber stellen wir uns das mal vor. Dann hat man Sachen, wo man denkt: Boah, jetzt haben wir den Beweis und können endlich zeigen, dass es Abseits oder nicht Abseits war, und einer verschiebt da einfach dann mal eben den Fuß. Heute, heutzutage theoretisch mit KI möglich.
Rainer Münch: Ja. Und da bin ich gespannt darauf, was das dann auf lange Sicht eben auslöst, weil das kann ja auch positiv sein. Es kann ja auch dazu führen, dass wenn die Allgemeinheit diese kritische Würdigung auch entwickelt und wenn wir da Wege finden, vielleicht auch in den Schulen, das einfach früher den Kindern zu vermitteln, wie Informationen auch bewertet werden müssen, dann kann aus langer Sicht da ja was Positives auch entstehen.
Florian Kolf: Wir sehen das für uns als Handelsblatt als riesige Chance, dass wir uns wirklich auf die Dinge und die Artikel konzentrieren, wo wir mit unserem Handwerkszeug Mehrwert bieten können. Wir fragen uns, was können wir auch auf lange Sicht, was die KI nie können wird? So wie sich früher Händler fragen mussten: Was kann ich, was Amazon nicht morgen auch kann und dann schneller und besser und billiger macht? So müssen wir uns heute fragen, was kann, was können wir wirklich leisten, was die KI nicht auch kann? Und das ist eben genau dieses tiefgreifende Recherchieren, Hinterfragen, neue Fragen stellen, die noch nicht gestellt worden sind. Das kann die KI nicht. Wir können neue Dinge herausfinden durch unsere Kontakte, die wir haben, durch unsere Recherchen, die wir haben. Die KI arbeitet mit dem Vorhandenen, und mithilfe von Wahrscheinlichkeiten konstruiert sie daraus vermeintlich Neues, was aber eigentlich nichts Neues ist. Und wir können wirklich überraschend Neues dem Leser bieten, die Zusammenhänge tief analysieren und auch dafür garantieren, dass das, was wir nach unseren Recherchen, natürlich können wir immer uns irgendwo auch mal täuschen oder mal falschen Sachen aufsitzen, klar. Aber wir sorgen ja dafür durch unsere Checks und Balances, unsere vielen Quellen, dass die Geschichten wirklich stimmen, dass wir alle Zahlen überprüft haben. Und das kannst Du bei der KI nicht.
Rainer Münch: Arbeiten Sie heute schon mit KI?
Florian Kolf: Wir arbeiten im Redaktionsalltag mit KI. Wir haben ein eigenes KI Tool, das auch verschiedene Sachen machen kann, das uns bis hin zu Vorschlägen für Überschriften liefern kann. Natürlich Transkripts von Interviews, Übersetzungen, all das. Da arbeiten wir natürlich heutzutage ganz selbstverständlich mit KI, aber eben immer nur als ein Hilfsmittel, was nicht selbstständig was produziert, sondern uns unterstützt in unserer Arbeit. Die letztliche, das letztliche Ergebnis kommt von uns, aber die KI kann vielfältig da helfen, unterstützen auch mal dann bis hin zu, dass sie einfach Rechtschreibung, aber auch Stil. Eine KI kann wirklich Texte auch besser machen, weil die ja wirklich auf dem auf dem großen Wissen aufsetzt. Und wenn man die entsprechend gut füttert und gut promptet, kann man da auch wirklich extrem von profitieren und das ist bei uns schon im täglichen, in der täglichen Arbeit auch präsent, ja.
Rainer Münch: Würden Sie sagen, dass die KI in der Form, wie Sie's heute nutzen, ihre Produktivität und ihre Relation bereits signifikant erhöht hat? Oder sind wir da noch nicht?
Florian Kolf: Ohh. Was ist jetzt signifikant? Wir haben es nicht gemessen bisher und ich würde auch sagen, so richtig messen kann man's nicht. Aber es ist schon, bei manchen Sachen ist es ganz offensichtlich, wenn man vorher sich irgendwie hingesetzt hat oder stundenlang ein Interview abgehört hat und dann abgetippt, wenn Du heute ein Transkript bekommst, dass in Qualität ja auch immer besser wird und Du daraus dann relativ schnell ein Interview zusammenfassen kannst oder einen Text aus einem Gespräch machen kannst, das ist schon hilfreich. Allein da sieht man ganz klar, dass wir dadurch schon, ja, Effizienzvorteile auf jeden Fall haben. Aber im Detail messen ist schwierig.
Rainer Münch: Gehen wir mal zurück, von der Zeit der KI zur Zeit von Max Frisch. Da hatte ich Sie ja gebeten, sich mit seinen Fragebogen-Fragen auseinanderzusetzen und eine davon auszuwählen. Und Sie haben sich entschieden für „Wissen Sie in der Regel, was Sie hoffen?“ Warum sind Sie in der Frage hängengeblieben und was ist Ihre Antwort darauf?
Florian Kolf: Ach, das ist so eine Frage, die man sich selber nie stellen würde, über die ich einfach gestolpert bin, weil ich ursprünglich hätte ich mal gesagt: Natürlich. Klar. Klar weiß ich, was ich hoffe, was ich hoffen soll. Aber als ich die Frage las, dachte ich, sie spiegelt so ein bisschen auch diese Verwirrung, die eigentlich jeder spürt angesichts dieses Irrsinns, den man gerade auch weltpolitisch erlebt. Ständige Wolken von Sachen, die man gedacht hat, das geht, das ist nicht möglich, das kann doch nicht so sein. Und dass man plötzlich merkt, ja, ich hätte immer noch gehofft, dass das alles so seinen geregelten Weg geht und plötzlich sieht man, was für Folgen das alles haben kann, mit denen man nie gerechnet hatte. Kann ich mir heute hoffen, dass Putin morgen tot umfällt? Wo ich einfach sag, ich, ja, super, das ist doch der Oberschurke. Aber was kommt dann? Was kommt dann dahinter? Das wissen wir ja alles nicht. Will ich das wirklich hoffen oder wird's dann vielleicht noch schlimmer? Ich weiß es einfach nicht mehr. Das ist ja grade im Moment alles infrage gestellt, was wir eigentlich früher auch von unseren Werten her für selbstverständlich hielten. Da weiß man manchmal wirklich nicht mehr, was man hoffen soll.
