Keine Kompromisse

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Götz Rehn und Rainer Münch

Götz Rehn und Rainer Münch

30 min read

Double Quotes
Und das ist für mich die Zukunft: Arbeiten mit der Natur. Und da braucht es mehr Kreativität und Mut.
Professor Dr. Götz Rehn, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Alnatura

In der aktuellen Folge ist Professor Dr. Götz Rehn zu Gast, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Alnatura. Das Gespräch beginnt im Ruhrgebiet und führt über Vorbilder im Leben schließlich zur Sozialorganik, der Frage nach dem Sinn und zur Natur. Emotional wird Götz Rehn, wenn es um die Qualität und Erschwinglichkeit seiner Produkte geht, aber auch beim Thema Homeoffice und der Bedeutung persönlicher Begegnungen.

Das Gespräch wurde aufgezeichnet am 30. April 2025.

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Rainer Münch: Willkommen bei Purpose versus Profit. Ich bin Rainer Münch und ich unterhalte mich hier mit meinen Gästen über die Werteorientierung im Geschäftsleben. Mein heutiger Gast ist Professor Dr. Götz Rehn, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Alnatura. Zur Aufnahme bin ich am vollkommen nachhaltig gestalteten Alnatura Campus in Darmstadt zu Gast. Unser Gespräch beginnt dann im Ruhrgebiet und führt über Vorbilder im Leben schließlich zur Sozialorganik, der Frage nach dem Sinn und zur Natur. Es ist bemerkenswert, wie alle Aspekte des Alnatura Geschäftsmodells durchdacht sind und wie sie ineinandergreifen. Emotional wird Götz Rehn, wenn es um die Qualität und Erschwinglichkeit seiner Produkte geht, aber auch beim Stichwort Homeoffice und der Bedeutung persönlicher Begegnung. Und nun viel Spaß mit der heutigen Folge. Seine ersten fünf Berufsjahre hat Götz Rehn bei Nestlé verbracht, bevor er dann 1984 im Alter von 34 Jahren Alnatura gründete. Alnatura, das sind aktuell 152 Super Natur Märkte und 1.400 Biolebensmittel, die europaweit in mehr als 15.000 Filialen erhältlich sind. Parallel leitet er das Institut für Sozialorganik an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft. 2021 wurde er für sein Lebenswerk mit dem deutschen Gründerpreis ausgezeichnet. Er ist Vater von zwei Kindern. Seine liebsten Hobbys Fahrradfahren, Skifahren und Segeln haben eines gemeinsam: Sie sind alle an der frischen Luft. Lieber Herr Rehn, herzlich willkommen bei Purpose versus Profit.

 

Götz Rehn: Herzlich willkommen, vielen Dank.

 

Rainer Münch: Herr Rehn, Sie sind im Ruhrgebiet groß geworden und stammen aus einer der ältesten Chirurgenfamilien Deutschlands. Wie hat es Sie von da in den Biolebensmittelhandel nach Darmstadt verschlagen?

 

Götz Rehn: Das ist eine lange Reise. Ich versuche, es kurz und verständlich zu beantworten. Ich bin mit zwölf Jahren aus Freiburg ins Ruhrgebiet nach Bochum gekommen. Das war 1962. Damals war das Ruhrgebiet in der Zusammenbruchsituation. Arbeitslosigkeit, traurige Menschen, zerstörte Städte in gewisser Hinsicht, sehr viel Schmutz. Und das hat mich sehr beschäftigt in der ganzen Schulzeit und ich habe mich immer wieder mehr oder minder ausführlich mit der Frage beschäftigt: Ist das Wirtschaft? Oder muss Wirtschaft so sein? Oder könnte es nicht doch anders möglich sein, dass Wirtschaft wirklich dem Menschen dient? Und irgendwann habe ich mich dann entschieden, das auszuprobieren und ein Modell zu versuchen. Der Weg dorthin war lang und beschwerlich. Ich habe nach dem Studium der Volkswirtschaft und Promotion in Organisations- und über Organisationsentwicklung fünf Jahre bei Nestlé gearbeitet und parallel das Alnatura-Modell entwickelt.

