Handele ich aus einer Wir-Perspektive?

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Sebastian Wölke, Co-Gründer und CEO von no planet b, im Gespräch mit Rainer Münch

Sebastian Wölke und Rainer Münch

30 min read

Double Quotes
Wenn man aus einer Wir-Perspektive heraus handelt, dann ist es eigentlich selbstverständlich, dass man auch empathisch handelt, sein Gegenüber ernst nimmt als Mensch, zuverlässig ist und andere Perspektiven wertschätzt – auch wenn man nicht immer einer Meinung sein kann.
Sebastian Wölke, Co-Gründer und CEO

Sebastian Wölke ist Co-Gründer und CEO von no planet b. Bei Werten ist sein wichtigster Kompass, aus einer Wir-Perspektive heraus zu handeln. Dann sind für ihn auch Empathie und Wertschätzung für andere Menschen selbstverständlich.

In der aktuellen Folge beschreibt er, was er beim Gründen und Managen einer Beauty-Marke gemeinsam mit seiner Partnerin gelernt hat. Zudem gibt er zahlreiche persönliche Einblicke zu Themen wie Selbständigkeit, Konsum, Nachhaltigkeit und Purpose. Dies alles hängt auch zusammen mit seiner beeindruckenden Großmutter, die ein Vorbild für ihn ist.

Das Gespräch wurde aufgezeichnet im April 2024.

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Rainer Münch: Heute ist Sebastian Wölke zu Gast. Die Grundlagen seiner Karriere hat er bei Unilever gelegt, wo er die ersten fünf Berufsjahre im Marketing und Vertrieb verbracht hat, bevor er dann zu dm Drogeriemarkt auf die Händlerseite gewechselt ist. 2017 hat er dann gemeinsam mit seiner Frau Jessica die Marke no planet b gegründet, die nach einigem Auf und Ab heute in 13 Ländern bei dm mit neuen Pflegeprodukten präsent ist. Sebastian ist Vater von zwei Kindern und lebt in Bielefeld. Lieber Sebastian, ich freue mich sehr, dass Du heute im Podcast Purpose vs. Profit bei mir zu Gast bist.  

Sebastian Wölke: Vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich auch hier zu sein.  

Rainer Münch: Gerne möchte ich mit Dir heute drei Aspekte der Wertorientierung aufgreifen. Zunächst Deine persönlichen Werte und Deinen mitgebrachten Gegenstand, eine große moralische Frage bezogen auf Deine Tätigkeit und eine der Lebensfragen von Max Frisch. Beginnen möchte ich mit der Frage: Welche Werte spielen für Dich im Berufsleben denn grundsätzlich eine besondere Rolle? 

Sebastian Wölke: Ja, also ich versuche mich eigentlich immer ein Stück weit mit einer Frage zu beschäftigen. Und die geht in die Richtung, ob ich das, was ich gerade tue, aus einer Ich-Haltung heraus tue, sozusagen aus dem Ego-Mensch heraus, oder ob ich aus einer Wir-Haltung handele. Und das versuche ich ein Stück weit als meinen Kompass zu nehmen, weil: Wenn man aus einer Wir-Perspektive handelt, dann denke ich, ist es eigentlich selbstverständlich, dass man auch ein Stück weit empathisch handelt, dass man den Gegenüber ernst nimmt als Mensch, dass man zuverlässig ist, dass man andere Perspektiven auch wertschätzt, auch wenn man nicht immer einer Meinung sein kann. Und das ist für mich sehr, sehr wichtig, Menschen so gegenüberzutreten. Das andere, was für mich als Wert noch wichtig ist und für mich vielleicht auch ein bisschen ungewöhnlich ist als Marketeer: Ich denke es ist schon wichtig, dass wir auch als Gesellschaft demütig sind, auch ein Stück weit genügsam wieder sein können. Ich bewundere beispielsweise Menschen, die mit wenig auskommen, obwohl sie sich vielleicht materiell mehr leisten könnten. Also Menschen, die eigentlich die Möglichkeit hätten, im Luxus zu leben und trotzdem bodenständig weiterhin sind und auch einfach leben können. Das finde ich schon toll, weil ich glaube, am Ende ist es so, die Dinge besitzen uns ja und mit jedem Gegenstand kommen Verpflichtungen. Und ich glaube, es ist wichtig, gerade in der heutigen Zeit, auch materielle Dinge zu hinterfragen. Und ich versuche zumindest bei meinen Kindern eher in gemeinsame Zeit zu investieren, als das Kinderzimmer voll zu packen mit Spielsachen. 

Rainer Münch: Ja, kann ich gut verstehen. Sicherlich eine Ambition, die ich auch mit Dir teile, auch was die Kinder angeht, irgendwo die richtigen, die aus meiner, aus unserer Sicht richtigen Akzente früh zu setzen. Du hast am Anfang gesagt, dieser Kontrast: Ich-Bezug vs. Wir-Bezug ist für Dich irgendwo auch wichtig. Wer steht denn für Dich hinter „Wir“? Wie breit würdest Du das „Wir“ denn da fassen?  

Sebastian Wölke: Sehr weit. Also das ist für mich jetzt auch nicht nur auf Menschen bezogen. Ich meine, wir arbeiten jetzt bei no planet b auch sehr stark ressourcenorientiert. Auch nicht ohne Grund nennen wir die Produkte no planet b. Also da schließt sich der Kreis natürlich dann genauso zum Thema planetare Grenzen, zum Thema auch wie wir mit Tieren umgehen. Das gehört alles für mich auch am Ende dazu. Und insofern schließt das nicht nur Menschen mit ein. Das ist natürlich jetzt ein großer Kreis und als Unternehmer kann man diesen Kreis auch nicht immer komplett überblicken und dem Anspruch immer so hundertprozentig gerecht werden. Aber sich zumindest die Frage zu stellen: Was hat das für Auswirkungen auf das große Ganze? Das denke ich, kann man als Unternehmer schon tun und da versuchen, bestmögliche Lösungen zu finden.  

Rainer Münch: Und dieser Aspekt dieser Weisheit, sich da eben auch ein bisschen zu lösen von dieser materiellen Orientierung: Gibt es da Ansätze, wie Du das für Dich versuchst? 

Sebastian Wölke: Ja, also etwas, was natürlich ganz praktisch bei uns immer wieder geholfen hat, aber das haben wir erst später erkannt: Wir sind in den letzten Jahrzehnten extrem oft umgezogen beruflich bedingt. Und spätestens beim Umzug merkt man natürlich dann immer, wie stark sich auch die Dinge angesammelt haben. Und mir hilft das jetzt heutzutage immer mehr, mir die Frage zu stellen: Ist das etwas, was ich wirklich brauche, wenn ich vor einer Kaufentscheidung stehe oder nervt mich das beim nächsten Umzug? Also das ist eine ganz praktische Sache. Ist das wirklich etwas, was wir langfristig brauchen als Familie? Und das andere, was ich wirklich empfehlen kann, ist sich zu überlegen, auf wie viel Quadratmeter Fläche man zieht. Weil wir haben in England beispielsweise mit vier Personen auf weniger als 70 Quadratmetern gewohnt. Dort konnten wir automatisch nicht viel kaufen, weil es ein kleines viktorianisches Haus war. Da musste man sich immer die Frage stellen, wo soll es denn hin, wenn man etwas anschaffen wollte. Und dann sind wir in Deutschland das erste Mal zuerst in eine Mietwohnung gezogen, die deutlich größer war. Und oh Wunder, oh Wunder, dann haben sich diese Quadratmeter auch wieder gefüllt. Jetzt haben wir uns wieder verkleinert und es ist wirklich schön – in Anführungsstrichen – eine Begrenzung zu haben, dass man auch nicht einfach alles anschaffen kann. Und es ist nicht für alles Platz. Und man stellt dann immer wieder fest, es geht auch mit weniger. 

Rainer Münch: Was ich mich manchmal frage: Wenn dieser Konsumimpuls da ist, warum ist er da, und was für eine Befriedigung suche ich eigentlich damit? Ich finde es manchmal herausfordernd, da dann zu einer Lösung zu kommen, weil natürlich ist es einfach ein Bedürfnis und ein Wunsch nach so einem Glücksmoment, das man hat. Ich glaube das, was Du jetzt als die weisen Menschen bezeichnest: Die schaffen eben andere Wege, dieses Glück dann zu empfinden und zu finden. Und das finde ich aber zugleich ganz schön herausfordernd, diesen Weg für sich auch zu entdecken und dann zu sagen: Ich kann eigentlich das gleiche Glück auch bei einem Waldspaziergang finden, wie bei der Bestellung, mit der ich dann eben auch diese materielle Befriedigung verbinde. Das ist für mich noch so ein Aspekt, der da mit hereinspielt. 

Sebastian Wölke: Ich stelle bei mir fest, dass dieser materielle Wunsch vor allen Dingen an Tagen da ist, wo ich eine gewisse Leere auch spüre, wo vielleicht der Tag nicht so gut gelaufen ist, wo man dann auf dem Heimweg denkt: Oh, jetzt springst Du noch da und da rein und kaufst Dir was und gönnst Dir etwas als Kompensation. Was man machen kann oder: was ich dann ab und zu mache, ist, dass ich nicht irgendwas kaufe, was ein Gebrauchsgegenstand ist, der dann lange irgendwo steht, sondern dass ich dann sage, okay, wenn ich irgendwie das Gefühl habe, ich sollte mir und möchte mir etwas Gutes tun, springe ich in den Supermarkt und kaufe ein paar schöne Sachen für ein schönes Abendessen mit der Familie. Das ist natürlich auch eine Art von Konsum, von sich etwas gönnen, aber das ist dann zumindest nicht etwas, was monate- und jahrelang in einer Ecke steht und kein Mensch mehr braucht, sondern da hat man vielleicht dann einen schönen Abend als Familie zusammen und hat aber trotzdem das Gefühl, jetzt habe ich mir etwas gegönnt und versucht, den Tag, der vielleicht nicht so gut gelaufen ist, einigermaßen gut ausklingen zu lassen. 

Rainer Münch: Ja, da muss ich dann ja spontan an Schokolade denken, die dann konsumiert wird und ja auch eine gewisse Befriedigung dann mit sich bringt, nur natürlich nicht nur gesund ist – wobei in Maßen sicherlich ganz in Ordnung. Was ich auch spannend fand in dem Zusammenhang, ich hatte am Wochenende in der Süddeutschen gelesen, wie sehr man sich als Mensch dann doch auf kleine Dinge sensibilisieren kann. Da gab es eine Empfehlung von, ich weiß gar nicht mehr, wer der Autor war, dass man sich vornehmen könnte, um diese Nähe zur Natur wieder zu schaffen, jeden Tag an den gleichen Ort in die Natur zu gehen, bei Wind und Wetter. Und er meinte dann, es sei völlig faszinierend, wie stark man dann sensibilisiert wird, kleinste Veränderungen wahrzunehmen. Und diese Feinsensibilisierung erlaubt dann auch natürlich ganz andere Erfahrungen, während wir da glaube ich häufig im Alltag so ganz grob unterwegs sind und eben den großen Konsum brauchen, um etwas zu fühlen und diese Feinheiten dann auch schnell verloren gehen. Das kostet nur alles so viel Energie und auch Zeit und dann ist manchmal die einfache Lösung die Nächste. 

Sebastian Wölke: Ja, manchmal reicht es schon, wenn man wirklich einen Baum vor der Tür hat. Also wir haben jetzt wieder das Glück, dass wir bei uns aus dem Wohnzimmer auf einen schönen Kastanienbaum gucken und allein da täglich jetzt zum Frühling zu sehen, wie sich das verändert, das Blättermeer, das ist auch schon eine Art von Ritual, was helfen kann im Alltag. Jetzt hat leider nicht jeder einen Baum vor der Tür und kann aus dem Wohnzimmer auf einen Baum gucken. Aber es ist schon etwas, was man vielleicht auf dem Weg zur Arbeit einfach mal wahrnehmen kann und sich das als Ritual machen kann. 

Rainer Münch: Vielleicht kommen wir einfach mal zu Deinem Wertgegenstand. Was hast Du mir denn mitgebracht? Und warum hast Du mir das mitgebracht? 

