Jan Kunath, Vize-CEO der REWE Group: Für seine Überzeugung eintreten
Das Thema Haltung heißt für mich auch nicht nur als Manager, sondern auch als Mensch, heißt schon für seine Überzeugung eintreten. So. Und ob die Überzeugung immer richtig ist, will ich damit jetzt gar nicht schon mal postulieren, sondern tatsächlich Haltung heißt, also für irgendeine Überzeugung einzutreten. Das wird man auch merken, wenn man mit mir spricht, es gilt für mich immer gleichermaßen.
Aber mindestens mal sollte man für sich Klarheit darüber haben, dass man nicht rein opportunistisch unterwegs ist, sondern eben auch an bestimmten Stellen sagt: bis hierhin, nicht weiter.
Also das ist wirklich ganz, ganz simpel: einfach es vorleben. Und das Vorleben heißt einfach, wenn ich in einen Markt hineingehe, verdammt noch mal: Ist es so schwer, jeden Mitarbeiter vernünftig zu begrüßen, ob mit Handschlag oder mit Nicken oder wie auch immer, nach dem Befinden zu fragen? Kann ja jetzt nicht so schwer sein, ja?
Rainer Münch: Willkommen bei Purpose versus Profit. Ich bin Rainer Münch und ich unterhalte mich hier mit meinen Gästen über die Werteorientierung im Geschäftsleben. Für die heutige Folge bin ich bei der Rewe Group in der Kölner Domstraße zu Gast, wo ich mich mit Jan Kunath treffe. Es ist sein letztes Podcast-Gespräch in seiner aktuellen Rolle. Denn er hat sich entschieden, seinen zum Jahresende auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern und sich aus dem operativen Management zurückzuziehen. So hat er in den letzten Monaten auch bereits eine kleine Abschiedstour hinter sich gebracht. Dabei wurden seine Menschlichkeit, seine klare Haltung und seine Konsequenz immer wieder besonders hervorgehoben. Umso mehr freue ich mich, ihn heute bei mir zu Gast zu haben. Und nun viel Spaß mit der heutigen Folge.
Jan Kunath ist seit 2017 der Vize-CEO der Rewe Group und im Vorstand verantwortlich für Handel International sowie das Geschäftsfeld Baumarkt. In seinen mehr als 30 Jahren bei der Rewe hat der gelernte Fleischer und studierte Betriebswirt unter anderem die Bon Appetit Group in der Schweiz geführt, war CEO beim Vollsortiment National und hat bei PENNY einen bemerkenswerten Turnaround und eine erfolgreiche Repositionierung des Formats realisiert. In seiner internationalen Rolle verantwortet er die Aktivitäten der Rewe Group außerhalb Deutschlands — von Italien über Österreich bis hin zu Osteuropa. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner Freizeit ist er ein leidenschaftlicher Läufer, Bergsteiger und Skitourengeher. Lieber Herr Kunath, herzlich willkommen bei Purpose versus Profit.
Jan Kunath: Ganz herzlichen Dank.
Rainer Münch: Herr Kunath, ich habe gelesen, dass das Leben für Sie eigentlich eine Karriere als Metzger vorgesehen hatte. Was hat es damit auf sich und warum kam es anders?
Jan Kunath: Ja, also geplant war es, dass ich in dritter Generation eine Fleischerei mal in meiner Familie übernehmen sollte. Darum war logisch, dass ich den Metzgerberuf erlerne. Es ist ein bisschen anders gekommen als geplant, weil während meines betriebswirtschaftlichen Studiums ist dann das Unternehmen pleite gegangen. Schlicht und ergreifend nicht mehr zahlungsfähig gewesen, wurde dann verkauft und damit hatte sich dann eine Familiengeschichte, zumindest was den Betrieb betrifft, erst mal erledigt. Aber unabhängig davon hat die Fleischerlehre nicht geschadet.
Rainer Münch: Es ging dann ja schnell in Richtung REWE und dort über ganz verschiedene Stationen bis ganz nach oben. Was würden Sie denn im Rückblick als die entscheidenden Weichenstellungen bezeichnen, die Sie in Ihre heutige Rolle und Verantwortung gebracht haben?
Jan Kunath: Ja, es gibt in so einer langen Karriere und auch in so vielen, ja, beruflichen Abschnitten gibt es sicherlich ganz, ganz viele Momente oder entscheidende Momente, die wichtig sind und irgendwie Weichen mitgestellt haben. Und da gibt es natürlich welche, die einem besonders im Gedächtnis bleiben. Das ist in meinem Fall zum Beispiel, dass ich eben 1994 die Chance bekommen habe, von Berlin nach Köln zu gehen, also sozusagen ins Machtzentrum der REWE. Das war sicherlich ein ganz wichtiger Schritt, von da aus dann eben also auch noch weiterhin gut ausgebildet zu werden. Genauso wichtig war es dann, 2000, 2001 war es, ins internationale Geschäft zu wechseln. Das internationale Geschäft hat an Bedeutung bei der REWE gewonnen und dann war es genau richtig-- zur richtigen Zeit, auch dort dann gewesen zu sein. Es war aber auch ähnlich wichtig, die Zusammenführung beispielweise in Deutschland der Marke REWE HL Minimal, dabei gewesen zu sein, mitgestaltet zu haben. Also es gab im Laufe dieser langen Laufbahn tatsächlich ganz viele Momente. Was aber immer wichtig war, dass man jemand hatte, der gesehen hat, dass man an irgendeiner Stelle was mitmachen darf oder einen neuen Job machen kann. Das heißt, es gab immer Mentoren, die dafür gesorgt haben, dass ich die Chancen hatte, irgendwelche Weichen mitzustellen.
Rainer Münch: Würden Sie sagen, Sie haben das aktiv betrieben? Sie haben sich immer umgeschaut: Wo könnte es weitergehen? Was könnte die nächste Station sein? Oder ist das so passiert?
Jan Kunath: Nee, ich habe schon die Hand gehoben. Also man hebt, man sollte schon mal die Hand heben. Man muss natürlich das Glück haben, visibel zu sein. Also man muss irgendwie erst mal in so einem großen Haus sichtbar sein, eine gewisse Bekanntheit haben. Aber man muss natürlich auch mal sagen: „Hier bin ich." Also, und das Allerwichtigste war, glaube ich dann, wenn ich gefragt wurde, ob ich was Neues machen kann: Ich habe nie Nein gesagt. Und ich habe auch nicht gesagt: „Ich fahre jetzt erst mal nach Hause und frage meine Frau", oder muss das erst mal abstimmen, sondern ich habe eigentlich immer sofort gesagt: „Jawohl, ich mache das." Und habe auch nicht großartig über die Bedingungen irgendwie diskutiert, sondern mir war immer wichtig, die Aufgabe, die angetragen wurde, war für mich dann zu erledigen. Ja. Und dann haben wir weitergeschaut. Es gab ein einziges Mal, wo ich Nein gesagt habe. Das hat mir aber damals keiner übelgenommen.
