Mehr Zahlungsausfälle belasten Stadtwerke und kommunale Haushalte
17. Januar 2023
München – Die Energiekrise setzt Stadtwerke und Kommunen unter Druck. Trotz der Preisbremsen der Bundesregierung bei Strom sowie Gas und Wärme müssen sich die Versorger darauf einstellen, dass es bei Kunden vermehrt zu Zahlungsausfällen kommt. Vielerorts laufen die Unternehmen damit Gefahr, dass sie kaum noch Gewinne erzielen oder sogar in die roten Zahlen rutschen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Strategieberatung Oliver Wyman. Damit schrumpft auch der finanzielle Spielraum von Kommunen, deren Haushalte auf die Ausschüttungen der Stadtwerke angewiesen sind. Zugleich droht der für die Energiewende nötige Ausbau der Infrastruktur ins Stocken zu geraten. Die Stadtwerke können gegensteuern, indem sie durch neue Kooperationen ihre Kosten senken und Kunden mit Finanzproblemen Ratenzahlung oder geringere Abschläge anbieten.
Schwimmbad, Bücherei, Straßenbahn: In vielen Kommunen helfen die Gewinne der Stadtwerke, öffentliche Angebote und Dienstleistungen zu finanzieren. Doch die Zuschüsse aus dem Geschäft mit Strom und Wärme drohen zu versiegen. Laut einer Analyse der Strategieberatung Oliver Wyman müssen Stadtwerke wegen der Energiekrise mit einem starken Anstieg der Zahlungsausfälle rechnen. „Viele der Unternehmen laufen Gefahr, keine Gewinne mehr zu erwirtschaften oder sogar in die roten Zahlen zu rutschen“, sagt Jörg Stäglich, Leiter der europäischen Energy & Natural Resources Practice und globaler Leiter des Bereichs Energieversorger bei der Strategieberatung Oliver Wyman. „Wenn Ausschüttungen der Stadtwerke ausbleiben, wird sich in vielen Kommunen die etwa durch die Corona-Pandemie ohnehin angespannte Haushaltslage weiter verschärfen – möglicherweise mit negativen Folgen für die Daseinsvorsorge.“ Den mehr als 1000 Stadtwerken in Deutschland drohen laut Berechnungen der Berater deutliche Gewinnrückgänge – und je nach Szenario teilweise sogar Verluste.
Die Preisbremsen der Bundesregierung bei Strom sowie Gas und Wärme werden die Einbußen laut der Analyse von Oliver Wyman lediglich abdämpfen. „Stadtwerke müssen sich trotz staatlicher Unterstützung für Verbraucher und Unternehmen auf Zahlungsausfälle in Höhe von fünf bis zehn Prozent des Umsatzes einstellen“, sagt Stäglich. „Bislang lag die Zahlungsausfallquote bei maximal einem Prozent.“ Die Berater haben ermittelt, dass sich Energiekosten für Haushalte trotz Preisbremse um 40 Prozent erhöhen. Unternehmen zahlen sogar 150 Prozent mehr für Gas und bis zu 50 Prozent mehr für Strom. „Aufgrund der massiven Preissteigerungen in Kombination mit der hohen Inflation sowie der Konjunkturabkühlung wird eine wachsende Zahl von Kunden der Stadtwerke nicht mehr in der Lage sein, ihren Abschlag oder Rechnung zu zahlen“, sagt Stäglich. „Das betrifft Privatpersonen und Unternehmen gleichermaßen.“
Gefahr für die Energiewende
Die Oliver Wyman-Berater haben die Folgen zunehmender Zahlungsausfälle bei 22 Stadtwerken verschiedener Größenklassen untersucht – von Großunternehmen mit einem Umsatz von mehr als 2,5 Milliarden Euro bis hin zu kleinen Stadtwerken mit weniger als 30 Millionen Euro. Sollten die Ausfälle eine Höhe von fünf Prozent des Umsatzes erreichen, würde dies im Schnitt rund die Hälfte des Gewinns (EBIT) kosten. Eine Zahlungsausfallquote von zehn Prozent entspricht bei 50 Prozent der betrachteten Stadtwerke bereits dem Wegfall des gesamten Gewinns. „In beiden Szenarien werden einzelne Unternehmen auch Verluste schreiben“, erläutert Thomas Fritz, Partner Energy & Natural Resources bei Oliver Wyman. „Im schlimmsten Fall benötigt das Stadtwerk dann selbst finanzielle Hilfe, um seine Liquidität sicherzustellen.“
Zudem würde rechnerisch die Eigenkapitalquote bei bis zu der Hälfte der Versorger auf unter 30 Prozent absinken, müssten diese offene Forderungen abgeschrieben werden. „Dies hätte schwerwiegende Folgen für die Finanzierung“, erläutert Fritz. „Viele Kreditverträge verlangen von Unternehmen eine Eigenkapitalquote von über 30 Prozent. Wird die Grenze gerissen, gibt es schwierige Gespräche mit den Banken. Zudem wird die Aufnahme neuer Finanzmittel schwieriger.“ Damit könnte die Energiewende weiter ins Stocken geraten: Allein der Investitionsbedarf in die Verteilnetze liegt bei insgesamt 100 bis 135 Milliarden Euro bis 2037, wie eine aktuelle Oliver Wyman Analyse zeigt. „Diese Kosten zu stemmen, wird für die Energiebranche immer schwieriger.“
Partnerschaften helfen beim Kostensenken
Als erste Maßnahme empfehlen die Oliver Wyman-Berater den Stadtwerken, Transparenz zu schaffen. „Sie müssen die Ausfallrisiken genau identifizieren und ihren Liquiditätsbedarf entlang verschiedener Szenarien ermitteln“, sagt Christopher Sohn, Principal in der Energy & Natural Resources Practice bei Oliver Wyman. Als nächsten Schritt sieht er ein „aktives Management der Kundenportfolien“, um Kunden mit Finanznöten entgegenzukommen. „Indem Stadtwerke Ratenzahlungen oder verringerte Abschläge akzeptieren, können sie komplette Ausfälle vermeiden.“ Zudem sieht Sohn Potenzial, die Kosten zu senken – etwa über neue Partnerschaften mit anderen Stadtwerken. „Eine gemeinsame Bewirtschaftung der Netze beispielsweise kann günstiger sein. Auch die Digitalisierung lässt sich im Verbund effizienter vorantreiben.“
Um die kurzfristige Liquidität zu sichern, ist es laut Stäglich elementar, frühzeitig den Austausch mit Kreditgebern und Anteilseignern zu suchen. Langfristig müssten die Unternehmen über alternative Finanzierungs-Strategien nachdenken, beispielsweise engere Kooperationen mit der Privatwirtschaft. „Public Private Partnerships könnten bei Infrastrukturinvestitionen neue Finanzquellen eröffnen“, sagt Stäglich.
[1] Die Untersuchung analysiert die Situation im Jahr 2037, wie sie im Szenariorahmen des „Netzentwicklungsplans Strom“ angenommen wird, der von der Bundesnetzagentur genehmigt wurde. Die Anfang 2023 veröffentlichte Studie ist hier verfügbar.
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