 

Rainer Münch: Wie würden Sie denn Ihren Wertekanon und den Nordstern für Ihr Handeln beschreiben?

 

Götz Rehn: Für mich ist der Begriff Werte herausfordernd, weil er etwas mit Bekenntnis zu tun hat. Ich kritisiere das nicht, aber für mich persönlich ist es wichtig, dass das, was ich tue, dass ich das erkannt habe, also dass mir etwas bewusst ist, dass ich es einsehen kann und dann halte ich mich auch daran. Beispiel: Als ich dann vor über 40 Jahren mit Alnatura begonnen habe, gab es ja keinerlei rechtliche Vorgaben für das, was Bio ist. Das war in keiner Weise geregelt und für mich war von Anfang an klar: Bio bei Alnatura ist 100 Prozent Bio-Rohstoffe im Produkt. Das erwarten die Kunden. Die EU-Verordnung, die ja bis heute gültig ist, verlangt 95 Prozent. Das zeigt ganz deutlich, egal um was es geht bei uns, wir versuchen, unsere Produkte, unsere Märkte, die Gehäuse, in denen wir leben und arbeiten, so zu gestalten, dass sie eben bestmöglich nachhaltig sind.

 

Rainer Münch: Was war damals die Motivation für Sie zu sagen, 95 Prozent genügt mir nicht? Wir machen 100.

 

Götz Rehn: Ja, die Erkenntnis, dass wenn man biologische Lebensmittel aus Biolandbau anbietet, man natürlich konsequent sein sollte, weil die Kundinnen und Kunden erwarten – und das hatte ich sie natürlich schon gefragt, die Kunden und Kundinnen – die erwarten das. Und da die Produkte aus der Agrarindustrie ja etwas ganz anderes sind und eventuell auch mit Rückständen belastet sind, kam das natürlich überhaupt nicht infrage, beide Rohstoffe miteinander zu verquicken.

 

Rainer Münch: Wenn Sie Ihre Haltung, die Sie heute haben und Ihre Überzeugungen mit denen vergleichen von vor 40 Jahren, hat sich da viel verändert? Ist es, ist es eine Transformation, die Sie da auch persönlich erlebt haben? Oder sagen Sie: "Nee, das ist eigentlich immer noch, die Haltung hat sich nicht verändert."?

 

Götz Rehn: Die Grundeinstellung, dass wir unsere Welt nur zum Segen der Menschen, auch mithilfe der Natur weiterentwickeln können, dass das nur auf Basis einer vierten Dimension sozusagen möglich ist, also aus einer Sinnbestimmung heraus, die hat sich nicht geändert. Allerdings hat sich natürlich die Begründung verändert, die Vielfalt der Anwendungen verändert, aber diese Grundhaltung, dass wir den Materialismus an der Stelle überwinden sollten durch Ergänzung, wir wollen ja nicht auflösen, dann könnten wir nicht mehr existieren. Es geht ja nicht um Sozialromantik oder so etwas. Aber dass wir es ergänzen müssen, das, was Sie vielleicht als Werte beschreiben und wirklich aus dem Bewusstsein heraus tätig zu sein, das ist das, was geblieben ist. Und ich denke, das wird auch bleiben.

 

Rainer Münch: In unserem Vorgespräch haben Sie einige Menschen genannt, die Ihren Lebensweg geprägt haben, unter anderem Alfred Rexroth und Herbert Witzenmann. Wie würden Sie diesen Einfluss beschreiben und haben Sie heute noch Vorbilder?