Rainer Münch: Haben Sie sich selber es übelgenommen? Haben Sie, hat Sie das beschäftigt dann, auch mal Nein zu sagen? Oder wie war das?
Jan Kunath: An der Stelle im Nachhinein war es genau richtig. Das war intuitiv so, dass ich gespürt habe, dass das vielleicht eine Sackgasse sein könnte und wahrscheinlich wäre es das auch geworden. Aber, nee, so hat mich das weiter nicht mehr beschäftigt. Man merkt das ja immer selber, auch in Gesprächen mit Mitarbeitern, die weiter, ja, den neuen Job machen sollen. Mich stört das schon, wenn dann immer schon erst mal die Bedingungen ausgelotet werden, wenn erst mal gesagt wird: „Ich muss das da besprechen, da besprechen." Entweder ich kann mich sofort begeistern und irgendwo sage ich: „Ja, das könnten wir jetzt, das gefällt mir jetzt, da habe ich jetzt Bock drauf." Und mach nicht erst mal wieder so ein Drumherum, und das finde ich immer auch ein bisschen störend. Darum war für mich immer wichtig, dass man eben sehr zügig weiß, was man will, und dann kann man ja gucken, was man das Beste daraus macht.
Rainer Münch: Jetzt haben Sie auf diesem Weg den Handel in Deutschland und auch in Europa über 30 Jahre eng begleitet und mitgestaltet. Wenn Sie jetzt so ein bisschen zurückblicken auf diese Zeit, wie hat sich der Handel da aus Ihrer Sicht verändert? Was ist vielleicht auch gleichgeblieben?
Jan Kunath: Ja, es hat sich natürlich in diesen 30, 34 Jahren extrem viel verändert. Als ich 1992 angefangen habe im Lebensmitteleinzelhandel, da hatten wir ja, also das waren ja vielleicht keine Tante-Emma-Läden mehr, es gab schon Discount, es gab auch schon Supermärkte mit 700, 800 Quadratmeter, es gab auch Großflächen in großer Zahl sogar noch, was ja heute nicht mehr der Fall ist. Aber es waren jetzt keine, ich sage mal, keine Genusstempel. Und wir haben ja heute schon, wenn ich die Supermarktform heute in Deutschland, aber auch in Europa sehe, das animiert ja auch. Also das ist ja wirklich, ist ja keine, keine einfach eine Einkaufsstätte, wo man sich versorgt, sondern da kann man sich auch begeistern, da kann man Lust auf‘s Essen bekommen. Also da hat sich schon extrem viel getan vom Niveau her und das gilt sowohl für ein, für‘s Supermarktgeschäft als auch für’s Discountgeschäft. Das sind ganz, ganz andere Welten und insofern hat sich da schon zum, für den Kunden ganz viel Positives getan. Was die Zukunft betrifft: Der Retail an sich wurde ja in manchen Phasen in den letzten Jahren ja schon mal totgesagt, dass es eigentlich alles nur noch online gehen muss, dass das alles nur noch digital gehen muss. Und man sieht ja schon: Totgesagte leben länger. Es wird weiterhin Retail-Geschäft geben, ob Food oder auch im Non-Food-Bereich, weil es menschelt am Ende dann doch irgendwo überall ein bisschen. Das heißt also, der Faktor Mensch wird weiterhin eine Rolle spielen. Das kommt natürlich auf den Standort irgendwie auch an. Das ist sicherlich im Ländlichen anders als jetzt an einem Bahnhofsstandort, wo es vielleicht nicht ganz so menschelt. Die Leute werden auch immer älter, die wollen Kontakt haben. Ich bin der festen Überzeugung, der Mensch wird immer eine zentrale Rolle spielen in einer Einkaufsstätte. Und insofern: Nein, ich glaube da ganz fest daran, mit allen technologischen Entwicklungen, die noch dazukommen, da werden tolle Sachen noch passieren. Aber an sich glaube ich ganz fest daran: Es wird weiterhin Retail geben und es wird weiter Menschen und auch Kunden sowie auch Mitarbeiter geben.
Rainer Münch: Sie haben's jetzt so ein bisschen indirekt angeschnitten, technologische Entwicklung und irgendwie Faktor Mensch. Da gab es ja auch diesen Trend zwischenzeitlich mit den Manless Stores, wo ja auch verschiedene Anbieter eben vorangeprescht sind und das eben hoch convenient dann lösen, dass der Kunde eigentlich gar nicht mehr mit Menschen zu tun hat und keinen Kassiervorgang hat. Da habe ich das Gefühl, das ist so ein bisschen abgeebbt, diese Begeisterung. Glauben Sie, das kommt noch mal wieder und es wird irgendwie seine Berechtigung haben in Zukunft? Oder ist das Thema irgendwie auf dem absteigenden Ast?
Jan Kunath: Nee, nee. Es wird seine Berechtigung haben. Die Technologie wird sich noch weiterentwickeln, sie wird auch bezahlbarer werden. Es geht ja ganz viel um Kameratechnologie und auch Wiegetechnologie, um diese Manless Stores bauen zu können. Da wird sich so viel tun und es wird auch Standorte geben, die auch so im Wesentlichen funktionieren werden. Und da habe ich überhaupt keinen Zweifel. Ein bisschen im Moment ins Stocken geraten – ja – aber es ist in erster Linie tatsächlich noch mal eine Frage der Kosten. Und dessen, dass die Verbraucher dem Braten noch nicht ganz trauen. Ich glaube knapp sechzig Prozent in Europa haben da noch ein gewisses Misstrauen. Du packst die Sachen nur in deinen Rucksack ein oder in deine Tasche. Da ist noch eine gewisse Hemmung da. Aber ich bin fest davon überzeugt, das wird Durchsatz haben, immer in einer Kombination mit dem Faktor Mensch an anderen Standorten, wo einfach die Bedürfnisse anders sind. Also ganz sicher wird's das, wird's das weitergeben, wird das kommen.
Rainer Münch: Ich weiß noch, als das erste iPhone auf den Markt kam, da habe ich persönlich gedacht, das kann nicht funktionieren, ein Telefon ohne Tasten. Das ist irgendwie, da fehlt das Vertrauen, dass der Touchscreen immer funktioniert. Und heute ist das natürlich längst Standard. Also da muss man sich daran gewöhnen, ja.
Jan Kunath: Also es wird, es wird weiterentwickelt werden, garantiert. Es gibt auch genug Investitionen in die Richtung noch. Also da kommt weiter was.
Rainer Münch: Ja. Vom Handel zu Ihnen und auch zu Ihren Werten, über die wir heute ja sprechen möchten. Wie würden Sie denn Ihre persönlichen Werte beschreiben? Was ist Ihnen besonders wichtig?
