Zulieferer kommen bei Ratings zu schlecht weg

München – Deutsche Automobilzulieferer haben es unnötig schwer, an frisches Kapital zu kommen. Eine Untersuchung der Strategieberatung Oliver Wyman zeigt eine Benachteiligung der Branche bei der Kreditvergabe, die mit Blick auf Leistungsfähigkeit und Stabilität vieler Unternehmen nicht gerechtfertigt erscheint. Ursache ist nach Einschätzung der Restrukturierungsexperten eine zu undifferenzierte Bewertung der Risiken im Zuliefergeschäft. Laut der Analyse wäre es für beide Seiten lohnend, wenn Banken und andere Kreditgeber die Geschäftsmodelle differenzierter betrachteten – und die eingeschlagene Transformation in Richtung Elektromobilität auch finanziell flankierten.

Die großen Automobilzulieferer haben den Corona-Schock finanziell überwunden, doch ihr Kreditrating bleibt im Keller. Nicht einmal das Niveau BB+ erreichen führende Vertreter der Branche trotz zuletzt guter Gewinne im Durchschnitt – und das schon seit Mitte 2020. „Mit diesem Rating, das als spekulativ gilt, hat die deutsche Zulieferindustrie bei Banken einen äußerst schweren Stand – und das oft zu Unrecht“, sagt Lutz Jäde, Leiter für Turnaround & Restructuring in Europa bei Oliver Wyman. Eine Untersuchung der Strategieberatung zeigt: Die für die Kreditvergabe wichtigen Ratings sanken rapide seit Ende 2019, als zunächst Lieferkettenprobleme die Margen belasteten. Doch während die Profitabilität seit dem zweiten Quartal 2020 rasch wieder auf fast altes Niveau stieg, verharrt die attestierte Kreditwürdigkeit weit unterhalb der vertrauensbildenden „Investment Grade“-Marke, die oberhalb von BB+ liegt. Betrachtet wurden über 170 europäische Zulieferer, wobei 16 Unternehmen mit jeweils mindestens einer Milliarde Euro Jahresumsatz vertiefend analysiert wurden.

Über einen Kamm geschoren

„Aus unserer Sicht benötigt der Sektor eine differenziertere Betrachtung“, sagt Jäde. „Natürlich gibt es Automobilzulieferer, die ungenügend auf aktuelle Herausforderungen reagiert haben oder deren Geschäftsmodell aufgrund der Elektrifizierung gefährdet ist. Aber viele der Unternehmen sind hochprofitabel, systemrelevante Innovationstreiber und gut aufgestellt für die Transformation in Richtung Elektromobilität.“ Banken und weitere Finanzierer müssen die Unterschiede in den Geschäftsmodellen erkennen und ihre Finanzierungsstrategie daran anpassen. „Es scheint, als würde eine grundsätzlich leistungsfähige und transformationsbereite Branche hier zu sehr über einen Kamm geschoren“, sagt Jäde. Die besten 25 Prozent der untersuchten Unternehmen lieferten in den letzten Jahren trotz Krisen zuverlässig EBIT-Margen von etwa zehn Prozent ab. Und auch das beim Ergebnis schwächste Viertel der Branchenvertreter lag – mit Ausnahme leichter Verluste im „Corona-Jahr“ 2020 – stets über der Nulllinie. Im Schnitt kommen die untersuchten Unternehmen aktuell auf fünf Prozent EBIT-Marge.

„Die Branche ist deutlich attraktiver, als zurzeit viele Finanzierer meinen“, bestätigt Oliver Wyman-Partner Simon Schnurrer. Als Kenner der Zulieferszene wundert sich der Experte über das Missverhältnis von Kennzahlen und Ratings: „Zulieferer haben zuletzt schon einige Krisenszenarien gemeistert – und sich dabei widerstandsfähiger gezeigt, als viele dachten.“ Massive Störungen der Lieferketten sowie die Kaufzurückhaltung in Corona-Zeiten und zuletzt Energiekrise und Inflation hätten die Kosten in die Höhe getrieben – von den Rohstoffen bis hin zu den Löhnen. Mit gut gefüllten Cash-Depots und gekonntem Krisenmanagement habe ein Großteil der Firmen die Belastungen gemeistert. Allerdings komme es mit Blick auf die Zukunft vor allem auf das Geschäftsmodell an: „Zulieferer ist nicht gleich Zulieferer. Ob ich sicherheitsrelevante Funktionen in vernetzten Systemen entwickle oder Kurbelgehäuse gieße, macht einen großen Unterschied. Das sollten sich Banken bei der Frage der Kreditwürdigkeit viel differenzierter anschauen“, sagt Schnurrer. 

