Vom ungeliebten Stiefkind zum Wachstumsmotor
26. Februar 2019
Die Gewerbe- und kleineren Firmenkunden stellen für die Banken ein substanzielles und profitables Segment dar. Gleichzeitig stellen sie zunehmend höhere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der betreuenden Banken, so Dr. René Frischer, Partner bei Oliver Wyman: „Mehr als 50 Prozent der Gewerbe- und kleineren Firmenkunden machen einen Teil ihres Umsatzes im Internet, 40 Prozent anteilig im Ausland. Hier haben Banken es oft verschlafen, ihr Angebot daran auszurichten, Kunden zu halten und zusätzliche Erträge zu generieren.“ Das Segment ist sehr heterogen und reicht vom Bäcker über den Schreiner bis hin zum Rechtsanwalt.
Lukratives Segment
Die Gewerbe- und kleineren Firmenkunden bilden eine bedeutende und lukrative Säule des Bankgeschäfts: Allein 2017 sorgten sie Oliver Wyman-Analysen zufolge für ein Ertragsvolumen von rund 11 Milliarden Euro. Während das Privatkundengeschäft stagniert, wird der Ertragspool im kleineren Firmenkundengeschäft bis 2022 um rund 1 Milliarde Euro wachsen. Dabei macht das Kreditgeschäft derzeit noch mehr als 85 Prozent des Ertragspools aus, der Rest entfällt auf Einlagen und Provisionseinnahmen.
Doch die Ansprüche der Selbständigen und kleineren Firmenkunden an die Kreditinstitute nehmen kontinuierlich zu, „business as usual“ fortzusetzen ist für die Banken riskant. Ein Trend ist die Verschiebung in Richtung Auslands- und Onlineumsätze, ein weiterer die zunehmenden Ansprüche an Banken, integrierte Lösungen anzubieten, die auch mit den Firmen-internen Systemen (Buchhaltung, Steuerberatung, Personalwirtschaft, etc.) und mit den Lieferanten und Kunden der Firmen verzahnt sind. „Wird den steigenden Anforderungen an die Finanzdienstleistung nicht Rechnung getragen, steigt die Unzufriedenheit und schließlich auch die Wechselbereitschaft“, sagt Benjamin Schulz, Principal bei Oliver Wyman.
Angespanntes Verhältnis
Wie angespannt das Verhältnis zwischen Banken und kleineren Firmenkunden ist, machen die Ergebnisse der Oliver Wyman-Befragung deutlich. Demnach würde lediglich ein Drittel der befragten Gewerbekunden ihre aktuelle Hausbank weiterempfehlen. In den letzten 12 Monaten haben 5 Prozent ihre Hausbank gewechselt. Zu den wichtigsten Gründen zählen die Preise (51 Prozent), die Beratungsqualität (31 Prozent), die Kreditbereitschaft (23 Prozent), gefolgt von der Reputation des Kreditinstituts (23 Prozent) und fehlenden Spezialisten für Gewerbekunden (20 Prozent).
Zudem setzen immer weniger Kunden nur noch auf eine Hausbank: Historisch waren es 70 Prozent, aktuell sind es nur noch rund 50 Prozent. 13 Prozent der Kunden pflegen inzwischen sogar 3 gleichwertige Bankverbindungen. Die Gründe dafür liegen vor allem beim Preis, der Informations-Diversifikation sowie dem Beratungs- und Produktangebot.
Gleichzeitig steigt die Bereitschaft der Firmenkunden, mit neuen Wettbewerbern im Bankensektor zusammenzuarbeiten, allen voran Fintechs und anderen Technologieunternehmen wie PayPal oder Klarna. Falls die Banken nichts ändern, droht bis zum Jahr 2022 ein Migrationsrisiko in diesem Segment von etwa 30 Prozent. Das bedeutet: In den kommenden Jahren könnte ein Ertragspotenzial von 3 Milliarden Euro neu verteilt werden.
Dem Exodus entgegenwirken
Um dem drohenden Exodus entgegenzuwirken sind die Banken gefordert, den steigenden Ansprüchen der Selbständigen und kleineren Firmenkunden gerecht zu werden, so die Berater von Oliver Wyman. Nach wie vor relevant bleibt der Berater als persönlicher Ansprechpartner der Unternehmen. Allerdings sei die direkt physische Präsenz hierfür keine notwendige Voraussetzung mehr. „Die Kunden wollen verschiedene Kanäle für die Interaktion nutzen“, sagt Schulz. „Schnelle Reaktionszeiten werden deutlich wichtiger.“
Auch beim digitalen Banking gilt es aufzuholen: „Digitale Zahlungslösungen, integrierte Plattformen für geschäftliche und private Konten, digitale Prozesse inklusive digitaler Unterschrift, direkte Datenexporte der Bank ins Buchhaltungssystem oder Online/Mobil-Interaktionen werden zunehmend als selbstverständlich vorausgesetzt“, sagt Schulz.
Zudem müsse der Kreditprozess beschleunigt werden. Die Kunden warten gemäß der Umfrage heute im Durchschnitt 7 Tage auf eine Kreditzusage und noch einmal 5 weitere Tage bis zur Auszahlung. „Dass heute bis zur Kreditauszahlung im Durchschnitt immer noch fast zwei Wochen vergehen, ist kaum noch vermittelbar. Dank neuer Ratingmethoden und Nutzung von Cash flow-Informationen werden wir einen Trend zur taggleichen Bewilligung und Auszahlung sehen. Banken, die ihren Kreditprozess nicht zügig an diese neue Normalität anpassen, werden deutliche Marktanteilsverluste erleiden“, sagt Fischer.
Zuguterletzt seien die Banken gefordert, den Gewerbekunden Lösungsangebote zur Unterstützung des täglichen Geschäfts anzubieten. Beispiele hierfür sind Cash-flow-Prognosen oder Forderungsmanagement-Plattformen. Dazu gehören auch digitale „Beyond Banking“-Angebote wie Cloud-basierte Unternehmenssoftware, Marktplätze für Dienstleistungen oder Benchmarking mit ähnlichen Unternehmen.
„Die Gewerbekunden sind längst vom ungeliebten Stiefkind der Finanzbranche zum unterschätzten Wachstumsmotor geworden“, sagt Fischer. „Um nicht vom Wettbewerb verdrängt zu werden, müssen die Banken den steigenden Bedürfnissen dieser Klientel gerecht werden. Gelingen kann das nur mit einem modernen Online-Banking, das mit kompetenter, digital bereitgestellter, persönlicher Beratung kombiniert wird, sowie mit auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnittenen Produkten und smarten Lösungen zu attraktiven Preisen. Wenn das gelingt, steht einer zukunfts- und wachstumsorientierten Beziehung zwischen Bank und Gewerbekunden nichts mehr im Wege.“
Über die Befragung
An der Befragung nahmen 1.021 Gewerbekunden von Banken in Deutschland mit einem Umsatz bis zu 15 Millionen Euro teil. Die Befragung fand im 4. Quartal 2018 statt.
Pressekontakt
Maike Wiehmeier
Communications Manager DACH
Oliver Wyman
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