Jan Kunath: Der allergrößte Wert ist, jetzt gerade auch im privaten wie im geschäftlichen Umfeld, ist, dass man miteinander gleichberechtigt umgeht. Also gleichberechtigt gilt für‘s Management, das gilt aber auch für Geschlecht, oder auch Herkünften und Ähnlichem. Also das Thema Gleichberechtigung und auf diesem berühmten Thema „auf Augenhöhe“ spielt für mich schon eine zentrale Rolle. Also es ist ein ganz wichtiger Wert, dass man sich, dass keiner der Meinung ist, dass er erst mal grundsätzlich was Besseres als der andere ist. Eine Herzensveranstaltung von mir ist, dass die REWE einmal im Jahr in Köln im Gürzenich 800 Bedürftige einlädt zum Weihnachtsessen. Das war gestern zum neunten Mal und ich habe neunmal die Begrüßung dort gemacht als REWE-Vorstand. Also jetzt war ich jedes Mal da und ich finde es immer wieder schön zu sehen, wie dann REWE-Mitarbeiter, die dort den Service machen, die die Leute dort einweisen, die – wie der Umgang da gepflegt wird mit denen, die bedürftig sind. Es sind ja ganz viel Bedürftige, vor allen Dingen auch alte Leute, die in der Altersarmut sind, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet haben und wo ich sehe, wie auch unsere Mitarbeiter, die sie genauso behandeln, wie sie eben dann auch den Vorstand behandeln, weil das finde ich, ist für mich ein hoher Wert. Und diesen Wert würde ich mir gerne überall wünschen. Ob das jetzt im privaten Umfeld ist oder im dienstlichen Umfeld. Also es ist schon ein ganz großer Wert: das Gleichbehandeln.
Rainer Münch: Haben Sie das schon immer so stark in sich getragen oder hat sich das mit der Zeit entwickelt, dass Ihnen das so wichtig geworden ist?
Jan Kunath: Ne, mir war das schon immer sehr, sehr wichtig, Also ich bin gelernter Fleischer, ja, und erst in sozusagen zweiter Instanz akademisch ausgebildet. Und habe damit natürlich auch von der, von der Herkunft her, bin eben mit Fleischern auch groß geworden, [lacht] also am Tisch gestanden, und die haben genauso gesprochen mit mir wie mit anderen auch und umgekehrt hab ich das auch. Und so war es dann aber auch im Studium und so war es dann irgendwann auch im Job, dass du immer zwar wieder unterschiedliche Gesellschaftsschichten und Leute um dich ja hattest, aber irgendwie war immer das klar, dass es da keinen Unterschied gibt in der Behandlung. Das war immer schon wichtig. Und ich glaube, es hat schon noch mal eine zusätzliche Ausprägung genommen, als ich dann nach Osteuropa gegangen bin, weil dieses, und das ist ja inzwischen weit über 20 Jahre her, dass ich meine ersten Aufgaben in Osteuropa übernommen habe, da bin ich schon auch relativ demütig oft zurückgekommen, und gesehen habe, wie Leute für eine weitere persönliche Entwicklung kämpfen, wie Leute mit ihren schwierigeren Gegebenheiten umgehen müssen, als wir sie kennen. Das heißt also, immer wieder gesellschaftliche Einflüsse zu haben, die sehr unterschiedlich sind, haben mir schon die Erkenntnis, oder für mich ist die Erkenntnis klar, es gibt, sollte trotzdem immer darauf geachtet werden, dass man im Umgang miteinander da keinen Unterschied macht.
Rainer Münch: Was sind aus Ihrer Sicht da in der Rolle als Führungskraft die Möglichkeiten, um das weiterzugeben und um so was auch zu institutionalisieren, diese Haltung?
Jan Kunath: Das ist, das ist wirklich, also das ist wirklich ganz, ganz simpel: einfach es vorleben. Und das Vorleben heißt einfach, wenn ich in einen Markt hineingehe, verdammt noch mal: Ist es so schwer, jeden Mitarbeiter vernünftig zu begrüßen, ob mit Handschlag oder mit Nicken oder wie auch immer nach dem Befinden zu fragen? Kann ja jetzt nicht so schwer sein, ja? Und wenn Sie natürlich das umgekehrt vorleben und ignorant mit den Mitarbeitern im Markt umgehen, dann leben sie eben das vor, ja? Ich finde, es ist total simpel zu signalisieren, dass man jedem gegenüber zumindest erstmal respektvoll begegnet, ja. Also das ist, also das kann man leicht vorleben, finde ich. Jeden Tag, ganz einfach, in jeder Sitzung, in jedem Umfeld geht das.
Rainer Münch: Jetzt hatte ich Sie auch gebeten, einen Wertegegenstand mitzubringen. Sie haben mir hier eine Medaille hingelegt, die ist Silber, die ist ein bisschen größer als eine Zwei-Euro-Münze, würde ich sagen, magnetisch, und darauf abgebildet ist der St. Christophorus. Was hat es denn mit dieser Medaille auf sich?
Jan Kunath: Ja, also diese Medaille hat mich jetzt die letzten 25 Jahre oder etwas über 20 Jahre begleitet in meinem Auto erstmal. Und die Medaille entstammt aus dem Auto meiner verstorbenen Großmutter und diese Medaille war auch in dem Fahrzeug, in dem mein Großvater in den 60er Jahren verunglückt ist, tödlich verunglückt ist. Und das ist vielleicht ein bisschen makaber an der Stelle. Für mich ist das Thema Sicherheit daraus ein bisschen entstanden. Und Sicherheit geben, glaube ich, ist auch im beruflichen Umfeld ganz wichtig. Ein Sicherheitsgefühl haben ist für einen selber relativ wichtig. In jeder Bedürfnispyramide steht das Thema Sicherheit ganz, ganz oben. Auch wenn es vielleicht die Historie dieser Medaille vielleicht sehr, sehr unglücklich ist, vermittelt es mir trotzdem das Gefühl von einer gewissen Sicherheit. Ich habe das Ding immer mitgeschleppt, von Auto zu Auto, und meine Frau hat jetzt, als ich das mir noch überlegt hatte hier im Vorfeld, hatte sie noch mal gesagt: „Kannst du dich noch erinnern, wie du, wie die auf einmal nicht mehr da war?” Die war dann irgendwann bei dem Auto vom Magnet runtergefallen und war dann irgendwo zwischen den Sitzen verschwunden. Ich war hochgradig verzweifelt, ja, dass ich diese Medaille dann nicht mehr im Auto hatte. Ich hatte sie dann wiedergefunden. Das hat jetzt nicht direkt was mit dem Beruflichen sofort zu tun, aber wie ich es beschrieben habe, ich glaube, für uns alle spielt oder für die meisten Menschen spielt das Thema Sicherheit in einer gewissen Art und Weise eine große Rolle.