Sebastian Wölke: Ich habe ein Bild mitgebracht. Das ist so ungefähr 100 Jahre alt. Das ist von meiner Oma, die mich lange begleitet hat. Das ist aus den 20er Jahren mit ihren beiden Brüdern. Und da steht sie in der heimischen Backstube und zeigt da ganz stolz die entstanden Backwaren und Kuchen. Und ich glaube, im Hintergrund sind auch Brote zu sehen. Sie hatten eine Bäckerei und Konditorei zu Hause und ich finde, das ist ein schönes Beispiel dafür, wie man einen Beruf ausüben kann und total in dem Prozess des Backens aufgehen und die Produkte dann am Ende auch stolz präsentieren kann. Und jenseits davon, ob man damit reich wird oder nicht, haben sie einfach ihre Arbeit mit so viel Leidenschaft gemacht und am Ende diese Ergebnisse dann stolz auf diesem Tisch präsentiert. Das finde ich einfach bis heute inspirierend, weil wir heute natürlich sehr stark oft eine Arbeit machen, vom Ziel herausdenkend, also von dem Erfolg, der uns natürlich lenkt. Immer mit der Frage: Wie viel Umsatz bringt uns das und wie viel Profit macht das? Und weniger mit dieser Leidenschaft für den Prozess und mit der Leidenschaft dann für diese Qualität, für das Produkt. Und ich meine das schöne Wort: Erfolg. Da steckt es ja schon drin, das ist ja die Folge von etwas. Und für mich ist es die Folge von so einer Begeisterung für einen Beruf, Begeisterung für die Produkte, Begeisterung für Qualität. Und wenn man das schafft in seiner Arbeit, dann ist halt für mich Erfolg am Ende fast die logische Konsequenz. Ein bisschen Glück braucht man am Ende auch noch, ganz klar. Aber trotzdem ist das für mich schon die Basis von einem gelungenen Berufsleben. 

Rainer Münch: Ja, da haben wir eine sehr schöne Verbindung. Für mich ist, wenn ich an Werte denke, mein Großvater eine wichtige Orientierung. Was er mir so mitgegeben hat. Und er war Müller. Also er hat auch wie Deine Großmutter viel mit Mehl zu tun gehabt und hat das auch mit viel Leidenschaft gemacht. Er hat gearbeitet, bis er 76 war. Er ist täglich in die Mühle und hat damit auch viel verbunden. Und hatte da auch einen Bezug. Und wenn wir dann Spaziergänge gemacht haben und da waren Getreidefelder, dann hat er immer über die Ähren gestrichen und hat es sich so irgendwie angeschaut und das hat in ihm etwas ausgelöst. Und das fand ich auch sehr faszinierend, wie viel da drinsteckt, wie viel Kraft in dieser Berufung in diesem Fall steckt. Gibt es denn Momente, wo Deine Großmutter für Dich präsent ist mit ihren Werten? Wo Du sie sozusagen hörst? 

Sebastian Wölke: Ja. Sie war für uns in der Familie immer ein Stück weit die moralische Instanz. Und sie hat uns schon früh immer ihre fast bekannten, zumindest in unserer Familie bekannten, One-Liner mitgegeben, was ihre Werte waren. Beispielsweise eben dieses Thema, dass wir keine Ich-Menschen werden sollten und dass wir uns auch vor Ich-Menschen hüten sollten. Also ihr war das „Wir“ immer sehr wichtig. Auch das Thema Genügsamkeit. Sie hat auch immer gesagt: Ihr könnt nicht immer glücklich sein im Leben, aber Ihr könnt immer zufrieden sein mit dem, was Ihr habt. Also sie hat uns immer mit wenigen Worten eine ganz klare Richtung mitgegeben und ganz klare Empfehlungen fürs Leben gemacht. Und das begleitet mich bis heute, weil sie ja nicht nur in der Familie aktiv war, sondern sie war auch unternehmerisch aktiv. Sie hat ja mit ihrem Mann auch einen eigenen Betrieb geführt, auch in der Kriegszeit geführt und da hat sie diese Werte auch gelebt. Da hat dann auch jeder noch irgendwo eine Scheibe Brot bekommen, auch wenn er keine Essensmarke mehr hatte. Und das war eben dann auch das, was sie so besonders gemacht hat, die Werte nicht nur zu benennen, sondern täglich danach zu handeln und ganz klar für die Werte auch einzustehen. Auch wenn das im Zweifel bedeutete, dass man selbst auf Geld verzichtet hat. Oder teilweise in der damaligen Zeit natürlich, wenn man sich nicht an die Regeln gehalten hat, auch sich sogar in Gefahr gebracht hat. Aber für sie war dieses Thema Menschlichkeit und Menschen zu helfen einfach so wichtig, dass sie andere Sachen de-priorisiert hat und da ganz klar nach ihren Werten gelebt hat. Und das ist etwas, was mit der heutigen Zeit nicht vergleichbar ist, weil wir uns in der Regel mit dem, was wir tun, positionieren können, aber nicht unbedingt uns in Gefahr begeben. Aber wir können trotzdem da, wo wir im Leben aktiv sind, auch einen Beitrag leisten. Und das hat sie auch immer gesagt zu mir: ”Egal, wo Dich das Leben hinstellt, Du kannst einen positiven Beitrag leisten.” Und das habe ich am Anfang nie verstanden: Wo Dich das Leben hinstellt? Ich habe immer gedacht, man sucht sich doch das aus, wo man im Leben mal landet. Ich suche mir doch noch meinen Beruf aus. Ich suche mir doch meine Partnerin aus. Aber am Ende ist es natürlich so: Wir purzeln da irgendwie aus der Uni raus und suchen uns dann irgendwie einen Beruf, eine Firma, von der wir glauben, dass sie toll ist, ohne dass wir jemals für sie gearbeitet haben. Ein Stück weit ist es dann schon so, dass man irgendwann mit 40 oder 45 feststellt: Das Leben hat einen irgendwo hingestellt. Viele Zufälle haben einen irgendwo hingestellt. Ich bin irgendwo Marketeer und Unternehmer geworden, aber durch viele Zufälle. Und trotzdem kann ich jetzt an der Stelle versuchen, einen positiven Beitrag zu leisten und vielleicht das eine oder andere mit meinem Know-how in eine Richtung zu bringen, die aus meiner Sicht sinnvoll ist und die hoffentlich einen positiven Beitrag leistet. Und da ist sie sicherlich ein Stück weit immer wieder auch in meinem Ohr.   

Rainer Münch: Ja, wie Du sagst, finde ich auch, dass da ganz viel drinsteckt in dieser Formulierung: Wo einen das Leben hinstellt, und natürlich ein passiver Teil, aber auch ein implizit aktiver Teil, dass man eben auch sich das eben nicht so ganz fein aussuchen kann, sondern dass es da auch eine gewisse Offenheit braucht, eine Selbstwahrnehmung auch, also dieses „Wo zieht es mich hin?“. Eben auch zuzulassen und zu spüren und dem auch in einem gewissen Rahmen nachzugeben und sich da zu entwickeln, um dann etwas zu finden, wo man sich dann eben auch aufgestellt fühlt und im Einklang mit sich selbst. Und diese Werte, die Du ansprichst von Deiner Großmutter, da sehe ich auch viele Parallelen zu meinem Großvater, der sich auch immer viel für Schwächere eingesetzt hat und da auch wirklich unter Akzeptanz von persönlichem Risiko zum Teil da auch rein ist in solche Situationen. Das hat mich immer sehr beeindruckt, wie wenig er da in dem Moment dann auch an sich gedacht hat und an die Konsequenzen. 

Sebastian Wölke: Ja, absolut. Bei meiner Oma war es auch so, dass es schon schön war zu sehen, dass auch Menschen das viele Jahre später nicht vergessen haben. Ich kann mich dran erinnern, auch als Kind tauchten immer wieder Menschen zu ihrem Geburtstag auf, die wir gar nicht kannten. Einmal kam sogar ein Politiker aus Düsseldorf angereist zu ihrem Geburtstag, den wir aber überhaupt gar nicht kannten und der sich auch noch mal bei ihr bedankte für das, was sie in der Zeit – also in der Kriegszeit – für die Familie getan hat. Und da sieht man dann schon, dass so eine Menschlichkeit auch nicht unvergessen ist, also dass die Menschen sich schon dann auch am Ende daran erinnern, was passiert ist, im Guten wie im Schlechten. Und wenn man da Menschlichkeit zeigt, gerade zu Zeiten, wo die Menschen sehr zu kämpfen hatten und es wirklich um das Menschsein auch ging, dass das nicht vergessen wird, das war auch für mich eine tolle Erfahrung, als Kind das schon zu sehen, dass es Menschen gibt, die dann auch kommen und sagen: “Danke, dass Du das gemacht hast.” 

Rainer Münch: Ja, das finde ich bemerkenswert. Wenn wir vielleicht mal diese moralischen Aspekte auch entwickeln in Richtung des geschäftlichen Kontexts und dieses Profit versus Purpose mal reflektieren bezogen auf Deine Tätigkeit: Ihr setzt sehr stark auf Nachhaltigkeit in Eurem Produkt, in Eurem Unternehmen, in der Ausrichtung. Ich finde, die Werte sind auch sehr präsent, die Ihr da vermittelt mit Eurer Unternehmung. Und da würde mich interessieren: Gibt es denn auch unternehmerische Entscheidungen, wo Dir und Euch dann doch schmerzlich bewusst wird, dass Ihr am Ende ein “For Profit”-Unternehmen seid und dass es eben auch Kompromisse geben muss in puncto Nachhaltigkeit? 

Sebastian Wölke: Also ganz klar: Zum einen natürlich, was die Produkte angeht, müssen wir immer sehen, dass wir auch nicht zu teuer werden. Das heißt im Endeffekt auch, dass wir bestimmte Inhaltsstoffe vielleicht noch nicht einsetzen können, die es vielleicht auch in Upcycling-Qualität gibt. Wir setzen ja vor allen Dingen auf Nebenprodukte aus der Lebensmittelproduktion, das heißt, da müssen wir immer die Balance finden zwischen Bezahlbarkeit und am Ende auch Nachhaltigkeit. Das ist ein Balanceakt. Aber auch was jetzt so meine moralischen Werte angeht, ist es für mich auch als Unternehmer natürlich ständig eine Herausforderung zu sagen: Wir sind auf der einen Seite eine Beauty-Marke, die gewisse Werte vertritt, und ich bin Unternehmer, der genauso wie meine Frau auch gewisse Werte vertritt. Und gleichzeitig müssen wir aber auch ein Stück weit auf Maßnahmen setzen mit Unternehmen, die vielleicht andere Werte vermitteln und andere Werte in die Welt bringen. Wenn man jetzt sich das anguckt, dass wir natürlich als Beauty-Marke auch auf Social Media Plattformen vertreten sein müssen, um Sichtbarkeit auch zu haben, um eben auch wirtschaftlich arbeiten zu können, dann ist natürlich für mich auch als Vater die Frage: Ja, ist das so positiv wie die wirken auf unsere Jugend? Ist es gut, dass sie Mittel einsetzen, um Jugendliche mehr oder weniger täglich am Handy zu halten? Was machen die mit unserer Demokratie? Wie stark sind sie dafür auch mitverantwortlich, dass unsere Gesellschaft ständig, gefühlt zumindest, sich mehr polarisiert? Das sind schon Gedanken, die man sich macht als Unternehmer. Gleichzeitig weiß ich, ich kann im Moment nicht drauf verzichten und es ist auch nicht so, dass Social Media nur schlechte Sachen in die Welt bringt. Viele politische Veränderungen wären auch nicht im positiven Sinne möglich ohne Social Media. Aber das ist schon etwas, was einen beschäftigt. 

Rainer Münch: Gibt es konkrete Entscheidungen, die Du gerne anders getroffen hättest? Also mal jenseits von dieser grundsätzlichen Social Media Herausforderung. Wo Du sagst, da hätten wir gern noch nachhaltiger agiert, aber es ging einfach nicht. Und vielleicht auch etwas, worüber Du dann so ein bisschen darüber nachdenkst, und irgendwann kannst Du es vielleicht ändern. 