 

Götz Rehn: Ja, es gibt viele Menschen, deren Werke von höchstem Interesse sind, die ja schon lange verstorben sind. Da können Sie einen Goethe nehmen, einen Schiller nehmen und viele, viele andere. Auch Rudolf Steiner hat mich sehr, sehr intensiv begleitet. Die beiden, die Sie ansprechen, sind insofern interessant, ganz unterschiedlich. Alfred Rexroth, beides Unternehmer, Alfred Rexroth, in Lohr am Main, eine Kokillengießerei, Hydraulik, Gussteile. Dort hatte ich als siebzehnjähriger Schüler ein Industriepraktikum gemacht in der Kokillengießerei, 3 Wochen, 45 Grad Arbeitstemperatur. Eine Pfanne wog 70 Kilo, die haben wir zu zweit getragen. Also der andere Herr war etwas kräftiger als ich. Das hat mich sehr geprägt, dieses Arbeitsleben, diese Eindrücke. Und dann wurde ich nach dem Abitur zufällig, wie das manchmal so ist, eingeladen, mit einem Herrn, der bei Rexroth arbeitete, verschiedene kleine Unternehmerinnen zu besuchen, die zugearbeitet haben, die Teile hergestellt haben. Und die Art und Weise, der Herr hieß Herr Blex, wie er mit den Menschen gesprochen hat, das hat mich irgendwie sehr angesprochen. Und es war nicht nur darauf ausgerichtet, dass er jetzt besonders günstig einkaufen kann. Er war im Stil sehr angenehm. Es war etwas, was wir später dann als Organisationsentwicklung kennengelernt haben, dass es also um den Menschen und um die Wirtschaftlichkeit geht und dass es darum geht, das miteinander zu verbinden. Das war das eine Erlebnis und das hat schon mit dazu beigetragen, dann den Versuch zu wagen, in diese Richtung zu gehen. Die zweite Persönlichkeit, Herbert Witzenmann, war damals Geschäftsführer, zusammen mit seinem Bruder, der Witzenmann GmbH in Pforzheim, bis heute ein sehr erfolgreiches Unternehmen für Metallspezialschläuche. Und er war gleichzeitig für die sozialwissenschaftliche Sektion, so heißt das am Goetheanum, also der Hochschule, in Dornach bei Basel, wo man eben ja das Werk Rudolf Steiners sozusagen studieren und kennenlernen kann. Und ich bin durch einen Bekannten, flüchtigen Bekannten eingeladen worden, mitzukommen und hab diese Persönlichkeit dort erlebt und hab festgestellt, das ist ein Mensch, der meine Fragen, die ich hatte, nicht im Sinne einer flachklatschenden Antwort, sozusagen beantwortete, sondern Ansatzpunkte lieferte, wie ich durch eigene Erkenntnisbemühungen und, ja, eigene Forschung zu Ergebnissen komme, die für mich dann erkannt und individuell geklärt sind. Und das war eine ganz intensive Zusammenarbeit, es war natürlich auch, sagen wir hilfreich, weil er im Wirtschaftsleben beheimatet war, das für ihn nicht fremd war. Und ich habe viele Themen, bis hin sogar zur Gestaltung der Farben, der Alnatura Super Natur Märkte, die ja aubergine und hellgrün sind, mit ihm bewegt. Also das war eine Persönlichkeit, die mich da sehr begleitet hat.

 

Rainer Münch: Achten Sie stark darauf, dass innerhalb des Unternehmens, innerhalb Alnatura Führungskräfte Vorbilder sind? Und wie machen Sie das?

 

Götz Rehn: Also ich versuche, die menschengerecht und aufgabenadäquat und ja, präzise und auch sorgfältig, vielleicht auch manchmal etwas zu gütig, aus meiner Sicht, mit den Kolleginnen und Kollegen gemeinsam das Unternehmen zu gestalten. Nun sind wir ein großes Unternehmen mit 3.600 Kolleginnen und Kollegen. Da kann man natürlich nicht mehr mit jedem sprechen. Und es sind natürlich ganz unterschiedliche Gremien, in denen man mitwirkt. Aber ich versuche schon zu zeigen, was wichtig ist und auch in Einzelfällen deutlich zu machen, wie ein anderes Denken dann auch zu anderen Ergebnissen führt. Also mehr über die inhaltliche Begleitung.

 

Rainer Münch: Jetzt ist der Titel des Podcasts "Purpose versus Profit", also ein gewisses Spannungsfeld zwischen einer Purpose- und einer Profitorientierung. Wie blicken Sie auf dieses Spannungsfeld? Und gibt's Situationen, wo Sie schon mal sagen mussten schweren Herzens, jetzt muss ich mich für den Profit entscheiden, wir können uns an der Stelle den Purpose nicht leisten?