Rainer Münch: Ich kenne den einen oder anderen, der auch diese St.-Christophorus-Medaille mitführt, eben auch als Schutzpatron der Reisenden. Und ich finde es erstaunlich, dass Sie diese Beziehung haben, obwohl es zu diesem Unglück gekommen ist, obwohl sozusagen der Schutzpatron ja diese Rolle offensichtlich bei dem Großvater nicht übernommen hat. War das für Sie kein Widerspruch zu sagen, das hat nicht funktioniert?
Jan Kunath: Nee, das hat für mich, das ist halt insofern kein Widerspruch. Die Medaille ist das eine, das andere ist natürlich schon daran zu glauben, dass man sich mit bestimmten Umfeldern oder in bestimmten Verhaltensweisen Sicherheit auch schaffen kann, ja. Das ist einfach das Gefühl, dass das Thema Sicherheit einfach eine große Rolle spielt und ich find's einfach auch ehrlich gesagt schön, über dann inzwischen dann bald 60 Jahre ist diese Medaille in irgendeinem Auto gewesen, hat irgendwie auch was.
Rainer Münch: Ja, und eine Verbindung zu Ihrer Familie.
Jan Kunath: Ja, auch. Klar.
Rainer Münch: Wenn wir bei Familie sind und noch mal zurückblicken auf ihr Leben, dann war ihre Kindheit und Jugend geprägt vom zunächst Mithelfen im elterlichen Betrieb, Wurstdosen etikettieren, Schaschlik-Spieße stecken. Dann waren Sie zum Wehrdienst bei den Panzergrenadieren. Dann haben Sie Ihr Studium finanziert mit Wochenend- und Ferienjobs. Und wenn wir jetzt das mal kontrastieren, dann ist es heute ja nicht mehr so Gang und Gäbe, dass Unternehmer und Manager so einen Hintergrund haben, die jetzt neu in diese Rolle kommen. Welche Vor- und Nachteile ergeben sich aus Ihrer Sicht da für Unternehmen, dass dieser Nachwuchs eben nicht mehr diese Prägung mitbringt?
Jan Kunath: Ich glaube, es ist einfach nicht vergleichbar, die Zeiten. Also mein Sohn studiert heute, geht nicht jobben. Wenn ich aber auch sehe, wie viel Aufwand er betreiben muss: Ich kann mich nicht erinnern, dass ich den Aufwand in meinem BWL-Studium betrieben habe. Also ich finde den Aufwand deutlich höher. Ich finde die Ansprüche auch deutlich höher. Ich finde auch die Wettbewerbssituation, auch dann in der Verwendung nach dem Studium, ist der Wettbewerb viel, viel größer. Also wir haben ja heute viel, viel mehr akademisch Ausgebildete am Markt als es jetzt vor 35 Jahren bei mir war. Natürlich vermittelst du, sagst du immer mal wieder gerne, ist schon gut, dass ich in einer Fleischerei war, ist schon gut, dass ich mein Studium selber finanzieren musste, all diese Dinge natürlich. Aber es wird einfach heute in der Form auch nicht mehr gehen. Das muss man auch anerkennen. Also ich glaube, dafür sind andere Einflüsse wichtig, die wir damals nicht mitgebracht haben nach dem Studium. Die Leute sind heute viel, viel besser ausgebildet. Sie sind englischsprachig, fast selbstverständlich. Sie haben die ganzen digitalen Schritte durchlaufen. Das sind alles Dinge, die nicht vorlagen. Darum: Vor- oder Nachteil? Ich glaube, das ist nur eine Alterssicht, dann zu sagen, früher ist dann alles besser gewesen und dann hat man noch... Ich glaub, das ist eine Alterserscheinung. Ich glaube, dass es gut so ist, wie es heute ist und würde jetzt meinem Sohn jetzt nicht empfehlen, nun unbedingt, weil ich das gemacht habe, müsste er jetzt nun auch jede Woche noch zwanzig Stunden arbeiten, müsste noch jeden Ferienjob machen, bei VW am Band sein oder wie auch immer. Nee, würde ich nicht unbedingt. Wenn er's nicht muss.
Rainer Münch: Ich find es sehr wertschätzend gegenüber der jungen Generation, weil wie Sie sagen, das ist natürlich jetzt nicht die übliche Haltung, sondern sehr viel wird da auch kritisch gesehen. Gibt's denn trotzdem was, was Sie sich von den jüngeren Generationen noch wünschen oder noch mehr wünschen würden?
Jan Kunath: Also ich will da jetzt…: Pflichtbewusstsein ist das falsche Wort. Aber was hat, was hat mich angetrieben, war unter anderem auch, dass ich natürlich mir vorgestellt habe, immer mir mehr leisten zu können, immer mehr ja Wünsche zu erfüllen. Das hat mich natürlich auch angetrieben. Als ich mein erstes Motorrad gekauft habe von meiner ersten Prämie, da war ich bei Penny National, da war ich, ich weiß nicht, im fünften, sechsten Jahr bei der REWE, da habe ich mir ein Motorrad gekauft. Ich war stolz wie Oskar, dass ich mir ein Motorrad leisten konnte. Ich konnte aber gar nicht Motorrad fahren. Also ich hatte zwar einen Motorradführerschein, konnte aber gar nicht fahren. Ich bin, habe dieses Ding gekauft, habe mich auf‘m, im Hof hat mir das einer erklärt, und sagte: Ja, soll ich Ihnen jetzt irgendwie noch was erläutern? Ich sage, nee, ich kann das alles. Ich habe das Motorrad vom Hof geschoben, von dem Händler, weil ich gar nicht wusste, wie es angeht. Aber das hat mich angetrieben, mir das leisten zu können. Und ich habe schon ein bisschen diesen Antrieb, einen Mehrwert zu schaffen. Das fehlt mir an manchen Stellen heute schon, weil schon viel da ist einfach. Es ist einfach sehr viel da. Es sind sehr viele Dinge, die selbstverständlich sind, was ganz viel dieses Thema Work-Life-Balance, was ich ja auch immer wieder höre. Und: Ich meine, ich habe mein Leben lang echt viel gearbeitet. Ich bin trotzdem gesund geblieben, mein Leben ist nicht aus der Balance gekommen deswegen. Weil ich bin ja auch trotzdem in der Lage, mir morgens meinen Sport zu gönnen, abends den Sport zu gönnen oder auch... Das fehlt mir schon. Was ist jetzt, was treibt einen noch an zu Höchstleistungen? Und ich weiß, was mich angetrieben hat. Andere würde anderes antreiben. Die brauchen vielleicht mehr Purpose noch, also mehr Sinn noch. Bei mir war es eben andere Themen auch noch zusätzlich, aber das fehlt mir schon an manchen Stellen. Ja. Also so: dieser Antrieb nach mehr.
Rainer Münch: Ist es auch ein Dialog mit Ihren Kindern, dass Sie das dann auch so mal intensiv diskutieren?