Hersteller kommen besser weg

Bei Automobilherstellern ist die Lage vergleichsweise besser. Laut Untersuchung fiel deren Bonität während der vergangenen vier Jahre nie unter „Investment Grade“ – und das Vertrauen der Finanzierer in Autobauer hat sich zudem deutlich kräftiger erholt. Derzeit liegt das Niveau im Schnitt knapp unter BBB+, was immerhin als vertrauenswürdig auf unterem bis mittlerem Niveau gilt.

Viele der großen Zulieferer richten aktuell Strategie und Produktportfolio zunehmend Richtung Elektromobilität aus. Kleinere Zulieferer stehen hingegen häufig am Scheideweg – sie überprüfen vielfach, ob der Verbleib im Automobilsektor überhaupt möglich ist. „Die meisten entscheiden sich jetzt, ob sie weiter Produkte für die Verbrennertechnik anbieten oder sich aus dem Geschäft zurückziehen. Das ist aber oft teuer und langwierig“, sagt Restrukturierungs-Experte Jäde. Zudem gibt es Möglichkeiten, auch im rückläufigen Markt für Verbrennungsmotoren erfolgreich zu wirtschaften: die Übergangsphase hin zur reinen E-Mobilität ist noch lang. „Bis zum angekündigten Aus für Verbrennungsmotoren im Jahr 2035 sind noch 1,5 Lebenszyklen zu bestücken“, sagt Jäde. „Und außerhalb Europas werden noch lange Zeit Verbrenner gebaut.“ Banken seien aber wohl auch deshalb zögerlich in der Kreditvergabe, weil sie ihre Finanzierungen zunehmend auf Konformität mit ESG-Kriterien abklopfen müssen, sagt Jäde. Kreditnehmer, deren Produkte und Herstellungsprozesse Emissionen verursachen und die keine grüne Transformation nachweisen könnten, würden zunehmend kritisch gesehen. 

Transformation braucht Geld

Automobilzulieferer und -hersteller nehmen bei der Energiewende und der Abkehr von fossilen Brennstoffen eine Schlüsselrolle ein. Um die „grüne“ Transformation von Produkten und Wertschöpfung voranzutreiben, haben Unternehmen einen entsprechenden Finanzierungsbedarf. Dass sich dafür allerdings die Businesskultur vieler Zulieferer ändern müsse, steht für Oliver Wyman-Partner Schnurrer außer Frage. „Die Branche war es gewohnt, in mehrjährigen Zyklen zu denken und auch mal einen unattraktiven Auftrag anzunehmen, weil ja in sieben Jahren ein vielleicht besserer folgen würde“, sagt er. „Dieses Denken ist heute überholt. Gerade mit den gestiegenen Zinsen wollen die Banken schnell sehen, dass Geld verdient wird.“ Schnurrer ist zuversichtlich, dass die Zulieferer auch im Schulterschluss mit den Herstellern dieser Erwartung entsprechen können: „Die Autos werden sich für Endkunden verteuern, und die Margen werden stimmen.“

Über Oliver Wyman
Oliver Wyman ist eine international führende Strategieberatung mit weltweit über 6.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in mehr als 70 Städten in 30 Ländern. Wir verbinden ausgeprägte Branchenexpertise mit hoher Methodenkompetenz bei Digitalisierung, Strategieentwicklung, Risikomanagement, Operations und Transformation. Wir schaffen einen Mehrwert für den Kunden, der seine Investitionen um ein Vielfaches übertrifft. Oliver Wyman ist ein Unternehmen von Marsh McLennan (NYSE: MMC). Unsere Finanzstärke ist die Basis für Stabilität, Wachstum und Innovationskraft. Weitere Informationen finden Sie unter www.oliverwyman.de. Folgen Sie Oliver Wyman auf LinkedInTwitterFacebook und Instagram.

Pressekontakt
Daniel Hardt
Oliver Wyman
E-Mail: daniel.hardt@oliverwyman.com
Tel.: +49 89 939 49 532 / +49 172 568 22 79

Pressemeldung


DOWNLOAD PDF