 

Götz Rehn: Es ist ja mein Lebensthema, diese zwei Begriffe, wobei ich eben damals den Begriff des Sinns anstelle von Purpose gewählt habe. Warum? Purpose heißt ja Zweck und sicher ein erweiterter Zweck, also nicht nur ein wirtschaftlicher Zweck. Das ist sicher das Neue daran. Aber es ist doch im gesamten wirtschaftlichen Kontext verankert. Das konnte man jetzt auch in den letzten Monaten beobachten. Wenn dann neue Forderungen kommen, dann werden auch die Ziele eines Unternehmens etwas angepasst. Das gäbe es bei uns nie. Und der Sinn geht eben über diese physische Sichtweise hinaus. Sinn ist für uns etwas, deswegen habe ich das vorhin auch vierte Dimension genannt, wo wir das Ökonomische, Ökologische und Soziale, das sind ja die drei Nachhaltigkeitskriterien, um die vierte Dimension erweitern. Nur eine vierte Dimension gibt es ja gar nicht im Physischen. Insofern schon ein Hinweis darauf, es geht um eine geistige Bestimmung, es geht um ein Menschenbild, es geht um ein Weltbild. Und aus diesem Sinn heraus tätig zu sein, des jeweiligen Gegenstands, auf das sich meine Handlung bezieht, bedeutet ja, dass ich's erkennen muss. Also wenn ich sozusagen eine Karotte richtig anbauen möchte, muss ich kapieren, was ist eine Karotte, was braucht die für einen Boden und so weiter. Und dann bekomme ich auch die beste Karotte. Verzichte natürlich im Biolandbau auf sämtlichen Kunstdünger und sämtliche Herbizide, Fungizide und was es da sonst noch so gibt. Wenn ich das, sagen wir mal zur Philosophie eines Unternehmens mache, dann bedeutet das natürlich, erst die Qualität und dann der Preis. So ist auch unsere Mission: beste Qualität in ästhetischer Anmut zum günstigsten Preis. Aber die beste Qualität wird gestützt durch die Vision „Sinnvoll für Mensch und Erde“. Und wie stellen wir das sicher, um das auch konkret zu machen? Weil das kann man ja alles so schön behaupten. Ich hab vom ersten Tag an einen Arbeitskreis Qualität mit Fachleuten der verschiedensten Disziplinen, die eben ernährungsrelevant sind, ins Leben gerufen, der frei von uns ist. Da werden nur die Fahrtkosten ersetzt und jedes Produkt, wo Alnatura draufsteht, geht in diesen Arbeitskreis und die entscheiden dann, ob wir das Produkt so machen können in den Rezepturen, ob wir überhaupt das Produkt machen können, ob wir es so verpacken dürfen. Ich hatte gerade heute Morgen wieder ein Gespräch dazu, weil eine Kollegin etwas traurig war, dass ein gewisses Produkt nicht möglich ist. Also die sagen auch wirklich nein und das zeigt, dass es uns da sehr ernst ist. Jetzt sprechen Sie ja zu Recht dieses Dilemma an. Das ist ja etwas provokant, aber natürlich bewegt man sich immer zwischen auf der einen Seite der Wirtschaftlichkeit, möchte ich mal sagen, und auf der anderen Seite bei uns jetzt der Sinnhaftigkeit. Und ich versuche, dieser Spannung dadurch zu entkommen - die Felder sind ganz verschieden - dass ich auf der einen Seite diese Qualitätsseite überall absichere durch klare Grundsätze oder Gremien und auf der anderen Seite eine gewisse Beweglichkeit habe und das Ganze, ich erkläre es gleich, in einem Rahmen, der sozusagen ja nicht wirtschaftlich bestimmend ist. Das heißt, wir kommen mit einer Umsatzrendite um die anderthalb, zwei Prozent aus. Mehr brauchen wir nicht. Wenn wir bessere Situationen haben, dann investieren wir das in die Preise. Und wenn es Spannungen gibt, zum Beispiel wir haben ein definiertes Produkt und wir wollen das im Handel gelistet sehen und der Handel sagt: "Ja, der Einkaufs- und der Verkaufspreis, das passt nicht", dann versuchen wir im Gespräch miteinander auszuloten, könnte es denn möglich sein, wenn wir mit dem Preis und dem Verkaufspreis etwas runtergehen, dass sie dann erheblich mehr Menge abnehmen? Also wir würden nicht die Qualität ändern, aber wir versuchen einfach deutlich zu machen, also an der Qualität kann man nichts ändern. Aber finden wir andere Wege? Es sind Umwege. Wenn es um sehr grundsätzliche Fragen geht, gehe ich keine Kompromisse ein. Also ich war schon in Situationen, wo es hätte sein können, dass das Unternehmen nicht mehr existieren würde. Aber von meinen Grundsätzen werde ich nicht abweichen. Also solange ich das führe, wird das so sein.