Jan Kunath: Bei meinen eigenen Kindern, muss ich sagen, wir sind ja, wir sind ja, wir sind ja schuld an unseren Kindern. Also meine Frau und ich, also so wie sie jetzt sind, haben wir ja einen wesentlichen Anteil daran, wie sie jetzt sind. Sie sind beide, ich finde, sie sind beide sehr, sehr gelungen. Sie machen wirklich beide ihren Job sehr gut,, machen ihre Schule gut, ihr Studium gut, machen das wirklich alles sehr, sehr, find ich, auch gut und erfolgreich. Aber muss man auch sagen, wir haben ihnen natürlich auch alles ermöglicht. Also sie mussten jetzt nicht tatsächlich sich für irgendwas noch zusätzlich zu dem, was sie an Leistung bringen müssen, in Schule und Studium oder auch in anderen Umfeldern, mussten sie nicht noch sich irgendwas erarbeiten, um es machen zu können. Das heißt, wir haben schon viel geebnet. Das heißt, ich kann denen ja jetzt heute nicht vorwerfen, dass wir ihnen viel geebnet haben. Das wäre ja bescheuert. Das wäre widersprüchlich. Also insofern: Klar würde ich mir also in der Diskussion schon manchmal wünschen, dass da mehr noch drüber hinausgeht und noch mehr Antrieb ist. Aber ich finde, Sie machen ihren Job, den wir ihnen sozusagen gegeben haben, machen sie hervorragend und alles andere, viele andere Dinge sind wir eben auch Teil des Verhaltens.
Rainer Münch: Ich möchte noch mal zurückkommen auf das Thema Haltung in Führungspositionen, das hatten Sie ja schon ein bisschen ausgeführt, dieses Vorleben, wie wichtig das ist. Mich würde interessieren: Wenn es um Haltung eines Managers geht, in welchen Situationen trennt sich nach Ihrer Erfahrung da Spreu vom Weizen?
Jan Kunath: Das Thema Haltung heißt für mich, auch nicht nur als Manager, sondern auch als Mensch heißt schon: für seine Überzeugung eintreten. So. Und ob die Überzeugung immer richtig ist, will ich damit jetzt gar nicht schon mal postulieren, sondern tatsächlich: Haltung heißt, also für irgendeine Überzeugung einzutreten. Das wird man auch merken, wenn man mit mir spricht, es gilt für mich immer gleichermaßen. Also für Job und Privates habe ich eigentlich keine unterschiedliche Sicht drauf, was zu vertreten, Haltung einzunehmen für seine Überzeugung, und das muss man eben im Management ab und zu. Man ist ja sich nicht immer einig über bestimmte Herangehensweisen, bestimmte Cases. Und wenn man der Überzeugung ist, ist das, was man verantwortet, der richtige Weg, muss man auch mal so weit gehen, dass man sein persönliches Schicksal daran hängt. Und es gab Situationen, wo ich mein persönliches Schicksal – gesagt habe: Ich stehe dafür mit meiner Mannschaft, dass wir das so machen, auch wenn das jetzt vielleicht nicht von jedem so gesehen wird, sonst müsst ihr euch jemand anderes, müsst ihr euch aussuchen, der das macht. Das geht nicht immer. Also es wäre auch fatal, wenn das immer ginge. Das ist ja eine Drohung in Wirklichkeit auch, nicht nur Haltung, ist auch Drohung, würde ich sagen. Aber es gibt Momente, wo es notwendig ist. Ob die Momente immer dann die richtigen waren, die man dafür gesucht hat, weiß ich auch nicht. Aber mindestens mal sollte man für sich Klarheit darüber haben, dass man nicht rein opportunistisch unterwegs ist, sondern eben auch an bestimmten Stellen sagt: „Bis hierhin, nicht weiter". Und so, dazu stehe ich und das machen wir jetzt so oder wir machen es eben nicht gemeinsam, sondern jemand anders. So, und das ist schon Haltung bewahren, Überzeugung, und nur mit dieser Überzeugung kannst du auch erfolgreich sein am Ende des Tages.
Rainer Münch: Fällt Ihnen eine Situation ein, wo Sie sagen würden, das war die härteste Prüfung, als es darum ging, Haltung zu zeigen in Ihrer Karriere?
Jan Kunath: Es gab tatsächlich eine, aber die würde ich jetzt ungern ganz öffentlich vertreten. Aber es gab schon eine Extremsituation, wo es tatsächlich mal war, dass wir in einer, einem Gremium, es so weit ging, dass die Sitzung unterbrochen wurde mit dem Hinweis darauf, wir müssen das jetzt unterbrechen, weil, wenn das jetzt hier gerade an der Stelle scheitert, dann haben wir hier einen harten Schnitt mit dem Herrn Kunath und so, dass man sozusagen das Gremium dann sich zurückgezogen hat und gesagt hat „Okay, dann folgen wir dir." Aber erst nachdem die Sitzung unterbrochen wurde und noch mal in sich gegangen wurde. Also es war schon einmal war es schon grenzwertig. Ja, also da war es dicht dran, auch zu scheitern.
Rainer Münch: Gab es in dem Moment für Sie ein Zögern, ein Zweifeln oder waren Sie da so überzeugt in der Situation, dass Sie da eigentlich keine Fragezeichen hatten?
Jan Kunath: Ne, an der Stelle, muss ich sagen, war ich ganz klar. Also da war es, gab es auch kein Rechts und Links an der Stelle. Es gab noch mal eine Situation, wo ich auch in einem Gremium, einem der Gremien auch sehr deutlich sozusagen mich für eine Sache eingesetzt habe, die dann also auch genehmigt wurde, die aber dann ein paar Jahre später, das war ein längeres Projekt dann auch, dann wieder geändert wurde und auch verworfen wurde. Für das, was ich mich eingesetzt hatte, wurde dann noch mal komplett anders gemacht, wo ich heute froh drüber war, dass es so ist, weil es wär komplett gegen die Wand gefahren. Also das, wofür ich sozusagen mich verwendet hätte, wäre ein komplettes Scheitern geworden. Und zum Glück gab es dann zwei, drei Jahre später noch mal eine Überprüfung des Ganzen, wo dann gesagt wurde, wo das Ganze noch mal geändert wurde und ich bin heilfroh, dass es noch mal geändert wurde. Also es ist nicht schwarz-weiß, dass du jetzt sagst, dann ist das, dann ist es immer richtig, was du da gemacht hast. Also in einer anderen Stelle wäre es sogar schiefgegangen. Also...
Rainer Münch: Braucht dann doch eine gewisse Flexibilität über die Zeit.
Jan Kunath: Ja.
Rainer Münch: Ich hatte ich mir unter anderem auch Ihr LinkedIn-Profil noch mal angeschaut. Da beschreiben Sie die drei wesentlichen Erfolgsfaktoren aus Ihrer Sicht in der Unternehmenssteuerung. Verkürzt gesagt sagen Sie da: genau zuhören, das richtige Team zusammenstellen und auf Gelungenem aufbauen.