Sebastian Wölke: Ja, also ich würde natürlich am liebsten alle unsere Produkte beispielsweise plastikfrei anbieten. Wir haben aber auch Plastikprodukte im Sortiment. Aber was eigentlich nicht nötig wäre. Auch ganz viel Wasser durch die Gegend zu schippern. Das ist natürlich auch eigentlich nicht sinnvoll. Aber auch da ist der Markt in einer gewissen Situation, die wir auch ernst nehmen müssen und die wir reflektieren müssen, auch im Sortiment. Persönlich stelle ich mir schon die Frage, wie viel darf man dann auch seiner Partnerin zumuten, was die Selbstständigkeit angeht? Also da weiß ich auch nicht, ob ich in der Vergangenheit immer alles richtig gemacht habe. Nur planet B war schon auch mal ein Stück weit immer unser gemeinsames Baby. Aber ich glaube, ich war vielleicht noch mehr bereit dafür zu kämpfen und da stelle ich mir dann heute manchmal schon die Frage: War das immer richtig für dieses Unternehmertum, sich so einzusetzen? Haben wir uns und habe ich ihr damit auch vielleicht manchmal zu viel zugemutet, zu viel Risiko auch, zu viel Unsicherheit? Das ist schon etwas, was man natürlich auch immer mitdenken muss, wenn man ein Unternehmen oder eine Marke zu zweit auch als Paar führt. Das alles, was man beruflich macht, hat dann auch Auswirkungen auf das Privatleben. Und natürlich möchte man mit keinem Gründer oder Co-Gründer irgendwie ihm was Schlechtes tun oder ihr was Schlechtes tun. Aber wenn es die eigene Partnerin ist, dann noch viel, viel weniger. Und da fragt man natürlich dann manche Dinge schon umso mehr, vor allen Dingen, wenn man unterschiedliche, ja ein unterschiedliches Risiko, eine unterschiedliche Risikofreudigkeit hat, die wir vielleicht haben. Sie ist vielleicht jemand, die ein Stück weit mehr langfristig denkt. Das ist auch gut. Die auch mal an so ganz klassische Sachen denkt wie: Wie sieht denn unsere Renten-Situation eigentlich aus? Ich lebe leider unternehmerisch sehr, sehr stark oft im Hier und Jetzt und denke dann zu wenig an morgen. Und beide Perspektiven haben ja ihre Berechtigung. Aber da ist sie dann oftmals die Besondere. Und ich denke eher: Ah, das ist doch eine Chance, lass uns da drauf springen. 

Rainer Münch: Was natürlich grundsätzlich eine unglaublich wertvolle Balance ist in so einer Unternehmerkonstellation, dass man da auch sehr unterschiedliche Perspektiven einbringt und damit viel Abwägung hat. Natürlich ist es eine Sondersituation, wenn es dann die Partnerschaft betrifft und auch die Familie. Was wäre denn Dein Tipp an Paare, die sich momentan damit beschäftigen, gemeinsam in die Selbstständigkeit zu gehen? Was würdest Du denen empfehlen? 

Sebastian Wölke: Also ich würde auf jeden Fall empfehlen, dass man versucht innerhalb des Unternehmens klare Kompetenzen auch zu definieren, dass idealerweise jeder auch so seine eigenen Aufgabenpakete hat. Natürlich stimmt man sich zu vielen Sachen und fast allen Sachen auch immer wieder ab, zumindest in der Größenordnung, in der wir uns jetzt so befinden. Aber ich glaube es ist schon wichtig, dass jeder das Gefühl hat, er hat da seinen Bereich, den er auch machen kann, dass man auch eine vernünftige Balance findet zwischen Nähe und Distanz, weil wenn man nur noch 24 Stunden zusammensitzt und in jedem Meeting gemeinsam und jedem Phone-Call gemeinsam sitzt, dann wird es irgendwann, glaube ich, fast für jede Beziehung eine Herausforderung. Ich meine, meine Eltern haben auch zusammengearbeitet. Die waren 24 Stunden auch unter einem Dach. Aber das war auch nicht immer ohne Konflikte, würde ich sagen. Es geht natürlich. Aber es hilft, wenn man auch ein Stück weit eine gewisse Freiheit hat, eine gewisse Eigenständigkeit in bestimmten Aufgabengebieten hat und wie gesagt, eine Balance findet zwischen Nähe und Distanz. Nur ständig in einem Office zu sitzen, ist sicherlich auch nicht gut. Einfach auch rauszugehen, sich mit anderen zu verbinden, zu connecten und da auch den anderen seine Freiheit zu geben, auch seinen eigenen Aufgabenbereich nach vorne zu bringen, das halte ich schon für wichtig. 

Rainer Münch: Ja. Ich glaube, wenn meine Frau das hört, dann wird sie hoffen, dass ich nicht für uns gefragt habe. Ich glaube, sie ist nicht so erpicht darauf, in die Selbstständigkeit zu gehen und hat da, glaube ich, ein Risikoprofil was noch mal ein bisschen jenseits dessen liegt, was Deine Frau hat. Zum Abschluss möchte ich mit Dir noch ein bisschen philosophisch werden und hatte Dich ja gebeten, aus dem Buch „Fragebogen von Max Frisch“ eine seiner Lebensfragen auszuwählen, über die wir noch sprechen. Für welche hast Du Dich denn entschieden und warum?  

Sebastian Wölke: Ja, ich habe mich für die Frage entschieden: “Wissen Sie in der Regel, was Sie hoffen?” Und ich habe mich dafür entschieden, weil das eine schöne Frage ist, die zeigt, wie komplex die menschliche Psyche ist, wie komplex wir auch als Menschen sind. Weil für mich ist da so diese Diskrepanz drin zwischen dem Fühler und dem Denker. Das, was wir wissen, das ist ja für mich so die Denker-Seite, die rationale Seite, natürlich im Negativen auch die Ego-Seite. Aber das, was wir hoffen, ist für mich eher auf der fühlenden Seite und das ist ja etwas, was am Ende die Kunst auch für mich ist, beide Seiten irgendwie zu verstehen und abzudecken. Und ich glaube, wir sind tendenziell in unserer Welt natürlich darauf trainiert, den Denker zu entwickeln. Und das ist auch gut. Aber ich merke bei mir selbst, wie schwer es manchmal ist, auch mit seinen Gefühlen connected zu sein. Ich habe letztes Jahr einen richtigen Purpose-Kurs gemacht mit einer Trainerin, wo es auch um das Thema Lebensziele ging. Und sie konnte mich mit keiner Frage so sehr aus dem Konzept bringen, wie dass sie zwischendurch einfach mal gefragt hat: “Wie geht's jetzt? Was fühlst Du? Was empfindest Du?” Ich hatte auf alles, was rational war, schlaue Antworten, habe ich gedacht oder zumindest oberflächlich. Aber bei der Frage musste ich länger überlegen als bei jeder anderen Frage. 

Rainer Münch: Ja, das finde ich faszinierend. Es ist auch etwas, was mich viel beschäftigt. Ich bin auch, glaube ich so von der DNA ganz stark auf der Denkerseite und habe da auch in den letzten Jahren viel an der Fühlerseite gearbeitet und arbeite da auch weiter dran und finde diese Verbindung insbesondere spannend und auch herausfordernd in beide Richtungen. Und das finde ich auch faszinierend, da noch mehr herauszufinden, wie man diese Perspektiven so ein bisschen näher aneinander bringt und irgendwie überführt. Und das, was Du auch sagst, dieses: Was spür ich eigentlich zu welchem Zeitpunkt? Das geht mir auch so wie Dir. Wenn ich da spontan gefragt werde, dann muss ich da erst mal ein bisschen nachdenken, was ich eigentlich fühle. Da ist auch meine Frau im Gegensatz, die fühlt ganz stark und kann das irgendwie jederzeit abrufen und da kann ich mir noch ein bisschen was von abschauen. 

Sebastian Wölke: Ja, wahrscheinlich können wir uns da generell von Frauen oft was abschauen, weil ich glaube, dass ohne in Stereotypen zu fallen, aber ich glaube, das nehme ich häufiger wahr, dass da oft Frauen mit sich und ihren Gefühlen näher im Kontakt sind. Und vielleicht ist es auch so, wie heute natürlich oft noch Jungs auch erzogen werden: “Indianer kennt keinen Schmerz”. Und uns wird dann halt oft auch als Kind schon beigebracht, die Gefühle vielleicht zu unterdrücken. Und als Erwachsener steht man auf einmal da und ist vielleicht gar nicht mehr in der Lage, das zu fühlen. Und das ist sicherlich etwas, was wir teilweise wieder lernen müssen. Und ich merke auch, dass das ein Prozess ist. Dass das nicht von heute auf morgen geht. Da muss man beharrlich sein im Bemühen und bescheiden in der Erfolgserwartung, wie es so schön heißt. 

Rainer Münch: Ja, total. Und ich finde, diese eigenen Gefühle sind ja erst der erste Schritt. Dann gibt es noch die Gefühle der anderen. Und das ist dann auch so ein Zugang, wenn ich selbst klarer bin in meinem Fühlen und Gefühlen, dann finde ich, bin ich auch empfänglicher für die Gefühle anderer und empathischer und kann noch mal auf einer anderen Ebene einfach auch eine Beziehung herstellen. Im persönlichen wie aber auch im beruflichen Kontext. Es gibt noch ganz viel glaube ich zu erkunden in Richtung Moral, Werte, Gefühle. Ich denke, wir sind jetzt für den Moment am Ende des Gesprächs. Lieber Sebastian, ganz herzlichen Dank. Es hat mir wirklich viel Spaß gemacht und ich hoffe Dir auch.  

Sebastian Wölke: Danke, sehr sogar. Vielen Dank für die Einladung.  

    Sebastian Wölke ist Co-Gründer und CEO von no planet b. Bei Werten ist sein wichtigster Kompass, aus einer Wir-Perspektive heraus zu handeln. Dann sind für ihn auch Empathie und Wertschätzung für andere Menschen selbstverständlich.

    In der aktuellen Folge beschreibt er, was er beim Gründen und Managen einer Beauty-Marke gemeinsam mit seiner Partnerin gelernt hat. Zudem gibt er zahlreiche persönliche Einblicke zu Themen wie Selbständigkeit, Konsum, Nachhaltigkeit und Purpose. Dies alles hängt auch zusammen mit seiner beeindruckenden Großmutter, die ein Vorbild für ihn ist.

    Das Gespräch wurde aufgezeichnet im April 2024.

    Den Podcast gibt es über all hier:  Apple Podcasts | Spotify | YouTube

    Rainer Münch: Heute ist Sebastian Wölke zu Gast. Die Grundlagen seiner Karriere hat er bei Unilever gelegt, wo er die ersten fünf Berufsjahre im Marketing und Vertrieb verbracht hat, bevor er dann zu dm Drogeriemarkt auf die Händlerseite gewechselt ist. 2017 hat er dann gemeinsam mit seiner Frau Jessica die Marke no planet b gegründet, die nach einigem Auf und Ab heute in 13 Ländern bei dm mit neuen Pflegeprodukten präsent ist. Sebastian ist Vater von zwei Kindern und lebt in Bielefeld. Lieber Sebastian, ich freue mich sehr, dass Du heute im Podcast Purpose vs. Profit bei mir zu Gast bist.  

    Sebastian Wölke: Vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich auch hier zu sein.  

    Rainer Münch: Gerne möchte ich mit Dir heute drei Aspekte der Wertorientierung aufgreifen. Zunächst Deine persönlichen Werte und Deinen mitgebrachten Gegenstand, eine große moralische Frage bezogen auf Deine Tätigkeit und eine der Lebensfragen von Max Frisch. Beginnen möchte ich mit der Frage: Welche Werte spielen für Dich im Berufsleben denn grundsätzlich eine besondere Rolle? 

    Sebastian Wölke: Ja, also ich versuche mich eigentlich immer ein Stück weit mit einer Frage zu beschäftigen. Und die geht in die Richtung, ob ich das, was ich gerade tue, aus einer Ich-Haltung heraus tue, sozusagen aus dem Ego-Mensch heraus, oder ob ich aus einer Wir-Haltung handele. Und das versuche ich ein Stück weit als meinen Kompass zu nehmen, weil: Wenn man aus einer Wir-Perspektive handelt, dann denke ich, ist es eigentlich selbstverständlich, dass man auch ein Stück weit empathisch handelt, dass man den Gegenüber ernst nimmt als Mensch, dass man zuverlässig ist, dass man andere Perspektiven auch wertschätzt, auch wenn man nicht immer einer Meinung sein kann. Und das ist für mich sehr, sehr wichtig, Menschen so gegenüberzutreten. Das andere, was für mich als Wert noch wichtig ist und für mich vielleicht auch ein bisschen ungewöhnlich ist als Marketeer: Ich denke es ist schon wichtig, dass wir auch als Gesellschaft demütig sind, auch ein Stück weit genügsam wieder sein können. Ich bewundere beispielsweise Menschen, die mit wenig auskommen, obwohl sie sich vielleicht materiell mehr leisten könnten. Also Menschen, die eigentlich die Möglichkeit hätten, im Luxus zu leben und trotzdem bodenständig weiterhin sind und auch einfach leben können. Das finde ich schon toll, weil ich glaube, am Ende ist es so, die Dinge besitzen uns ja und mit jedem Gegenstand kommen Verpflichtungen. Und ich glaube, es ist wichtig, gerade in der heutigen Zeit, auch materielle Dinge zu hinterfragen. Und ich versuche zumindest bei meinen Kindern eher in gemeinsame Zeit zu investieren, als das Kinderzimmer voll zu packen mit Spielsachen. 