 

Rainer Münch: Mhm.

 

Götz Rehn: Das ist auch das, glaube ich, was uns zu dem gemacht hat, was Alnatura heute ist. Wir sind ja die beliebteste Lebensmittelmarke und der beliebteste Lebensmittelmarkt inzwischen, was ja im Vergleich unserer Größe zu den großen Mitbewerbern im Markt, glaube ich zeigt, dass es uns immer besser gelingt, wirklich von den Kunden erlebt zu werden.

 

Rainer Münch: Jetzt haben Sie die Sinnfrage angesprochen, die Kernfrage, die vierte Dimension. Das ist ja auch ein Thema und eine Frage, die Sie an Ihrem Institut für Sozialorganik vertiefen. Wie kam es zu dem Institut und was sind die Impulse für Unternehmenslenker, die Sie daraus ableiten können?

 

Götz Rehn: Also wie kam es zum Institut? Ich kriegte Besuch von einem Professor von der Alanus Hochschule, der damals auch Rektor war. Und wir kannten uns aus früheren Zeiten. Wir hatten uns viele, viele Jahre nicht gesehen. Und er sagte dann: "Ja, mhm, werden denn die Inhalte, die ihr jetzt bei Alnatura als Modellunternehmen ausprobiert und umsetzt, wie geht das denn weiter? Werden die auch erforscht oder spricht man darüber?" Ich sage: "Nein, an und für sich nicht." Es war zwar immer mein Ideal, dass wir da weiterkommen und er hat es dann auf den Weg gebracht, dass ich da diese Honorarprofessur bekam und auch das Institut, das aber von Spenden finanziert werden musste, weil das eine private Hochschule ist, das bis heute aber auch von Spenden der verschiedensten Unternehmen finanziert wird, also nicht von Alnatura, weil selber wollen wir uns nicht in der Form unterstützen. Und dann war die Frage als Erstes: "Was können wir für einen vernünftigen Studiengang machen?" Und meine Lebenserfahrung hat ja gezeigt, ich habe wie gesagt Volkswirtschaft studiert. Das hat sicher, ja, mein wirtschaftliches Denken unterstützt. Aber die Modelle, die wir da kennengelernt haben, die decken ja nicht die Wirklichkeit ab. Und auch teilweise in der Betriebswirtschaft, wenn das sehr nur mathematisch ist, was ja bei vielen betriebswirtschaftlichen Studiengängen der Fall ist, trifft das auch nicht alles, was man braucht, um dann vernünftig im Wirtschaftsleben und erfolgreich tätig sein zu können. Und dann haben wir einen Studiengang entwickelt unter dem Titel „Wirtschaft neu denken“, der drei Säulen hat. Die erste Säule ist Betriebswirtschaft, ergänzt um Sozialorganik. Kann ich gleich was dazu sagen. Das Zweite ist, weil es eine Kunsthochschule ist, mit den verschiedensten Disziplinen, dass die betriebswirtschaftlichen Studentinnen und Studenten Kunstprojekte auch mit angehenden Künstlern machen. Das hat einen großen Effekt. Und das Dritte ist Praxiserfahrung. Die haben nicht sehr lange Semesterferien gehabt und wenn jemand das gut macht, wir waren auch Partnerunternehmen dort, dann haben diejenigen, die dann den Abschluss gemacht haben im Bachelor, konnten schon Marktleiter sein in einer Filiale. Also, wir haben auch einige bei uns im Unternehmen, das sind wirklich, das ist eine sehr interessante Ausbildung, die ausgesprochen gut funktioniert. Und die Idee der Sozialorganik ist eben die Weiterführung der Betriebswirtschaft in der Form, dass es darum geht, wie können wir eben Unternehmen so gestalten, dass das, was dort stattfindet, noch konkreter für die Mitarbeitenden verstanden wird? Also, wir haben zum Beispiel eine Wertbildungsrechnung, da würde jetzt die Zeit nicht reichen, in einem Gegenstrommodell entwickelt. Das sehen Sie in jedem Markt, der ganz einfach auf der einen Seite vom Umsatz und Ertrag, den Sie in einem Laden machen, ausgehend und den Leistungen, die erbracht werden andererseits. Das lässt er gegeneinander laufen. Und wenn das eine höher ist als das andere, haben Sie entweder eine Entschuldung oder eine Verschuldung oder einen Gewinn und Verlust, könnte man auch sagen, und das sehr transparent und sehr hilfreich. Und so haben wir eine ganze Reihe von neuen Konzepten entwickelt, die wir im Unternehmen anwenden und dort auch forscherisch weiter vertiefen.