Jan Kunath: Ja.
Rainer Münch: Bei welchem Punkt sehen Sie da so in der Wirtschaftswelt aktuell vielleicht den größten Nachholbedarf? Was ist der Punkt, wo Sie das Gefühl haben, der kommt manchmal zu kurz?
Jan Kunath: Ja, also hinten angefangen. Ich würde sagen, dass auf Gelungenen aufbauen spielt schon immer wieder eine Rolle, weil natürlich jetzt gerade in der aktuellen Entwicklung gibt es ja sehr viel mehr Verwerfungen, also weniger Stabilität, als man in der, also über die letzten drei Jahrzehnte hatte. Also sehr viel schnelllebig geworden sind. Immer wieder neue Einflüsse, gerade jetzt auch aus digitalen oder technischen Umfeldern. Es gibt ganz viel, einfach viel stärkere, auch starke Veränderung der Vertriebskonzepte, so dass man schon, denke ich, immer wieder aufpassen muss, dass man nicht die Veränderung um des Veränderungswillen macht, sondern eben auch noch mal sich besinnt und guckt, was war eigentlich, was war ein Erfolgsfaktor? Was war besonders prägend für ein Konzept oder für eine Maßnahme oder wie auch immer. Ich glaube, da muss man jetzt gerade umso mehr noch mal aufpassen, weil Change und Transformation und so, das ist ja alles sehr, sehr notwendig im Moment. Was aber, was ja nie aufhört, ist die besten Leute um sich zu haben und idealerweise die immer besser sind als man selber. Weil das ist ja mal die Voraussetzung, dass du die besten Fachleute bei dir hast. Die müssen ja besser sein als du selber in bestimmten Fächern. Weil wenn du das genauso gut könntest, das wäre ja komisch, wenn du dann Fachleute holst. Das heißt, ich brauche immer, das bleibt immer gleich. Was aber immer schwieriger wird mit zunehmender Managementkarriere und mit zunehmendem Alter ist das Zuhören, also das fällt zunehmend schwerer, weil man ja glaubt, alles schon mal gemacht und gehört und getan zu haben und dann schon häufig die Antworten weiß, bevor überhaupt die Fragen gestellt wurden und dementsprechend auch häufig gar nicht mehr zu Ende zugehört wird. Und das ist aber, glaube ich, auch ein Syndrom, das viele Manager mit zunehmendem Alter und Karriere haben. Wo man denke ich doll aufpassen muss, weil wenn man das wirklich verlernt, dann wird man bestimmte Dinge sicherlich nicht mehr mitkriegen oder dann sind es nur noch Altersweisheiten, die man dann irgendwann vor sich herträgt. Also ich würde sagen, das Thema gewisse Stabilität halten, immer gleichbleibend gute Teams um sich haben und gleichermaßen noch immer lernfähig sein. Das hilft schon.
Rainer Münch: Wie kann man das denn lernen, besser zuzuhören? Was ist denn da Ihr Tipp an jemanden, der zuhört und sagt: Ja, das möchte ich besser machen.
Jan Kunath: Ja, da muss man sich genau, da muss man sich einfach darauf konzentrieren. [lachen] Also man muss sich einfach darauf konzentrieren. Du musst nicht sofort, musst nicht sofort deine Meinung… Das Problem ist ja: Umso höher die Managementebene, umso wirkungsvoller ist ja dann die Meinung, die früh gebildet wird. Das heißt, die Leute reagieren ja dann sehr schnell auch, vielleicht auch ohne dann sich noch zu wehren. Ja, das heißt also muss ich schon hochgradig disziplinieren bei eigentlich bei jeder Präsentation, bei jedem Thema, wo man Dinge vorgestellt bekommt, zu sagen: Jetzt warte erst mal ab bis zu Ende und nicht schon bei der Executive Summary sofort seine Meinung kundzutun, damit der Rest der Mannschaft gar nicht mehr drüber nachdenken muss. Ja, also das, mindestens mal so eine Präsentation sich zu Ende anhören, mindestens mal sich einen Satz zu Ende anhören. Da muss man sich einfach disziplinieren.
Rainer Münch: Jetzt ist der Titel meines Podcasts ja Purpose versus Profit. Da gibt es alle möglichen Alternativinterpretationen, wo mir dann Gäste sagen: Das sehen sie nicht so, das ist kein versus, das ist ein Profit for Purpose oder Purpose and Profit. Wie sehen Sie dieses Spannungsverhältnis zwischen ich sage mal der Gewinnorientierung und der Orientierung nach Wert, nach Purpose, nach auch Nachhaltigkeit?
Jan Kunath: Ja, also die Sie jetzt zitiert haben, da sind sicherlich einige auch gute Leute, schlaue Leute dabei gewesen. Also ist das an sich ein Widerspruch oder ein Widerspruch oder ist beides nicht möglich? Also ich glaube, da werden die schon alle recht haben, weil der Profit, also Schrägstrich der wirtschaftliche Erfolg in einem Wirtschaftsunternehmen gibt einem einfach auch mehr Freiheiten, mehr Sinn zu stiften, mehr Zwecke zu verfolgen oder wie auch immer ich den Purpose dann auch beschreiben will. Umgekehrt: Ohne diesen wirtschaftlichen Erfolg wird es schwer, einfach sinnstiftend unterwegs zu sein, weil der Druck dann einfach zu groß ist. Also ich finde es ist schon ein direkter Kontext da. Umso erfolgreicher du bist, umso mehr Möglichkeiten hast du auch, den Purpose und den Profit unter einen Hut zu bringen. Und umgekehrt wird schwieriger. Nur nach Sinn streben, nur danach streben, dass das ohne wirtschaftlichen Erfolg, wird wahrscheinlich schwieriger sein als umgekehrt. Insofern: Kein Widerspruch, sondern in sich aufeinander aufbauend, würde ich jetzt mal sagen. Es ist schon führend für mich als, als jemand, der ein Wirtschaftsunternehmen führt, ist schon, dass ich erstmal wirtschaftlichen Erfolg habe. Profit hört sich immer nur so schlimm an, finde ich. Es hört sich an, weil ...
Rainer Münch: … in Deutschland.
Jan Kunath: Ja, genau. In Deutschland. Also das Profit, ja also versus Purpose, das hört sich so dramatisch an, aber in Wirklichkeit muss es kein Widerspruch sein.
Rainer Münch: Gab es mal eine schwierige Situation, wo Sie gesagt haben: Mensch, da würde ich jetzt gerne so entscheiden, einfach im Sinne Purpose, im Sinne Werte, im Sinne Nachhaltigkeit? Aber das das ist einfach auf der Gewinnseite nicht machbar.