    Rainer Münch: Ja, kann ich gut verstehen. Sicherlich eine Ambition, die ich auch mit Dir teile, auch was die Kinder angeht, irgendwo die richtigen, die aus meiner, aus unserer Sicht richtigen Akzente früh zu setzen. Du hast am Anfang gesagt, dieser Kontrast: Ich-Bezug vs. Wir-Bezug ist für Dich irgendwo auch wichtig. Wer steht denn für Dich hinter „Wir“? Wie breit würdest Du das „Wir“ denn da fassen?  

    Sebastian Wölke: Sehr weit. Also das ist für mich jetzt auch nicht nur auf Menschen bezogen. Ich meine, wir arbeiten jetzt bei no planet b auch sehr stark ressourcenorientiert. Auch nicht ohne Grund nennen wir die Produkte no planet b. Also da schließt sich der Kreis natürlich dann genauso zum Thema planetare Grenzen, zum Thema auch wie wir mit Tieren umgehen. Das gehört alles für mich auch am Ende dazu. Und insofern schließt das nicht nur Menschen mit ein. Das ist natürlich jetzt ein großer Kreis und als Unternehmer kann man diesen Kreis auch nicht immer komplett überblicken und dem Anspruch immer so hundertprozentig gerecht werden. Aber sich zumindest die Frage zu stellen: Was hat das für Auswirkungen auf das große Ganze? Das denke ich, kann man als Unternehmer schon tun und da versuchen, bestmögliche Lösungen zu finden.  

    Rainer Münch: Und dieser Aspekt dieser Weisheit, sich da eben auch ein bisschen zu lösen von dieser materiellen Orientierung: Gibt es da Ansätze, wie Du das für Dich versuchst? 

    Sebastian Wölke: Ja, also etwas, was natürlich ganz praktisch bei uns immer wieder geholfen hat, aber das haben wir erst später erkannt: Wir sind in den letzten Jahrzehnten extrem oft umgezogen beruflich bedingt. Und spätestens beim Umzug merkt man natürlich dann immer, wie stark sich auch die Dinge angesammelt haben. Und mir hilft das jetzt heutzutage immer mehr, mir die Frage zu stellen: Ist das etwas, was ich wirklich brauche, wenn ich vor einer Kaufentscheidung stehe oder nervt mich das beim nächsten Umzug? Also das ist eine ganz praktische Sache. Ist das wirklich etwas, was wir langfristig brauchen als Familie? Und das andere, was ich wirklich empfehlen kann, ist sich zu überlegen, auf wie viel Quadratmeter Fläche man zieht. Weil wir haben in England beispielsweise mit vier Personen auf weniger als 70 Quadratmetern gewohnt. Dort konnten wir automatisch nicht viel kaufen, weil es ein kleines viktorianisches Haus war. Da musste man sich immer die Frage stellen, wo soll es denn hin, wenn man etwas anschaffen wollte. Und dann sind wir in Deutschland das erste Mal zuerst in eine Mietwohnung gezogen, die deutlich größer war. Und oh Wunder, oh Wunder, dann haben sich diese Quadratmeter auch wieder gefüllt. Jetzt haben wir uns wieder verkleinert und es ist wirklich schön – in Anführungsstrichen – eine Begrenzung zu haben, dass man auch nicht einfach alles anschaffen kann. Und es ist nicht für alles Platz. Und man stellt dann immer wieder fest, es geht auch mit weniger. 

    Rainer Münch: Was ich mich manchmal frage: Wenn dieser Konsumimpuls da ist, warum ist er da, und was für eine Befriedigung suche ich eigentlich damit? Ich finde es manchmal herausfordernd, da dann zu einer Lösung zu kommen, weil natürlich ist es einfach ein Bedürfnis und ein Wunsch nach so einem Glücksmoment, das man hat. Ich glaube das, was Du jetzt als die weisen Menschen bezeichnest: Die schaffen eben andere Wege, dieses Glück dann zu empfinden und zu finden. Und das finde ich aber zugleich ganz schön herausfordernd, diesen Weg für sich auch zu entdecken und dann zu sagen: Ich kann eigentlich das gleiche Glück auch bei einem Waldspaziergang finden, wie bei der Bestellung, mit der ich dann eben auch diese materielle Befriedigung verbinde. Das ist für mich noch so ein Aspekt, der da mit hereinspielt. 

    Sebastian Wölke: Ich stelle bei mir fest, dass dieser materielle Wunsch vor allen Dingen an Tagen da ist, wo ich eine gewisse Leere auch spüre, wo vielleicht der Tag nicht so gut gelaufen ist, wo man dann auf dem Heimweg denkt: Oh, jetzt springst Du noch da und da rein und kaufst Dir was und gönnst Dir etwas als Kompensation. Was man machen kann oder: was ich dann ab und zu mache, ist, dass ich nicht irgendwas kaufe, was ein Gebrauchsgegenstand ist, der dann lange irgendwo steht, sondern dass ich dann sage, okay, wenn ich irgendwie das Gefühl habe, ich sollte mir und möchte mir etwas Gutes tun, springe ich in den Supermarkt und kaufe ein paar schöne Sachen für ein schönes Abendessen mit der Familie. Das ist natürlich auch eine Art von Konsum, von sich etwas gönnen, aber das ist dann zumindest nicht etwas, was monate- und jahrelang in einer Ecke steht und kein Mensch mehr braucht, sondern da hat man vielleicht dann einen schönen Abend als Familie zusammen und hat aber trotzdem das Gefühl, jetzt habe ich mir etwas gegönnt und versucht, den Tag, der vielleicht nicht so gut gelaufen ist, einigermaßen gut ausklingen zu lassen. 

    Rainer Münch: Ja, da muss ich dann ja spontan an Schokolade denken, die dann konsumiert wird und ja auch eine gewisse Befriedigung dann mit sich bringt, nur natürlich nicht nur gesund ist – wobei in Maßen sicherlich ganz in Ordnung. Was ich auch spannend fand in dem Zusammenhang, ich hatte am Wochenende in der Süddeutschen gelesen, wie sehr man sich als Mensch dann doch auf kleine Dinge sensibilisieren kann. Da gab es eine Empfehlung von, ich weiß gar nicht mehr, wer der Autor war, dass man sich vornehmen könnte, um diese Nähe zur Natur wieder zu schaffen, jeden Tag an den gleichen Ort in die Natur zu gehen, bei Wind und Wetter. Und er meinte dann, es sei völlig faszinierend, wie stark man dann sensibilisiert wird, kleinste Veränderungen wahrzunehmen. Und diese Feinsensibilisierung erlaubt dann auch natürlich ganz andere Erfahrungen, während wir da glaube ich häufig im Alltag so ganz grob unterwegs sind und eben den großen Konsum brauchen, um etwas zu fühlen und diese Feinheiten dann auch schnell verloren gehen. Das kostet nur alles so viel Energie und auch Zeit und dann ist manchmal die einfache Lösung die Nächste. 

    Sebastian Wölke: Ja, manchmal reicht es schon, wenn man wirklich einen Baum vor der Tür hat. Also wir haben jetzt wieder das Glück, dass wir bei uns aus dem Wohnzimmer auf einen schönen Kastanienbaum gucken und allein da täglich jetzt zum Frühling zu sehen, wie sich das verändert, das Blättermeer, das ist auch schon eine Art von Ritual, was helfen kann im Alltag. Jetzt hat leider nicht jeder einen Baum vor der Tür und kann aus dem Wohnzimmer auf einen Baum gucken. Aber es ist schon etwas, was man vielleicht auf dem Weg zur Arbeit einfach mal wahrnehmen kann und sich das als Ritual machen kann. 

    Rainer Münch: Vielleicht kommen wir einfach mal zu Deinem Wertgegenstand. Was hast Du mir denn mitgebracht? Und warum hast Du mir das mitgebracht? 

    Sebastian Wölke: Ich habe ein Bild mitgebracht. Das ist so ungefähr 100 Jahre alt. Das ist von meiner Oma, die mich lange begleitet hat. Das ist aus den 20er Jahren mit ihren beiden Brüdern. Und da steht sie in der heimischen Backstube und zeigt da ganz stolz die entstanden Backwaren und Kuchen. Und ich glaube, im Hintergrund sind auch Brote zu sehen. Sie hatten eine Bäckerei und Konditorei zu Hause und ich finde, das ist ein schönes Beispiel dafür, wie man einen Beruf ausüben kann und total in dem Prozess des Backens aufgehen und die Produkte dann am Ende auch stolz präsentieren kann. Und jenseits davon, ob man damit reich wird oder nicht, haben sie einfach ihre Arbeit mit so viel Leidenschaft gemacht und am Ende diese Ergebnisse dann stolz auf diesem Tisch präsentiert. Das finde ich einfach bis heute inspirierend, weil wir heute natürlich sehr stark oft eine Arbeit machen, vom Ziel herausdenkend, also von dem Erfolg, der uns natürlich lenkt. Immer mit der Frage: Wie viel Umsatz bringt uns das und wie viel Profit macht das? Und weniger mit dieser Leidenschaft für den Prozess und mit der Leidenschaft dann für diese Qualität, für das Produkt. Und ich meine das schöne Wort: Erfolg. Da steckt es ja schon drin, das ist ja die Folge von etwas. Und für mich ist es die Folge von so einer Begeisterung für einen Beruf, Begeisterung für die Produkte, Begeisterung für Qualität. Und wenn man das schafft in seiner Arbeit, dann ist halt für mich Erfolg am Ende fast die logische Konsequenz. Ein bisschen Glück braucht man am Ende auch noch, ganz klar. Aber trotzdem ist das für mich schon die Basis von einem gelungenen Berufsleben. 

    Rainer Münch: Ja, da haben wir eine sehr schöne Verbindung. Für mich ist, wenn ich an Werte denke, mein Großvater eine wichtige Orientierung. Was er mir so mitgegeben hat. Und er war Müller. Also er hat auch wie Deine Großmutter viel mit Mehl zu tun gehabt und hat das auch mit viel Leidenschaft gemacht. Er hat gearbeitet, bis er 76 war. Er ist täglich in die Mühle und hat damit auch viel verbunden. Und hatte da auch einen Bezug. Und wenn wir dann Spaziergänge gemacht haben und da waren Getreidefelder, dann hat er immer über die Ähren gestrichen und hat es sich so irgendwie angeschaut und das hat in ihm etwas ausgelöst. Und das fand ich auch sehr faszinierend, wie viel da drinsteckt, wie viel Kraft in dieser Berufung in diesem Fall steckt. Gibt es denn Momente, wo Deine Großmutter für Dich präsent ist mit ihren Werten? Wo Du sie sozusagen hörst? 

    Sebastian Wölke: Ja. Sie war für uns in der Familie immer ein Stück weit die moralische Instanz. Und sie hat uns schon früh immer ihre fast bekannten, zumindest in unserer Familie bekannten, One-Liner mitgegeben, was ihre Werte waren. Beispielsweise eben dieses Thema, dass wir keine Ich-Menschen werden sollten und dass wir uns auch vor Ich-Menschen hüten sollten. Also ihr war das „Wir“ immer sehr wichtig. Auch das Thema Genügsamkeit. Sie hat auch immer gesagt: Ihr könnt nicht immer glücklich sein im Leben, aber Ihr könnt immer zufrieden sein mit dem, was Ihr habt. Also sie hat uns immer mit wenigen Worten eine ganz klare Richtung mitgegeben und ganz klare Empfehlungen fürs Leben gemacht. Und das begleitet mich bis heute, weil sie ja nicht nur in der Familie aktiv war, sondern sie war auch unternehmerisch aktiv. Sie hat ja mit ihrem Mann auch einen eigenen Betrieb geführt, auch in der Kriegszeit geführt und da hat sie diese Werte auch gelebt. Da hat dann auch jeder noch irgendwo eine Scheibe Brot bekommen, auch wenn er keine Essensmarke mehr hatte. Und das war eben dann auch das, was sie so besonders gemacht hat, die Werte nicht nur zu benennen, sondern täglich danach zu handeln und ganz klar für die Werte auch einzustehen. Auch wenn das im Zweifel bedeutete, dass man selbst auf Geld verzichtet hat. Oder teilweise in der damaligen Zeit natürlich, wenn man sich nicht an die Regeln gehalten hat, auch sich sogar in Gefahr gebracht hat. Aber für sie war dieses Thema Menschlichkeit und Menschen zu helfen einfach so wichtig, dass sie andere Sachen de-priorisiert hat und da ganz klar nach ihren Werten gelebt hat. Und das ist etwas, was mit der heutigen Zeit nicht vergleichbar ist, weil wir uns in der Regel mit dem, was wir tun, positionieren können, aber nicht unbedingt uns in Gefahr begeben. Aber wir können trotzdem da, wo wir im Leben aktiv sind, auch einen Beitrag leisten. Und das hat sie auch immer gesagt zu mir: ”Egal, wo Dich das Leben hinstellt, Du kannst einen positiven Beitrag leisten.” Und das habe ich am Anfang nie verstanden: Wo Dich das Leben hinstellt? Ich habe immer gedacht, man sucht sich doch das aus, wo man im Leben mal landet. Ich suche mir doch noch meinen Beruf aus. Ich suche mir doch meine Partnerin aus. Aber am Ende ist es natürlich so: Wir purzeln da irgendwie aus der Uni raus und suchen uns dann irgendwie einen Beruf, eine Firma, von der wir glauben, dass sie toll ist, ohne dass wir jemals für sie gearbeitet haben. Ein Stück weit ist es dann schon so, dass man irgendwann mit 40 oder 45 feststellt: Das Leben hat einen irgendwo hingestellt. Viele Zufälle haben einen irgendwo hingestellt. Ich bin irgendwo Marketeer und Unternehmer geworden, aber durch viele Zufälle. Und trotzdem kann ich jetzt an der Stelle versuchen, einen positiven Beitrag zu leisten und vielleicht das eine oder andere mit meinem Know-how in eine Richtung zu bringen, die aus meiner Sicht sinnvoll ist und die hoffentlich einen positiven Beitrag leistet. Und da ist sie sicherlich ein Stück weit immer wieder auch in meinem Ohr.   