Rainer Münch: Also würden Sie sagen, dass Sie in der Regel oder regelmäßig zumindest nicht wissen, was Sie hoffen?
Florian Kolf: Immer öfter. Immer öfter. Ich hatte früher gedacht, ja klar weiß ich in der Regel, was ich hoffe, aber ich, wenn ich ehrlich bin, muss man immer ständig sich auch dann irgendwie neu justieren und noch mal Sachen, die man früher für selbstverständlich hielt, infrage stellen. Ich sag's ganz ehrlich, ich habe als junger Mensch mit größter Überzeugung den Wehrdienst verweigert. Und jetzt stehen wir heute an einem Punkt, wo man das vielleicht auch ein bisschen neu justieren muss und sagen würde: Ja, aber vielleicht brauchen wir dann doch eine Armee, weil sich die Weltpolitik so geändert hat. Das sind Sachen-- früher hätte ich natürlich selbstverständlich darauf gehofft, dass wir keine Armee mehr haben, als junger Mensch. Das war doch für mich völlig klar. Ich war Pazifist, wie wahrscheinlich jeder zu dieser Zeit oder vielleicht wie die meisten. Ich bin heute auch noch im Herzen Pazifist. Aber plötzlich hoffst Du darauf, dass wir keine Armee mehr haben? Oh nein. Das hat Folgen. Und das sind so die Sachen, wo vieles infrage gestellt wird, was man eigentlich mal ursprünglich für selbstverständlich hielt.
Rainer Münch: Sie sagen, im Herzen sind Sie Pazifist. Und das ist das, was die Frage auch bei mir so ein bisschen auslöst, nämlich so diese Differenzierung zwischen dem Denken, dem Hirn und dem Herz, dem Fühlen. Also dieses Hoffen ist ja was eher Emotionales und das Wissen ist was Rationales. Und das finde ich nochmal auch eine spannende Facette in der heutigen Zeit, die so schnell geworden ist, dieses Innehalten und, und Spüren, Fühlen, eben was fühlt sich richtig und was falsch an? Und das dann eben auch in Resonanz zu bringen mit diesem, mit dieser rationalen Perspektive, wo Sie sagen, natürlich können wir uns überlegen, was ist jetzt gut und schlecht für die Welt und für die Wertentwicklung. Geht Ihnen das auch so, dass da diese emotionale Komponente auch mitschwingt und dass sie da versuchen, auch vielleicht hier und da mehr darauf zu achten?
Florian Kolf: Davon kann sich ja, glaube ich, keiner frei machen. In jedem gibt es die emotionale und die kopfgesteuerte, vernunftgesteuerte Komponente. Das eine gewinnt mal überhand, mal gewinnt das andere überhand. Das kommt an auf die Themen, auf die persönliche Verfassung an. Aber klar ist das natürlich auch ständig so ein bisschen im Widerstreit. Ich müsste jetzt aus Vernunftgründen eigentlich dieses tun oder diese Meinung vertreten, aber ich fühle gerade, dass das bei mir nicht passt. Klar, das merkt man ja eigentlich permanent in irgendwelchen Situationen. Ob es mehr wird? Ich glaube, es ist eigentlich im Menschen drin, dieser Widerstreit zwischen Kopf und Bauch, Kopf und Herz einen ja auch leitet. Man braucht beides.
Rainer Münch: Würden Sie sagen, dass Sie Ihren Job heute emotionaler erleben als vor 20 Jahren oder eher weniger?
Florian Kolf: Da sehe ich keinen Unterschied. Ich erlebe meinen Job wirklich auch, obwohl ich ihn natürlich mit dem Kopf betreibe, grundsätzlich sehr emotional, weil ich den nicht zufällig gewählt habe. Für mich ist Journalismus kein Beruf, den man so wie Verkäufer, Mechatroniker oder so einfach lernt. Es klingt ein bisschen pathetisch jetzt: Der Beruf ist auch eine Berufung. Ich würde keinem empfehlen, der nicht wirklich das in sich spürt und brennt für Journalismus, auch Journalist zu werden. Dafür sind auch die Aussichten vielleicht auch zu vage und die Bezahlung halt auch nicht immer perfekt. Ein sehr, sehr wichtiges Element ist eben genau diese emotionale Bindung an den Journalismus und dieser Wunsch, neugierig zu sein, aufzuklären, Transparenz zu schaffen, Sachen zu verstehen und anderen Menschen mitteilen zu können. Das ist was, was einen treibt in diesem Beruf. Ja, ganz wichtig. Und das hat sich glaube ich nicht geändert. Das hat-- so bin ich gestartet und wenn ich das mal irgendwann nicht mehr haben sollte, ich glaube, dann gehe ich. Dann lasse ich den Beruf.
Rainer Münch: Und mit dieser großen Leidenschaft für den Journalismus kommen wir auch zum Ende unseres Gesprächs. Das würde ich so stehenlassen wollen. Es hat mich wirklich ausgesprochen gefreut, Herr Kolf, Sie als Gast zu haben bei Purpose versus Profit. Und bis zum nächsten Mal.
Florian Kolf: Ja, vielen Dank.
(Das Gespräch fand statt am 10. Juli 2025.)