Jan Kunath: Das gerade bei dem gerade bei dem Thema nachhaltig, also Nachhaltigkeitsthemen, kann man als Unternehmen fast immer mehr machen, als man macht. Und jetzt im Hinblick bei uns im Lebensmittelbereich ist es sicherlich auch ein Ernährungsthema, aber es sind aber auch bei uns im Energiebereich, es gibt ja ganz viele Ansatzpunkte jetzt im Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen, so einem Konzern wie unserem, Nachhaltigkeitsthemen aus verschiedensten Aspekten heraus - Umwelt, Energie, People - voranzutreiben. Und da macht man natürlich nicht alles, weil es einfach alles dann irgendwann zu teuer wird. Ja, also du kannst es dir irgendwann nicht leisten. Also insofern ist das eigentlich auch ein Standard-, ich will nicht sagen -problem, eine Standardsituation, dass du gerade bei vielen Nachhaltigkeitsinitiativen sagen, du kannst ja nicht alle verfolgen an der Stelle. Du musst eben auch zwischendurch einen wirtschaftlichen Erfolg haben, um diese Themen auch verfolgen zu können. Also ist das eigentlich in Wirklichkeit ein Dauerthema.
Rainer Münch: Daran schließt sich meine nächste Frage, denke ich, ganz gut an, nämlich diese moralische Frage an Sie als Vertreter auch der Rewe-Gruppe. Und momentan gibt es ja auch wieder eine stärkere Debatte rund um gesundheitsbewusste Ernährung. Es geht um die verarbeiteten Lebensmittel, es geht sicherlich auch um Zucker, um Fett, um Inhaltsstoffe, was natürlich für den Kunden einfachen Konsum verspricht, der auch Freude bereitet und häufig den Händlern auch gute Margen bringt. Das führt dazu, dass natürlich die Händler, auch die Rewe, das Angebot auch anpreisen, und wie auch alle Händler alle Tricks nutzt, sozusagen den Kunden zum Konsum zu verführen. Wo sehen Sie denn da die Möglichkeiten und die Grenzen des Handels, aktiv zu einer gesünderen Ernährung beizutragen?
Jan Kunath: Die Standardantwort kann immer sein, man ist schon immer selbstbestimmt, ja. Also es kann schon jeder selbst für sich entscheiden, wie er sich ernährt. Das ist insofern nicht ganz fair, weil einfach bestimmte Ernährungsgewohnheiten auch eine preisliche Frage sind. Also das ist nicht so, dass man, jeder die gleiche Chance hat, sich gleichermaßen gesund zu ernähren, weil es dann einfach dann auch unterschiedliche Preisstellungen gibt zu bestimmten Produkten, die dann eben was teurer oder auch was zum Günstigen greifen muss. Vom Grundsatz her ist es aber schon so, dass wir ja nicht diejenigen sind, die die Kunden erziehen können und wollen. Welche Kundengruppen wollen wir auch erziehen? Wir haben auch zu unterschiedliche Kundengruppen. Dass wir einen Erziehungsauftrag haben, das sehe ich nicht. Ich sehe schon, dass wir einen Kommunikationsauftrag haben. Also das, und da werden wir ja auch verpflichtet, also wir werden ja auch jetzt gerade, ich glaube, heute habe ich es wieder gehört, das Thema genmanipuliert hat wieder eine neue Dimension in der Transparenz angenommen. Das heißt also, was jetzt wieder deklariert werden muss, also die Deklarationsvorschriften sind ja reichlich gegeben, um den Kunden die Möglichkeit zu geben, sich bewusst darauf einzustellen, was man isst. Ich finde, die Pflicht haben wir auch, dass man transparent darauf hinweist, in welcher Art und Weise man sich gerade ernährt. Aber da wird einem ja, werden wir ja auch unterstützt durch die EU, auch durch verschiedene Organisationen, dass wir das auch ordentlich machen. Und das sollten wir auch ordentlich machen. Aber wir haben keinen Erziehungsauftrag. Also dafür, da sehe ich uns nicht.
Rainer Münch: Sehen Sie da die Ernährungsindustrie in Summe auf einem guten Weg?
Jan Kunath: Ja. Also in der Summe muss ich sagen, es gibt einen Weg, einen positiven Weg. Auch die Industrie, die Hersteller gehen ja auch viel bewusster damit um, was sie verwenden, weil sie auch gefordert werden von den Kunden, weil ihre Produkte sonst nicht mehr genommen werden. Es ist ein Weg und ob jetzt ein guter Weg, es ist ein besserer, als er eben war. Geht immer ein bisschen mehr, aber wenn du die Produzenten nimmst, die werden natürlich am meisten dadurch angetrieben, wenn eben durch Kundenverhalten und wenn das, wenn der Kunde sich entsprechend verhält, dann kann man auch die Industrie weiterbewegen, also verweigern oder unterstützen durch eben Kaufverhalten.
Rainer Münch: Also aus meiner persönlichen Sicht denke ich, gibt es da schon auch viele positive Impulse. Es gibt ja auch immer wieder Start-ups, die sich explizit positionieren über natürliche Lebensmittel, über wenig Verarbeitung. Es gibt diese Tendenz, Rezepte auch zu empfehlen, anzubieten. Auch Kochboxen ist ja letzten Endes mehr gesunde Lebensmittel auch zu verarbeiten und Gemüse etc, auch wenn meine Kinder nicht immer begeistert sind. Aber ich denke schon, dass da auch einiges angeschoben wird von vielen, denen das auch wichtig ist.
Jan Kunath: Absolut. Angebote gibt es da jetzt inzwischen reichlich. Start-ups ist wirklich ein gutes Stichwort an der Stelle, die sich da mit alternativen Produktionsmethoden und auch vor allen Dingen Rohstoffen auseinandersetzen. Das ist die Rewe ja auch reichlich investiert. Also wir haben viele kleinere Investments in solche Start-ups, die vor allen Dingen mit alternativen Rohstoffen dann auch unterwegs sind. Das ist ganz spannend. Wie weit das dann immer wirklich gesunder ist? Ich meine, die Diskussion über die vegetarische Wurstalternative und das Umdrehen auf die Inhaltsverzeichnisse und du siehst da lauter E's, die Ingredients: Ist das dann wirklich viel besser? Also kann man ja dann noch fröhlich drüber streiten. Aber das ist schon, wie Sie sagen, dass ganz viele Initiativen dazu geeignet sind, dass vieles auch gesunder wird. Und es wird natürlich auch gerade die jüngeren Zielgruppen, sie gehen ja sehr viel bewusster damit um. Also gerade das Thema Zucker. Ich habe das Gefühl, dass da viel mehr Bewusstsein da ist. Vielleicht auch, weil wir, die jungen Leute, heute besser ausgebildet sind. Was ich vorhin gesagt habe. Wir haben heute einen viel größeren Anteil an akademisch ausgebildeten jungen Leuten. Ich glaube schon, dass das auch damit zusammenhängt und eine andere Auseinandersetzung damit stattfindet. Bin ich sicher.