    Rainer Münch: Ja, wie Du sagst, finde ich auch, dass da ganz viel drinsteckt in dieser Formulierung: Wo einen das Leben hinstellt, und natürlich ein passiver Teil, aber auch ein implizit aktiver Teil, dass man eben auch sich das eben nicht so ganz fein aussuchen kann, sondern dass es da auch eine gewisse Offenheit braucht, eine Selbstwahrnehmung auch, also dieses „Wo zieht es mich hin?“. Eben auch zuzulassen und zu spüren und dem auch in einem gewissen Rahmen nachzugeben und sich da zu entwickeln, um dann etwas zu finden, wo man sich dann eben auch aufgestellt fühlt und im Einklang mit sich selbst. Und diese Werte, die Du ansprichst von Deiner Großmutter, da sehe ich auch viele Parallelen zu meinem Großvater, der sich auch immer viel für Schwächere eingesetzt hat und da auch wirklich unter Akzeptanz von persönlichem Risiko zum Teil da auch rein ist in solche Situationen. Das hat mich immer sehr beeindruckt, wie wenig er da in dem Moment dann auch an sich gedacht hat und an die Konsequenzen. 

    Sebastian Wölke: Ja, absolut. Bei meiner Oma war es auch so, dass es schon schön war zu sehen, dass auch Menschen das viele Jahre später nicht vergessen haben. Ich kann mich dran erinnern, auch als Kind tauchten immer wieder Menschen zu ihrem Geburtstag auf, die wir gar nicht kannten. Einmal kam sogar ein Politiker aus Düsseldorf angereist zu ihrem Geburtstag, den wir aber überhaupt gar nicht kannten und der sich auch noch mal bei ihr bedankte für das, was sie in der Zeit – also in der Kriegszeit – für die Familie getan hat. Und da sieht man dann schon, dass so eine Menschlichkeit auch nicht unvergessen ist, also dass die Menschen sich schon dann auch am Ende daran erinnern, was passiert ist, im Guten wie im Schlechten. Und wenn man da Menschlichkeit zeigt, gerade zu Zeiten, wo die Menschen sehr zu kämpfen hatten und es wirklich um das Menschsein auch ging, dass das nicht vergessen wird, das war auch für mich eine tolle Erfahrung, als Kind das schon zu sehen, dass es Menschen gibt, die dann auch kommen und sagen: “Danke, dass Du das gemacht hast.” 

    Rainer Münch: Ja, das finde ich bemerkenswert. Wenn wir vielleicht mal diese moralischen Aspekte auch entwickeln in Richtung des geschäftlichen Kontexts und dieses Profit versus Purpose mal reflektieren bezogen auf Deine Tätigkeit: Ihr setzt sehr stark auf Nachhaltigkeit in Eurem Produkt, in Eurem Unternehmen, in der Ausrichtung. Ich finde, die Werte sind auch sehr präsent, die Ihr da vermittelt mit Eurer Unternehmung. Und da würde mich interessieren: Gibt es denn auch unternehmerische Entscheidungen, wo Dir und Euch dann doch schmerzlich bewusst wird, dass Ihr am Ende ein “For Profit”-Unternehmen seid und dass es eben auch Kompromisse geben muss in puncto Nachhaltigkeit? 

    Sebastian Wölke: Also ganz klar: Zum einen natürlich, was die Produkte angeht, müssen wir immer sehen, dass wir auch nicht zu teuer werden. Das heißt im Endeffekt auch, dass wir bestimmte Inhaltsstoffe vielleicht noch nicht einsetzen können, die es vielleicht auch in Upcycling-Qualität gibt. Wir setzen ja vor allen Dingen auf Nebenprodukte aus der Lebensmittelproduktion, das heißt, da müssen wir immer die Balance finden zwischen Bezahlbarkeit und am Ende auch Nachhaltigkeit. Das ist ein Balanceakt. Aber auch was jetzt so meine moralischen Werte angeht, ist es für mich auch als Unternehmer natürlich ständig eine Herausforderung zu sagen: Wir sind auf der einen Seite eine Beauty-Marke, die gewisse Werte vertritt, und ich bin Unternehmer, der genauso wie meine Frau auch gewisse Werte vertritt. Und gleichzeitig müssen wir aber auch ein Stück weit auf Maßnahmen setzen mit Unternehmen, die vielleicht andere Werte vermitteln und andere Werte in die Welt bringen. Wenn man jetzt sich das anguckt, dass wir natürlich als Beauty-Marke auch auf Social Media Plattformen vertreten sein müssen, um Sichtbarkeit auch zu haben, um eben auch wirtschaftlich arbeiten zu können, dann ist natürlich für mich auch als Vater die Frage: Ja, ist das so positiv wie die wirken auf unsere Jugend? Ist es gut, dass sie Mittel einsetzen, um Jugendliche mehr oder weniger täglich am Handy zu halten? Was machen die mit unserer Demokratie? Wie stark sind sie dafür auch mitverantwortlich, dass unsere Gesellschaft ständig, gefühlt zumindest, sich mehr polarisiert? Das sind schon Gedanken, die man sich macht als Unternehmer. Gleichzeitig weiß ich, ich kann im Moment nicht drauf verzichten und es ist auch nicht so, dass Social Media nur schlechte Sachen in die Welt bringt. Viele politische Veränderungen wären auch nicht im positiven Sinne möglich ohne Social Media. Aber das ist schon etwas, was einen beschäftigt. 

    Rainer Münch: Gibt es konkrete Entscheidungen, die Du gerne anders getroffen hättest? Also mal jenseits von dieser grundsätzlichen Social Media Herausforderung. Wo Du sagst, da hätten wir gern noch nachhaltiger agiert, aber es ging einfach nicht. Und vielleicht auch etwas, worüber Du dann so ein bisschen darüber nachdenkst, und irgendwann kannst Du es vielleicht ändern. 

    Sebastian Wölke: Ja, also ich würde natürlich am liebsten alle unsere Produkte beispielsweise plastikfrei anbieten. Wir haben aber auch Plastikprodukte im Sortiment. Aber was eigentlich nicht nötig wäre. Auch ganz viel Wasser durch die Gegend zu schippern. Das ist natürlich auch eigentlich nicht sinnvoll. Aber auch da ist der Markt in einer gewissen Situation, die wir auch ernst nehmen müssen und die wir reflektieren müssen, auch im Sortiment. Persönlich stelle ich mir schon die Frage, wie viel darf man dann auch seiner Partnerin zumuten, was die Selbstständigkeit angeht? Also da weiß ich auch nicht, ob ich in der Vergangenheit immer alles richtig gemacht habe. Nur planet B war schon auch mal ein Stück weit immer unser gemeinsames Baby. Aber ich glaube, ich war vielleicht noch mehr bereit dafür zu kämpfen und da stelle ich mir dann heute manchmal schon die Frage: War das immer richtig für dieses Unternehmertum, sich so einzusetzen? Haben wir uns und habe ich ihr damit auch vielleicht manchmal zu viel zugemutet, zu viel Risiko auch, zu viel Unsicherheit? Das ist schon etwas, was man natürlich auch immer mitdenken muss, wenn man ein Unternehmen oder eine Marke zu zweit auch als Paar führt. Das alles, was man beruflich macht, hat dann auch Auswirkungen auf das Privatleben. Und natürlich möchte man mit keinem Gründer oder Co-Gründer irgendwie ihm was Schlechtes tun oder ihr was Schlechtes tun. Aber wenn es die eigene Partnerin ist, dann noch viel, viel weniger. Und da fragt man natürlich dann manche Dinge schon umso mehr, vor allen Dingen, wenn man unterschiedliche, ja ein unterschiedliches Risiko, eine unterschiedliche Risikofreudigkeit hat, die wir vielleicht haben. Sie ist vielleicht jemand, die ein Stück weit mehr langfristig denkt. Das ist auch gut. Die auch mal an so ganz klassische Sachen denkt wie: Wie sieht denn unsere Renten-Situation eigentlich aus? Ich lebe leider unternehmerisch sehr, sehr stark oft im Hier und Jetzt und denke dann zu wenig an morgen. Und beide Perspektiven haben ja ihre Berechtigung. Aber da ist sie dann oftmals die Besondere. Und ich denke eher: Ah, das ist doch eine Chance, lass uns da drauf springen. 

    Rainer Münch: Was natürlich grundsätzlich eine unglaublich wertvolle Balance ist in so einer Unternehmerkonstellation, dass man da auch sehr unterschiedliche Perspektiven einbringt und damit viel Abwägung hat. Natürlich ist es eine Sondersituation, wenn es dann die Partnerschaft betrifft und auch die Familie. Was wäre denn Dein Tipp an Paare, die sich momentan damit beschäftigen, gemeinsam in die Selbstständigkeit zu gehen? Was würdest Du denen empfehlen? 

    Sebastian Wölke: Also ich würde auf jeden Fall empfehlen, dass man versucht innerhalb des Unternehmens klare Kompetenzen auch zu definieren, dass idealerweise jeder auch so seine eigenen Aufgabenpakete hat. Natürlich stimmt man sich zu vielen Sachen und fast allen Sachen auch immer wieder ab, zumindest in der Größenordnung, in der wir uns jetzt so befinden. Aber ich glaube es ist schon wichtig, dass jeder das Gefühl hat, er hat da seinen Bereich, den er auch machen kann, dass man auch eine vernünftige Balance findet zwischen Nähe und Distanz, weil wenn man nur noch 24 Stunden zusammensitzt und in jedem Meeting gemeinsam und jedem Phone-Call gemeinsam sitzt, dann wird es irgendwann, glaube ich, fast für jede Beziehung eine Herausforderung. Ich meine, meine Eltern haben auch zusammengearbeitet. Die waren 24 Stunden auch unter einem Dach. Aber das war auch nicht immer ohne Konflikte, würde ich sagen. Es geht natürlich. Aber es hilft, wenn man auch ein Stück weit eine gewisse Freiheit hat, eine gewisse Eigenständigkeit in bestimmten Aufgabengebieten hat und wie gesagt, eine Balance findet zwischen Nähe und Distanz. Nur ständig in einem Office zu sitzen, ist sicherlich auch nicht gut. Einfach auch rauszugehen, sich mit anderen zu verbinden, zu connecten und da auch den anderen seine Freiheit zu geben, auch seinen eigenen Aufgabenbereich nach vorne zu bringen, das halte ich schon für wichtig. 

    Rainer Münch: Ja. Ich glaube, wenn meine Frau das hört, dann wird sie hoffen, dass ich nicht für uns gefragt habe. Ich glaube, sie ist nicht so erpicht darauf, in die Selbstständigkeit zu gehen und hat da, glaube ich, ein Risikoprofil was noch mal ein bisschen jenseits dessen liegt, was Deine Frau hat. Zum Abschluss möchte ich mit Dir noch ein bisschen philosophisch werden und hatte Dich ja gebeten, aus dem Buch „Fragebogen von Max Frisch“ eine seiner Lebensfragen auszuwählen, über die wir noch sprechen. Für welche hast Du Dich denn entschieden und warum?  

