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Asiens Großangriff auf Europas Logistiker

3. Oliver Wyman-Analyse zu Logistik-Start-ups und globalen Risikokapitalinvestitionen

Kapitalstarke Logistik-Start-ups und Ableger von Handelsriesen aus Fernost machen sich bereit für den Sprung nach Europa. Allein 2018 wurden weltweit zwölf Milliarden US-Dollar Risikokapital in der Logistikbranche verteilt. Das entspricht mehr als einer Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr. Auffällig ist der Druck aus Fernost: Mit 7,1 Milliarden US-Dollar entfielen mehr als die Hälfte der Investitionen auf nur drei Unternehmen: Go-Jek aus Indonesien sowie JD Logistics und Manbang aus China. Mit ihrer Expansionsstrategie und ihrem oft überlegenen technologischen Know-how bedrohen die neuen Anbieter das Geschäft europäischer Spediteure. Um mitzuhalten und bestehende Kunden zu binden, müssen die etablierten Unternehmen ihre Digitalisierungsinitiativen beschleunigen – und ihre vorhandenen Trümpfe richtig ausspielen.

Alibaba bestätigte im November 2018, dass in Belgien das erste europäische Logistikzentrum eröffnet wird. Die internationale Expansionsstrategie des Online-Riesen verfolgt das Ziel, weltweit Lieferungen innerhalb von 72 Stunden durchzuführen. Trotz aktueller Herausforderungen im Heimatmarkt plant auch JD.com, ein weiterer aufstrebender Online-Händler aus China, eine stufenweise Expansion in Europa; Investitionen in Milliardenhöhe sollen zum Erfolg führen. Diese Entwicklung fordert nicht nur Händler, sondern auch Logistiker heraus, da die Konkurrenz aus China ihre Warensendungen über eigene Transportunternehmen abwickeln wird – und diese auch für Aufträge anderer Unternehmen öffnen will.

Für die angestammten Spediteure sind dies aus zwei Gründen brisante Nachrichten. Große Logistikvolumina werden für etablierte Logistikanbieter nicht mehr erreichbar, weil die neuen Wettbewerber aus Fernost diese intern abwickeln werden. Außerdem streben sie mit modernster Technik danach, etablierten Anbietern Marktanteile abzujagen. Europäische Logistiker müssen sich für diesen neuen Wettbewerb wappnen.

Große Logistikvolumina werden für etablierte Logistikanbieter nicht mehr erreichbar, weil die neuen Wettbewerber aus Fernost diese intern abwickeln werden. Und sie streben zudem mit modernster Technik danach, etablierten Anbietern Marktanteile abzujagen.
Max-Alexander Borreck, Principal, Oliver Wyman

Milliarden für die Expansion

Massive Investitionen stützen die Expansion. Die Investitionen in Logistik-Start-ups, sowie Spin-offs großer Konzerne nehmen rasant zu. In 2018 haben sie sich im Vergleich zum Vorjahr mit zwölf Milliarden US-Dollar mehr als verdreifacht. Mit 7,1 Milliarden US-Dollar entfiel mehr als die Hälfte des Risikokapitals auf drei asiatische Unternehmen: JD.com stärkte sich mit 2,5 Milliarden US-Dollar. Go-Jek, eine indonesische Online-Plattform für Kurierdienste, konnte 2,7 Milliarden US-Dollar einsammeln, unter anderem vom chinesischen Internet-Konzern Tencent. Die chinesische Manbang Group, eine digitale Frachtbörse, erhielt 1,9 Milliarden US-Dollar Kapital – zu den Gebern zählen der japanische Technologiekonzern Softbank und der US-Internetriese Google. Die jungen Unternehmen erreichen damit rasant eine finanzielle Ausstattung auf dem Niveau etablierter Player.

Acht asiatische Vertreter, sechs US-Firmen und ein brasilianisches Start-up finden sich in der Top-15-Liste jener Unternehmen, die mit mindestens 100 Millionen US-Dollar in 2018 finanziert wurden. Europäische Unternehmen sind nicht vertreten. In der DACH-Region sind die Investitionen in Logistik-Start-ups im Jahr 2018 auf 73 Millionen US-Dollar angewachsen, im Vorjahr waren es noch 58 Millionen. Dabei legten besonders schweizer Start-ups zu. Investitionen in deutsche Start-ups sind gegenüber 2017 gesunken – von rund 45 auf 32 Millionen US-Dollar. Die Zahl der aktiven Start-ups stieg im gleichen Zeitraum von rund 60 auf rund 70. Insgesamt kommt Europa auf Investitionen von gerade einmal 200 Millionen US-Dollar.

Asiatische Wachstums-Champions werden ihre Stärken ausspielen

Die Angreifer aus Fernost haben eine Reihe von Vorteilen gegenüber den klassischen Spediteuren, da sie als digitale Unternehmen gegründet worden sind und diese Stärke von Tag eins an auch ausspielen. Zudem verfügen sie über Zugang zum chinesischen Import- und Exportmarkt und zu schnell wachsenden, chinesischen Technologie- und Konsumgüterunternehmen.

Etablierte Logistiker haben den digitalen Wettbewerb inzwischen mit hohem Ressourcenaufwand aufgenommen. Im Mittelpunkt stehen bisher die Digitalisierung der Kundenschnittstelle durch Online- und App-Lösungen sowie die Automation operativer Prozesse, beispielsweise mittels Robotern. In weiteren Feldern der Digitalisierung, wie dem Einsatz von „Big Data“-Analytics zur Optimierung von Netz- und Lieferantensteuerung oder der Automation administrativer Prozesse mittels Robotic Process Automation (RPA), arbeiten führende Logistiker an Prototypen. Viele Initiativen werden von Logistikern in Eigenregie angetrieben. Dabei können Partnerschaften mit externen Technologielieferanten – darunter durchaus auch Start-ups – sinnvoll sein, um die Digitalisierung im Kerngeschäft zu erhöhen und im Wettbewerb mit neuen Angreifern zu bestehen.

Wie könnte ein mögliches Zielbild für etablierte Logistiker aussehen? Die schnelle Digitalisierung und Besetzung der Kundenschnittstelle durch die Logistiker macht Sinn. Jedoch muss beachtet werden, dass die Digitalisierung damit nicht endet, sondern auf sämtliche Prozesse im Unternehmen erweitert wird. Logistiker müssen Technologie-Kompetenz für Kernprozesse und die Gesamtarchitektur aufbauen. Für viele zukünftig wichtige Aktivitäten wie Payment, Daten-Visualisierung oder Tracking gibt es externe Lösungen, die mittels moderner Schnittstellentechnologie eingebunden werden können.