Rainer Münch: Eine der Rubriken, die ich immer dabeihabe, ist der Max Frisch Fragebogen. Da hatte ich Sie gebeten, sich eine Frage auszusuchen und wir kommen gleich zu Ihrer Frage. Und Sie haben gesagt, das haben Sie sich bestimmt die meisten bisher ausgesucht, diese Frage. Und Sie sind tatsächlich erst der Zweite, der diese Frage ausgesucht hat, nämlich: Wenn Sie Macht hätten zu befehlen, was Ihnen heute richtig scheint, würden Sie es befehlen gegen den Widerspruch der Mehrheit? Ja oder nein? Warum diese Frage? Und was ist Ihre Antwort?
Jan Kunath: Ja, für mich, für mich ist das schon, ist es, am Ende ist es Management: an bestimmten Stellen Führung übernehmen, vorangehen. Wie gesagt, ich nehme nicht da für mich in Anspruch dann, dass ich, dass man immer schlauer vielleicht ist als die Mehrheit. Aber bloß weil die Mehrheit anders denkt, kann man ja trotzdem auf dem richtigen Weg sein. So, und wenn ich die Macht in Häkchen einer Führungsaufgabe auch habe, das dann auch voranzutreiben, dann empfinde ich das als notwendig, sich auch so zu verhalten. Weil: immer nur so ein Mehrheits-, also so eine Konsensfähigkeit herzustellen, was ja übrigens in so einem Konzern wie unserem gar nicht so selten ist, dass man versucht, immer einen breiten Konsens herzustellen und alle mitzunehmen, ich weiß nicht, ob das immer das bessere Ergebnis ist, dann irgend so in der Politik dann ja auch, du hast immer so eine Gemengelage, wo nichts richtig bei rauskommt. Ab und zu musst du dann eben schon mal sagen: Auch wenn ihr das alles mal anders seht hier, ich glaube und ich habe gute Analysen, gute Erkenntnisse, gutes Gefühl, dass das genau richtig ist, was wir jetzt machen. Und dann machen wir das bitte auch mal so. Und daher habe ich auch gerne die Macht dazu. Dafür bin ich dann am Ende auch eine Führungskraft. Ich muss es ja am Ende ja auch irgendwann vertreten. Ich muss dafür irgendwann mal Haltung zeigen. Ich muss dafür irgendwann mal geradestehen. Finde ich für mich eines der normalsten Dinge der Welt. Was aber nicht natürlich dazu führen kann, dass man automatisch meint, immer im Recht zu sein, weil man die Macht hat. Das will ich damit nicht sagen. Aber gerade in der Diskussion, wo du immer wieder das Gefühl hast, wir versuchen immer auch in der Politik dann immer erst mal wieder so eine Mehrheitsfähigkeit hinzukriegen, damit alle irgendwie sich… das ist ja doch meistens dann auch etwas weich gewaschen und auch irgendwie nicht so richtig, nichts Richtiges und nichts Halbes. Insofern kann ich mit dem Spruch extrem gut leben.
Rainer Münch: Zum Abschluss habe ich noch ein bisschen was Leichteres dabei. Ich habe schon eingeleitet, habe sie vorgestellt, habe erwähnt, dass Sie leidenschaftlicher Bergsteiger sind. Und ich weiß, dass Sie auch schon manch anspruchsvollen Gipfel bezwungen haben. Haben Sie sich denn für die Zeit nach der Rewe auch alpine Ziele gesteckt?
Jan Kunath: Also das, was ich vor Jahrzehnten geleistet habe am Berg, das werde ich ja heute gar nicht mehr leisten können. Insofern kann ich mir nicht höhere Ziele jetzt, was den Bergsport betrifft, kann ich mir sicherlich nicht mehr wünschen. Darum, ich meine, wenn ich hier in mein räumliches, und wir sind ja jetzt in Köln räumlich, ich weiß nicht, vielleicht kennt der eine oder andere den Monte Troodelö. Der Monte Troodelö ist in der Wahner Heide, hier im Raum Köln der höchste Berg, der ist 80 Meter über Normalnull. Bei dem war ich noch nicht. Vielleicht ist der Monte Troodelö dann für mich das nächste bergsteigerische Ziel. Man kann auch mit dem Rad hinfahren durch die Wahner Heide. Ist sehr schön. Das liegt auf jeden Fall hier sehr nah. Was man auch wenn man wie ich gerne in Berlin ist, wo es sich immer wieder lohnt hochzugehen, ist in Berlin der höchste Berg, das ist ja ein Schuttberg, aus dem Krieg heraus ist der Teufelsberg, kann man auch immer wieder hochgehen und also es sind kleinere Ziele geworden als der Aconcagua oder der Montblanc oder ähnliches.
Rainer Münch: Und geht auch ohne Sauerstoff.
Jan Kunath: Und geht auch ohne Sauerstoff.
Rainer Münch: Ja, jetzt sind wir im Dezember. Weihnachten steht vor der Tür. Allerletzte Frage an Sie, Herr Kunath. Wie verbringen Sie Weihnachten? Was sind die Kunathschen Traditionen?
Jan Kunath: Ja, es gibt gute Kunathsche Traditionen. Tatsächlich. Wir sind seit Geburt unseres ersten Kindes immer zu Weihnachten in Oberammergau. Das ist ein Passionsort in der Nähe von Garmisch. Alle zehn Jahre findet dort die Passion statt, die Passionsspiele statt. Das ist ein ganz bemerkenswertes Event, würde man heute sagen, nämlich die Leidensgeschichte Jesus wird dort als Dorf nachgespielt. Ist wirklich was ganz Beeindruckendes. 5.000 Plätze in dem Passionstheater und mehrere 100 Mitwirkende, die immer aus dem Dorf sind. Das ist unser zweites Standbein in unserer Familie. Dort sind wir jedes Jahr, sind wir seit jetzt inzwischen 22 Jahren. Weihnachten kann auch nur dort stattfinden, laut meiner Kinder. Also nicht nur unserer Meinung nach, sondern auch unsere Kinder sind der Meinung: Es gibt nur einen Ort, Weihnachten zu feiern. Und das ist Oberammergau. Inzwischen kommt dann eben schon die Lebensgefährtin meines Sohnes mit. Also ich denke, das wird noch lange anhalten.
Rainer Münch: Ja, da kann ich nur sagen Frohes Fest in Oberammergau. Lieber Herr Kunath, es hat mich sehr gefreut, Sie als Gast zu haben heute bei Purpose versus Profit.
Jan Kunath: Es war mir ein großes Vergnügen. Es hat mir viel Spaß gemacht. Immer wenn man so was machen darf und man die Chance hat, das eine oder andere zu bestimmten Themen zu sagen, freue ich mich, wenn ich das kann. Weil nicht jeder darf das. Insofern macht das unheimlich viel Spaß.
Rainer Münch: Vielen Dank.
Jan Kunath: Dankeschön.
[Das Gespräch wurde aufgezeichnet am 4. Dezember 2025.]