    Sebastian Wölke: Ja, ich habe mich für die Frage entschieden: “Wissen Sie in der Regel, was Sie hoffen?” Und ich habe mich dafür entschieden, weil das eine schöne Frage ist, die zeigt, wie komplex die menschliche Psyche ist, wie komplex wir auch als Menschen sind. Weil für mich ist da so diese Diskrepanz drin zwischen dem Fühler und dem Denker. Das, was wir wissen, das ist ja für mich so die Denker-Seite, die rationale Seite, natürlich im Negativen auch die Ego-Seite. Aber das, was wir hoffen, ist für mich eher auf der fühlenden Seite und das ist ja etwas, was am Ende die Kunst auch für mich ist, beide Seiten irgendwie zu verstehen und abzudecken. Und ich glaube, wir sind tendenziell in unserer Welt natürlich darauf trainiert, den Denker zu entwickeln. Und das ist auch gut. Aber ich merke bei mir selbst, wie schwer es manchmal ist, auch mit seinen Gefühlen connected zu sein. Ich habe letztes Jahr einen richtigen Purpose-Kurs gemacht mit einer Trainerin, wo es auch um das Thema Lebensziele ging. Und sie konnte mich mit keiner Frage so sehr aus dem Konzept bringen, wie dass sie zwischendurch einfach mal gefragt hat: “Wie geht's jetzt? Was fühlst Du? Was empfindest Du?” Ich hatte auf alles, was rational war, schlaue Antworten, habe ich gedacht oder zumindest oberflächlich. Aber bei der Frage musste ich länger überlegen als bei jeder anderen Frage. 

    Rainer Münch: Ja, das finde ich faszinierend. Es ist auch etwas, was mich viel beschäftigt. Ich bin auch, glaube ich so von der DNA ganz stark auf der Denkerseite und habe da auch in den letzten Jahren viel an der Fühlerseite gearbeitet und arbeite da auch weiter dran und finde diese Verbindung insbesondere spannend und auch herausfordernd in beide Richtungen. Und das finde ich auch faszinierend, da noch mehr herauszufinden, wie man diese Perspektiven so ein bisschen näher aneinander bringt und irgendwie überführt. Und das, was Du auch sagst, dieses: Was spür ich eigentlich zu welchem Zeitpunkt? Das geht mir auch so wie Dir. Wenn ich da spontan gefragt werde, dann muss ich da erst mal ein bisschen nachdenken, was ich eigentlich fühle. Da ist auch meine Frau im Gegensatz, die fühlt ganz stark und kann das irgendwie jederzeit abrufen und da kann ich mir noch ein bisschen was von abschauen. 

    Sebastian Wölke: Ja, wahrscheinlich können wir uns da generell von Frauen oft was abschauen, weil ich glaube, dass ohne in Stereotypen zu fallen, aber ich glaube, das nehme ich häufiger wahr, dass da oft Frauen mit sich und ihren Gefühlen näher im Kontakt sind. Und vielleicht ist es auch so, wie heute natürlich oft noch Jungs auch erzogen werden: “Indianer kennt keinen Schmerz”. Und uns wird dann halt oft auch als Kind schon beigebracht, die Gefühle vielleicht zu unterdrücken. Und als Erwachsener steht man auf einmal da und ist vielleicht gar nicht mehr in der Lage, das zu fühlen. Und das ist sicherlich etwas, was wir teilweise wieder lernen müssen. Und ich merke auch, dass das ein Prozess ist. Dass das nicht von heute auf morgen geht. Da muss man beharrlich sein im Bemühen und bescheiden in der Erfolgserwartung, wie es so schön heißt. 

    Rainer Münch: Ja, total. Und ich finde, diese eigenen Gefühle sind ja erst der erste Schritt. Dann gibt es noch die Gefühle der anderen. Und das ist dann auch so ein Zugang, wenn ich selbst klarer bin in meinem Fühlen und Gefühlen, dann finde ich, bin ich auch empfänglicher für die Gefühle anderer und empathischer und kann noch mal auf einer anderen Ebene einfach auch eine Beziehung herstellen. Im persönlichen wie aber auch im beruflichen Kontext. Es gibt noch ganz viel glaube ich zu erkunden in Richtung Moral, Werte, Gefühle. Ich denke, wir sind jetzt für den Moment am Ende des Gesprächs. Lieber Sebastian, ganz herzlichen Dank. Es hat mir wirklich viel Spaß gemacht und ich hoffe Dir auch.  

    Sebastian Wölke: Danke, sehr sogar. Vielen Dank für die Einladung.  

    Sebastian Wölke ist Co-Gründer und CEO von no planet b. Bei Werten ist sein wichtigster Kompass, aus einer Wir-Perspektive heraus zu handeln. Dann sind für ihn auch Empathie und Wertschätzung für andere Menschen selbstverständlich.

    In der aktuellen Folge beschreibt er, was er beim Gründen und Managen einer Beauty-Marke gemeinsam mit seiner Partnerin gelernt hat. Zudem gibt er zahlreiche persönliche Einblicke zu Themen wie Selbständigkeit, Konsum, Nachhaltigkeit und Purpose. Dies alles hängt auch zusammen mit seiner beeindruckenden Großmutter, die ein Vorbild für ihn ist.

    Das Gespräch wurde aufgezeichnet im April 2024.

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    Rainer Münch: Heute ist Sebastian Wölke zu Gast. Die Grundlagen seiner Karriere hat er bei Unilever gelegt, wo er die ersten fünf Berufsjahre im Marketing und Vertrieb verbracht hat, bevor er dann zu dm Drogeriemarkt auf die Händlerseite gewechselt ist. 2017 hat er dann gemeinsam mit seiner Frau Jessica die Marke no planet b gegründet, die nach einigem Auf und Ab heute in 13 Ländern bei dm mit neuen Pflegeprodukten präsent ist. Sebastian ist Vater von zwei Kindern und lebt in Bielefeld. Lieber Sebastian, ich freue mich sehr, dass Du heute im Podcast Purpose vs. Profit bei mir zu Gast bist.  

    Sebastian Wölke: Vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich auch hier zu sein.  

    Rainer Münch: Gerne möchte ich mit Dir heute drei Aspekte der Wertorientierung aufgreifen. Zunächst Deine persönlichen Werte und Deinen mitgebrachten Gegenstand, eine große moralische Frage bezogen auf Deine Tätigkeit und eine der Lebensfragen von Max Frisch. Beginnen möchte ich mit der Frage: Welche Werte spielen für Dich im Berufsleben denn grundsätzlich eine besondere Rolle? 

    Sebastian Wölke: Ja, also ich versuche mich eigentlich immer ein Stück weit mit einer Frage zu beschäftigen. Und die geht in die Richtung, ob ich das, was ich gerade tue, aus einer Ich-Haltung heraus tue, sozusagen aus dem Ego-Mensch heraus, oder ob ich aus einer Wir-Haltung handele. Und das versuche ich ein Stück weit als meinen Kompass zu nehmen, weil: Wenn man aus einer Wir-Perspektive handelt, dann denke ich, ist es eigentlich selbstverständlich, dass man auch ein Stück weit empathisch handelt, dass man den Gegenüber ernst nimmt als Mensch, dass man zuverlässig ist, dass man andere Perspektiven auch wertschätzt, auch wenn man nicht immer einer Meinung sein kann. Und das ist für mich sehr, sehr wichtig, Menschen so gegenüberzutreten. Das andere, was für mich als Wert noch wichtig ist und für mich vielleicht auch ein bisschen ungewöhnlich ist als Marketeer: Ich denke es ist schon wichtig, dass wir auch als Gesellschaft demütig sind, auch ein Stück weit genügsam wieder sein können. Ich bewundere beispielsweise Menschen, die mit wenig auskommen, obwohl sie sich vielleicht materiell mehr leisten könnten. Also Menschen, die eigentlich die Möglichkeit hätten, im Luxus zu leben und trotzdem bodenständig weiterhin sind und auch einfach leben können. Das finde ich schon toll, weil ich glaube, am Ende ist es so, die Dinge besitzen uns ja und mit jedem Gegenstand kommen Verpflichtungen. Und ich glaube, es ist wichtig, gerade in der heutigen Zeit, auch materielle Dinge zu hinterfragen. Und ich versuche zumindest bei meinen Kindern eher in gemeinsame Zeit zu investieren, als das Kinderzimmer voll zu packen mit Spielsachen. 

    Rainer Münch: Ja, kann ich gut verstehen. Sicherlich eine Ambition, die ich auch mit Dir teile, auch was die Kinder angeht, irgendwo die richtigen, die aus meiner, aus unserer Sicht richtigen Akzente früh zu setzen. Du hast am Anfang gesagt, dieser Kontrast: Ich-Bezug vs. Wir-Bezug ist für Dich irgendwo auch wichtig. Wer steht denn für Dich hinter „Wir“? Wie breit würdest Du das „Wir“ denn da fassen?  

    Sebastian Wölke: Sehr weit. Also das ist für mich jetzt auch nicht nur auf Menschen bezogen. Ich meine, wir arbeiten jetzt bei no planet b auch sehr stark ressourcenorientiert. Auch nicht ohne Grund nennen wir die Produkte no planet b. Also da schließt sich der Kreis natürlich dann genauso zum Thema planetare Grenzen, zum Thema auch wie wir mit Tieren umgehen. Das gehört alles für mich auch am Ende dazu. Und insofern schließt das nicht nur Menschen mit ein. Das ist natürlich jetzt ein großer Kreis und als Unternehmer kann man diesen Kreis auch nicht immer komplett überblicken und dem Anspruch immer so hundertprozentig gerecht werden. Aber sich zumindest die Frage zu stellen: Was hat das für Auswirkungen auf das große Ganze? Das denke ich, kann man als Unternehmer schon tun und da versuchen, bestmögliche Lösungen zu finden.  

    Rainer Münch: Und dieser Aspekt dieser Weisheit, sich da eben auch ein bisschen zu lösen von dieser materiellen Orientierung: Gibt es da Ansätze, wie Du das für Dich versuchst? 

    Sebastian Wölke: Ja, also etwas, was natürlich ganz praktisch bei uns immer wieder geholfen hat, aber das haben wir erst später erkannt: Wir sind in den letzten Jahrzehnten extrem oft umgezogen beruflich bedingt. Und spätestens beim Umzug merkt man natürlich dann immer, wie stark sich auch die Dinge angesammelt haben. Und mir hilft das jetzt heutzutage immer mehr, mir die Frage zu stellen: Ist das etwas, was ich wirklich brauche, wenn ich vor einer Kaufentscheidung stehe oder nervt mich das beim nächsten Umzug? Also das ist eine ganz praktische Sache. Ist das wirklich etwas, was wir langfristig brauchen als Familie? Und das andere, was ich wirklich empfehlen kann, ist sich zu überlegen, auf wie viel Quadratmeter Fläche man zieht. Weil wir haben in England beispielsweise mit vier Personen auf weniger als 70 Quadratmetern gewohnt. Dort konnten wir automatisch nicht viel kaufen, weil es ein kleines viktorianisches Haus war. Da musste man sich immer die Frage stellen, wo soll es denn hin, wenn man etwas anschaffen wollte. Und dann sind wir in Deutschland das erste Mal zuerst in eine Mietwohnung gezogen, die deutlich größer war. Und oh Wunder, oh Wunder, dann haben sich diese Quadratmeter auch wieder gefüllt. Jetzt haben wir uns wieder verkleinert und es ist wirklich schön – in Anführungsstrichen – eine Begrenzung zu haben, dass man auch nicht einfach alles anschaffen kann. Und es ist nicht für alles Platz. Und man stellt dann immer wieder fest, es geht auch mit weniger. 

    Rainer Münch: Was ich mich manchmal frage: Wenn dieser Konsumimpuls da ist, warum ist er da, und was für eine Befriedigung suche ich eigentlich damit? Ich finde es manchmal herausfordernd, da dann zu einer Lösung zu kommen, weil natürlich ist es einfach ein Bedürfnis und ein Wunsch nach so einem Glücksmoment, das man hat. Ich glaube das, was Du jetzt als die weisen Menschen bezeichnest: Die schaffen eben andere Wege, dieses Glück dann zu empfinden und zu finden. Und das finde ich aber zugleich ganz schön herausfordernd, diesen Weg für sich auch zu entdecken und dann zu sagen: Ich kann eigentlich das gleiche Glück auch bei einem Waldspaziergang finden, wie bei der Bestellung, mit der ich dann eben auch diese materielle Befriedigung verbinde. Das ist für mich noch so ein Aspekt, der da mit hereinspielt. 

    Sebastian Wölke: Ich stelle bei mir fest, dass dieser materielle Wunsch vor allen Dingen an Tagen da ist, wo ich eine gewisse Leere auch spüre, wo vielleicht der Tag nicht so gut gelaufen ist, wo man dann auf dem Heimweg denkt: Oh, jetzt springst Du noch da und da rein und kaufst Dir was und gönnst Dir etwas als Kompensation. Was man machen kann oder: was ich dann ab und zu mache, ist, dass ich nicht irgendwas kaufe, was ein Gebrauchsgegenstand ist, der dann lange irgendwo steht, sondern dass ich dann sage, okay, wenn ich irgendwie das Gefühl habe, ich sollte mir und möchte mir etwas Gutes tun, springe ich in den Supermarkt und kaufe ein paar schöne Sachen für ein schönes Abendessen mit der Familie. Das ist natürlich auch eine Art von Konsum, von sich etwas gönnen, aber das ist dann zumindest nicht etwas, was monate- und jahrelang in einer Ecke steht und kein Mensch mehr braucht, sondern da hat man vielleicht dann einen schönen Abend als Familie zusammen und hat aber trotzdem das Gefühl, jetzt habe ich mir etwas gegönnt und versucht, den Tag, der vielleicht nicht so gut gelaufen ist, einigermaßen gut ausklingen zu lassen. 

    Rainer Münch: Ja, da muss ich dann ja spontan an Schokolade denken, die dann konsumiert wird und ja auch eine gewisse Befriedigung dann mit sich bringt, nur natürlich nicht nur gesund ist – wobei in Maßen sicherlich ganz in Ordnung. Was ich auch spannend fand in dem Zusammenhang, ich hatte am Wochenende in der Süddeutschen gelesen, wie sehr man sich als Mensch dann doch auf kleine Dinge sensibilisieren kann. Da gab es eine Empfehlung von, ich weiß gar nicht mehr, wer der Autor war, dass man sich vornehmen könnte, um diese Nähe zur Natur wieder zu schaffen, jeden Tag an den gleichen Ort in die Natur zu gehen, bei Wind und Wetter. Und er meinte dann, es sei völlig faszinierend, wie stark man dann sensibilisiert wird, kleinste Veränderungen wahrzunehmen. Und diese Feinsensibilisierung erlaubt dann auch natürlich ganz andere Erfahrungen, während wir da glaube ich häufig im Alltag so ganz grob unterwegs sind und eben den großen Konsum brauchen, um etwas zu fühlen und diese Feinheiten dann auch schnell verloren gehen. Das kostet nur alles so viel Energie und auch Zeit und dann ist manchmal die einfache Lösung die Nächste. 

    Sebastian Wölke: Ja, manchmal reicht es schon, wenn man wirklich einen Baum vor der Tür hat. Also wir haben jetzt wieder das Glück, dass wir bei uns aus dem Wohnzimmer auf einen schönen Kastanienbaum gucken und allein da täglich jetzt zum Frühling zu sehen, wie sich das verändert, das Blättermeer, das ist auch schon eine Art von Ritual, was helfen kann im Alltag. Jetzt hat leider nicht jeder einen Baum vor der Tür und kann aus dem Wohnzimmer auf einen Baum gucken. Aber es ist schon etwas, was man vielleicht auf dem Weg zur Arbeit einfach mal wahrnehmen kann und sich das als Ritual machen kann. 

    Rainer Münch: Vielleicht kommen wir einfach mal zu Deinem Wertgegenstand. Was hast Du mir denn mitgebracht? Und warum hast Du mir das mitgebracht? 

    Sebastian Wölke: Ich habe ein Bild mitgebracht. Das ist so ungefähr 100 Jahre alt. Das ist von meiner Oma, die mich lange begleitet hat. Das ist aus den 20er Jahren mit ihren beiden Brüdern. Und da steht sie in der heimischen Backstube und zeigt da ganz stolz die entstanden Backwaren und Kuchen. Und ich glaube, im Hintergrund sind auch Brote zu sehen. Sie hatten eine Bäckerei und Konditorei zu Hause und ich finde, das ist ein schönes Beispiel dafür, wie man einen Beruf ausüben kann und total in dem Prozess des Backens aufgehen und die Produkte dann am Ende auch stolz präsentieren kann. Und jenseits davon, ob man damit reich wird oder nicht, haben sie einfach ihre Arbeit mit so viel Leidenschaft gemacht und am Ende diese Ergebnisse dann stolz auf diesem Tisch präsentiert. Das finde ich einfach bis heute inspirierend, weil wir heute natürlich sehr stark oft eine Arbeit machen, vom Ziel herausdenkend, also von dem Erfolg, der uns natürlich lenkt. Immer mit der Frage: Wie viel Umsatz bringt uns das und wie viel Profit macht das? Und weniger mit dieser Leidenschaft für den Prozess und mit der Leidenschaft dann für diese Qualität, für das Produkt. Und ich meine das schöne Wort: Erfolg. Da steckt es ja schon drin, das ist ja die Folge von etwas. Und für mich ist es die Folge von so einer Begeisterung für einen Beruf, Begeisterung für die Produkte, Begeisterung für Qualität. Und wenn man das schafft in seiner Arbeit, dann ist halt für mich Erfolg am Ende fast die logische Konsequenz. Ein bisschen Glück braucht man am Ende auch noch, ganz klar. Aber trotzdem ist das für mich schon die Basis von einem gelungenen Berufsleben. 

    Rainer Münch: Ja, da haben wir eine sehr schöne Verbindung. Für mich ist, wenn ich an Werte denke, mein Großvater eine wichtige Orientierung. Was er mir so mitgegeben hat. Und er war Müller. Also er hat auch wie Deine Großmutter viel mit Mehl zu tun gehabt und hat das auch mit viel Leidenschaft gemacht. Er hat gearbeitet, bis er 76 war. Er ist täglich in die Mühle und hat damit auch viel verbunden. Und hatte da auch einen Bezug. Und wenn wir dann Spaziergänge gemacht haben und da waren Getreidefelder, dann hat er immer über die Ähren gestrichen und hat es sich so irgendwie angeschaut und das hat in ihm etwas ausgelöst. Und das fand ich auch sehr faszinierend, wie viel da drinsteckt, wie viel Kraft in dieser Berufung in diesem Fall steckt. Gibt es denn Momente, wo Deine Großmutter für Dich präsent ist mit ihren Werten? Wo Du sie sozusagen hörst? 

    Sebastian Wölke: Ja. Sie war für uns in der Familie immer ein Stück weit die moralische Instanz. Und sie hat uns schon früh immer ihre fast bekannten, zumindest in unserer Familie bekannten, One-Liner mitgegeben, was ihre Werte waren. Beispielsweise eben dieses Thema, dass wir keine Ich-Menschen werden sollten und dass wir uns auch vor Ich-Menschen hüten sollten. Also ihr war das „Wir“ immer sehr wichtig. Auch das Thema Genügsamkeit. Sie hat auch immer gesagt: Ihr könnt nicht immer glücklich sein im Leben, aber Ihr könnt immer zufrieden sein mit dem, was Ihr habt. Also sie hat uns immer mit wenigen Worten eine ganz klare Richtung mitgegeben und ganz klare Empfehlungen fürs Leben gemacht. Und das begleitet mich bis heute, weil sie ja nicht nur in der Familie aktiv war, sondern sie war auch unternehmerisch aktiv. Sie hat ja mit ihrem Mann auch einen eigenen Betrieb geführt, auch in der Kriegszeit geführt und da hat sie diese Werte auch gelebt. Da hat dann auch jeder noch irgendwo eine Scheibe Brot bekommen, auch wenn er keine Essensmarke mehr hatte. Und das war eben dann auch das, was sie so besonders gemacht hat, die Werte nicht nur zu benennen, sondern täglich danach zu handeln und ganz klar für die Werte auch einzustehen. Auch wenn das im Zweifel bedeutete, dass man selbst auf Geld verzichtet hat. Oder teilweise in der damaligen Zeit natürlich, wenn man sich nicht an die Regeln gehalten hat, auch sich sogar in Gefahr gebracht hat. Aber für sie war dieses Thema Menschlichkeit und Menschen zu helfen einfach so wichtig, dass sie andere Sachen de-priorisiert hat und da ganz klar nach ihren Werten gelebt hat. Und das ist etwas, was mit der heutigen Zeit nicht vergleichbar ist, weil wir uns in der Regel mit dem, was wir tun, positionieren können, aber nicht unbedingt uns in Gefahr begeben. Aber wir können trotzdem da, wo wir im Leben aktiv sind, auch einen Beitrag leisten. Und das hat sie auch immer gesagt zu mir: ”Egal, wo Dich das Leben hinstellt, Du kannst einen positiven Beitrag leisten.” Und das habe ich am Anfang nie verstanden: Wo Dich das Leben hinstellt? Ich habe immer gedacht, man sucht sich doch das aus, wo man im Leben mal landet. Ich suche mir doch noch meinen Beruf aus. Ich suche mir doch meine Partnerin aus. Aber am Ende ist es natürlich so: Wir purzeln da irgendwie aus der Uni raus und suchen uns dann irgendwie einen Beruf, eine Firma, von der wir glauben, dass sie toll ist, ohne dass wir jemals für sie gearbeitet haben. Ein Stück weit ist es dann schon so, dass man irgendwann mit 40 oder 45 feststellt: Das Leben hat einen irgendwo hingestellt. Viele Zufälle haben einen irgendwo hingestellt. Ich bin irgendwo Marketeer und Unternehmer geworden, aber durch viele Zufälle. Und trotzdem kann ich jetzt an der Stelle versuchen, einen positiven Beitrag zu leisten und vielleicht das eine oder andere mit meinem Know-how in eine Richtung zu bringen, die aus meiner Sicht sinnvoll ist und die hoffentlich einen positiven Beitrag leistet. Und da ist sie sicherlich ein Stück weit immer wieder auch in meinem Ohr.   

    Rainer Münch: Ja, wie Du sagst, finde ich auch, dass da ganz viel drinsteckt in dieser Formulierung: Wo einen das Leben hinstellt, und natürlich ein passiver Teil, aber auch ein implizit aktiver Teil, dass man eben auch sich das eben nicht so ganz fein aussuchen kann, sondern dass es da auch eine gewisse Offenheit braucht, eine Selbstwahrnehmung auch, also dieses „Wo zieht es mich hin?“. Eben auch zuzulassen und zu spüren und dem auch in einem gewissen Rahmen nachzugeben und sich da zu entwickeln, um dann etwas zu finden, wo man sich dann eben auch aufgestellt fühlt und im Einklang mit sich selbst. Und diese Werte, die Du ansprichst von Deiner Großmutter, da sehe ich auch viele Parallelen zu meinem Großvater, der sich auch immer viel für Schwächere eingesetzt hat und da auch wirklich unter Akzeptanz von persönlichem Risiko zum Teil da auch rein ist in solche Situationen. Das hat mich immer sehr beeindruckt, wie wenig er da in dem Moment dann auch an sich gedacht hat und an die Konsequenzen. 

    Sebastian Wölke: Ja, absolut. Bei meiner Oma war es auch so, dass es schon schön war zu sehen, dass auch Menschen das viele Jahre später nicht vergessen haben. Ich kann mich dran erinnern, auch als Kind tauchten immer wieder Menschen zu ihrem Geburtstag auf, die wir gar nicht kannten. Einmal kam sogar ein Politiker aus Düsseldorf angereist zu ihrem Geburtstag, den wir aber überhaupt gar nicht kannten und der sich auch noch mal bei ihr bedankte für das, was sie in der Zeit – also in der Kriegszeit – für die Familie getan hat. Und da sieht man dann schon, dass so eine Menschlichkeit auch nicht unvergessen ist, also dass die Menschen sich schon dann auch am Ende daran erinnern, was passiert ist, im Guten wie im Schlechten. Und wenn man da Menschlichkeit zeigt, gerade zu Zeiten, wo die Menschen sehr zu kämpfen hatten und es wirklich um das Menschsein auch ging, dass das nicht vergessen wird, das war auch für mich eine tolle Erfahrung, als Kind das schon zu sehen, dass es Menschen gibt, die dann auch kommen und sagen: “Danke, dass Du das gemacht hast.” 

    Rainer Münch: Ja, das finde ich bemerkenswert. Wenn wir vielleicht mal diese moralischen Aspekte auch entwickeln in Richtung des geschäftlichen Kontexts und dieses Profit versus Purpose mal reflektieren bezogen auf Deine Tätigkeit: Ihr setzt sehr stark auf Nachhaltigkeit in Eurem Produkt, in Eurem Unternehmen, in der Ausrichtung. Ich finde, die Werte sind auch sehr präsent, die Ihr da vermittelt mit Eurer Unternehmung. Und da würde mich interessieren: Gibt es denn auch unternehmerische Entscheidungen, wo Dir und Euch dann doch schmerzlich bewusst wird, dass Ihr am Ende ein “For Profit”-Unternehmen seid und dass es eben auch Kompromisse geben muss in puncto Nachhaltigkeit? 

    Sebastian Wölke: Also ganz klar: Zum einen natürlich, was die Produkte angeht, müssen wir immer sehen, dass wir auch nicht zu teuer werden. Das heißt im Endeffekt auch, dass wir bestimmte Inhaltsstoffe vielleicht noch nicht einsetzen können, die es vielleicht auch in Upcycling-Qualität gibt. Wir setzen ja vor allen Dingen auf Nebenprodukte aus der Lebensmittelproduktion, das heißt, da müssen wir immer die Balance finden zwischen Bezahlbarkeit und am Ende auch Nachhaltigkeit. Das ist ein Balanceakt. Aber auch was jetzt so meine moralischen Werte angeht, ist es für mich auch als Unternehmer natürlich ständig eine Herausforderung zu sagen: Wir sind auf der einen Seite eine Beauty-Marke, die gewisse Werte vertritt, und ich bin Unternehmer, der genauso wie meine Frau auch gewisse Werte vertritt. Und gleichzeitig müssen wir aber auch ein Stück weit auf Maßnahmen setzen mit Unternehmen, die vielleicht andere Werte vermitteln und andere Werte in die Welt bringen. Wenn man jetzt sich das anguckt, dass wir natürlich als Beauty-Marke auch auf Social Media Plattformen vertreten sein müssen, um Sichtbarkeit auch zu haben, um eben auch wirtschaftlich arbeiten zu können, dann ist natürlich für mich auch als Vater die Frage: Ja, ist das so positiv wie die wirken auf unsere Jugend? Ist es gut, dass sie Mittel einsetzen, um Jugendliche mehr oder weniger täglich am Handy zu halten? Was machen die mit unserer Demokratie? Wie stark sind sie dafür auch mitverantwortlich, dass unsere Gesellschaft ständig, gefühlt zumindest, sich mehr polarisiert? Das sind schon Gedanken, die man sich macht als Unternehmer. Gleichzeitig weiß ich, ich kann im Moment nicht drauf verzichten und es ist auch nicht so, dass Social Media nur schlechte Sachen in die Welt bringt. Viele politische Veränderungen wären auch nicht im positiven Sinne möglich ohne Social Media. Aber das ist schon etwas, was einen beschäftigt. 

    Rainer Münch: Gibt es konkrete Entscheidungen, die Du gerne anders getroffen hättest? Also mal jenseits von dieser grundsätzlichen Social Media Herausforderung. Wo Du sagst, da hätten wir gern noch nachhaltiger agiert, aber es ging einfach nicht. Und vielleicht auch etwas, worüber Du dann so ein bisschen darüber nachdenkst, und irgendwann kannst Du es vielleicht ändern. 

    Sebastian Wölke: Ja, also ich würde natürlich am liebsten alle unsere Produkte beispielsweise plastikfrei anbieten. Wir haben aber auch Plastikprodukte im Sortiment. Aber was eigentlich nicht nötig wäre. Auch ganz viel Wasser durch die Gegend zu schippern. Das ist natürlich auch eigentlich nicht sinnvoll. Aber auch da ist der Markt in einer gewissen Situation, die wir auch ernst nehmen müssen und die wir reflektieren müssen, auch im Sortiment. Persönlich stelle ich mir schon die Frage, wie viel darf man dann auch seiner Partnerin zumuten, was die Selbstständigkeit angeht? Also da weiß ich auch nicht, ob ich in der Vergangenheit immer alles richtig gemacht habe. Nur planet B war schon auch mal ein Stück weit immer unser gemeinsames Baby. Aber ich glaube, ich war vielleicht noch mehr bereit dafür zu kämpfen und da stelle ich mir dann heute manchmal schon die Frage: War das immer richtig für dieses Unternehmertum, sich so einzusetzen? Haben wir uns und habe ich ihr damit auch vielleicht manchmal zu viel zugemutet, zu viel Risiko auch, zu viel Unsicherheit? Das ist schon etwas, was man natürlich auch immer mitdenken muss, wenn man ein Unternehmen oder eine Marke zu zweit auch als Paar führt. Das alles, was man beruflich macht, hat dann auch Auswirkungen auf das Privatleben. Und natürlich möchte man mit keinem Gründer oder Co-Gründer irgendwie ihm was Schlechtes tun oder ihr was Schlechtes tun. Aber wenn es die eigene Partnerin ist, dann noch viel, viel weniger. Und da fragt man natürlich dann manche Dinge schon umso mehr, vor allen Dingen, wenn man unterschiedliche, ja ein unterschiedliches Risiko, eine unterschiedliche Risikofreudigkeit hat, die wir vielleicht haben. Sie ist vielleicht jemand, die ein Stück weit mehr langfristig denkt. Das ist auch gut. Die auch mal an so ganz klassische Sachen denkt wie: Wie sieht denn unsere Renten-Situation eigentlich aus? Ich lebe leider unternehmerisch sehr, sehr stark oft im Hier und Jetzt und denke dann zu wenig an morgen. Und beide Perspektiven haben ja ihre Berechtigung. Aber da ist sie dann oftmals die Besondere. Und ich denke eher: Ah, das ist doch eine Chance, lass uns da drauf springen. 

    Rainer Münch: Was natürlich grundsätzlich eine unglaublich wertvolle Balance ist in so einer Unternehmerkonstellation, dass man da auch sehr unterschiedliche Perspektiven einbringt und damit viel Abwägung hat. Natürlich ist es eine Sondersituation, wenn es dann die Partnerschaft betrifft und auch die Familie. Was wäre denn Dein Tipp an Paare, die sich momentan damit beschäftigen, gemeinsam in die Selbstständigkeit zu gehen? Was würdest Du denen empfehlen? 

    Sebastian Wölke: Also ich würde auf jeden Fall empfehlen, dass man versucht innerhalb des Unternehmens klare Kompetenzen auch zu definieren, dass idealerweise jeder auch so seine eigenen Aufgabenpakete hat. Natürlich stimmt man sich zu vielen Sachen und fast allen Sachen auch immer wieder ab, zumindest in der Größenordnung, in der wir uns jetzt so befinden. Aber ich glaube es ist schon wichtig, dass jeder das Gefühl hat, er hat da seinen Bereich, den er auch machen kann, dass man auch eine vernünftige Balance findet zwischen Nähe und Distanz, weil wenn man nur noch 24 Stunden zusammensitzt und in jedem Meeting gemeinsam und jedem Phone-Call gemeinsam sitzt, dann wird es irgendwann, glaube ich, fast für jede Beziehung eine Herausforderung. Ich meine, meine Eltern haben auch zusammengearbeitet. Die waren 24 Stunden auch unter einem Dach. Aber das war auch nicht immer ohne Konflikte, würde ich sagen. Es geht natürlich. Aber es hilft, wenn man auch ein Stück weit eine gewisse Freiheit hat, eine gewisse Eigenständigkeit in bestimmten Aufgabengebieten hat und wie gesagt, eine Balance findet zwischen Nähe und Distanz. Nur ständig in einem Office zu sitzen, ist sicherlich auch nicht gut. Einfach auch rauszugehen, sich mit anderen zu verbinden, zu connecten und da auch den anderen seine Freiheit zu geben, auch seinen eigenen Aufgabenbereich nach vorne zu bringen, das halte ich schon für wichtig. 

    Rainer Münch: Ja. Ich glaube, wenn meine Frau das hört, dann wird sie hoffen, dass ich nicht für uns gefragt habe. Ich glaube, sie ist nicht so erpicht darauf, in die Selbstständigkeit zu gehen und hat da, glaube ich, ein Risikoprofil was noch mal ein bisschen jenseits dessen liegt, was Deine Frau hat. Zum Abschluss möchte ich mit Dir noch ein bisschen philosophisch werden und hatte Dich ja gebeten, aus dem Buch „Fragebogen von Max Frisch“ eine seiner Lebensfragen auszuwählen, über die wir noch sprechen. Für welche hast Du Dich denn entschieden und warum?  

    Sebastian Wölke: Ja, ich habe mich für die Frage entschieden: “Wissen Sie in der Regel, was Sie hoffen?” Und ich habe mich dafür entschieden, weil das eine schöne Frage ist, die zeigt, wie komplex die menschliche Psyche ist, wie komplex wir auch als Menschen sind. Weil für mich ist da so diese Diskrepanz drin zwischen dem Fühler und dem Denker. Das, was wir wissen, das ist ja für mich so die Denker-Seite, die rationale Seite, natürlich im Negativen auch die Ego-Seite. Aber das, was wir hoffen, ist für mich eher auf der fühlenden Seite und das ist ja etwas, was am Ende die Kunst auch für mich ist, beide Seiten irgendwie zu verstehen und abzudecken. Und ich glaube, wir sind tendenziell in unserer Welt natürlich darauf trainiert, den Denker zu entwickeln. Und das ist auch gut. Aber ich merke bei mir selbst, wie schwer es manchmal ist, auch mit seinen Gefühlen connected zu sein. Ich habe letztes Jahr einen richtigen Purpose-Kurs gemacht mit einer Trainerin, wo es auch um das Thema Lebensziele ging. Und sie konnte mich mit keiner Frage so sehr aus dem Konzept bringen, wie dass sie zwischendurch einfach mal gefragt hat: “Wie geht's jetzt? Was fühlst Du? Was empfindest Du?” Ich hatte auf alles, was rational war, schlaue Antworten, habe ich gedacht oder zumindest oberflächlich. Aber bei der Frage musste ich länger überlegen als bei jeder anderen Frage. 

    Rainer Münch: Ja, das finde ich faszinierend. Es ist auch etwas, was mich viel beschäftigt. Ich bin auch, glaube ich so von der DNA ganz stark auf der Denkerseite und habe da auch in den letzten Jahren viel an der Fühlerseite gearbeitet und arbeite da auch weiter dran und finde diese Verbindung insbesondere spannend und auch herausfordernd in beide Richtungen. Und das finde ich auch faszinierend, da noch mehr herauszufinden, wie man diese Perspektiven so ein bisschen näher aneinander bringt und irgendwie überführt. Und das, was Du auch sagst, dieses: Was spür ich eigentlich zu welchem Zeitpunkt? Das geht mir auch so wie Dir. Wenn ich da spontan gefragt werde, dann muss ich da erst mal ein bisschen nachdenken, was ich eigentlich fühle. Da ist auch meine Frau im Gegensatz, die fühlt ganz stark und kann das irgendwie jederzeit abrufen und da kann ich mir noch ein bisschen was von abschauen. 

    Sebastian Wölke: Ja, wahrscheinlich können wir uns da generell von Frauen oft was abschauen, weil ich glaube, dass ohne in Stereotypen zu fallen, aber ich glaube, das nehme ich häufiger wahr, dass da oft Frauen mit sich und ihren Gefühlen näher im Kontakt sind. Und vielleicht ist es auch so, wie heute natürlich oft noch Jungs auch erzogen werden: “Indianer kennt keinen Schmerz”. Und uns wird dann halt oft auch als Kind schon beigebracht, die Gefühle vielleicht zu unterdrücken. Und als Erwachsener steht man auf einmal da und ist vielleicht gar nicht mehr in der Lage, das zu fühlen. Und das ist sicherlich etwas, was wir teilweise wieder lernen müssen. Und ich merke auch, dass das ein Prozess ist. Dass das nicht von heute auf morgen geht. Da muss man beharrlich sein im Bemühen und bescheiden in der Erfolgserwartung, wie es so schön heißt. 

    Rainer Münch: Ja, total. Und ich finde, diese eigenen Gefühle sind ja erst der erste Schritt. Dann gibt es noch die Gefühle der anderen. Und das ist dann auch so ein Zugang, wenn ich selbst klarer bin in meinem Fühlen und Gefühlen, dann finde ich, bin ich auch empfänglicher für die Gefühle anderer und empathischer und kann noch mal auf einer anderen Ebene einfach auch eine Beziehung herstellen. Im persönlichen wie aber auch im beruflichen Kontext. Es gibt noch ganz viel glaube ich zu erkunden in Richtung Moral, Werte, Gefühle. Ich denke, wir sind jetzt für den Moment am Ende des Gesprächs. Lieber Sebastian, ganz herzlichen Dank. Es hat mir wirklich viel Spaß gemacht und ich hoffe Dir auch.  

    Sebastian Wölke: Danke, sehr sogar. Vielen Dank für die Einladung.  

Autoren
  • Sebastian Wölke und
  • Rainer Münch