 

Rainer Münch: Was nehmen Sie heute als die größten Hindernisse wahr, dass die Unternehmen sich diesem Sinn mehr zuwenden und sozusagen ihre Sinnorientierung stärken?

 

Götz Rehn: Ich glaube, wir haben zu wenig Vertrauen in uns Menschen. Also ich meine jetzt in die möglichen Kundinnen und Kunden. Das ist das, was mich bei dem Alnatura Weg wirklich täglich, ja, begeistert, erfreut, motiviert, dass immer mehr Menschen unsere Produkte kaufen, obwohl wir sie ja gar nicht an uns binden. Wir machen ja nahezu keine Kommunikation, sondern sie verbinden sich mit uns. Was ja auch eine schöne Geste ist und zeigt, wie ernst es ist, und dass manche Unternehmen ihr Angebot ändern können, wenn sie ein größeres Vertrauen hätten. Man ist doch meistens der Auffassung, man will die Kunden so eng an der Kandarre führen oder wie von einer Marionette geführt sollen sie sich so verhalten. Wenn ich oben was ändere, dann reagieren sie unten. Das das eine. Das Zweite ist, dass es auch Wege gibt, neue Wege zu gehen. Also Möglichkeiten gibt, möchte ich sagen. Also nehmen wir mal hier das Gebäude, in dem wir sitzen. Das ist ein gutes Beispiel. Das ist ein Bürogebäude, 10.000 Quadratmeter Bürofläche. Es hat 1.700 Euro pro Quadratmeter gekostet, ist damit deutlich günstiger als jedes andere Bürogebäude. Es ist das Nachhaltigste, was es in Europa gibt im Moment. Die Wände sind aus gestampftem Lehm, 60 Zentimeter stark, aus den Abfällen der Baugrube des Bahnhofs Stuttgart 21, haben wir geschenkt bekommen, und wenn das Gebäude nicht mehr gebraucht wird, dann zerfällt der Lehm und geht wieder in die Erde zurück. Es ist für die Zusammenarbeit optimal. Wir arbeiten auf einer Fläche, es ist auch von der Akustik perfekt und ich finde, es ist auch recht schön geworden. Und das sind eben dann die vier Kriterien, um die es geht. Und das zu zeigen, ist eben unser Ansinnen und da mehr Mut zu haben, da kann ich viele Unternehmen nur, ja, ermuntern. Also, wir haben ja auch ein großes Hochregallager gebaut, um noch ein Beispiel zu erzählen, was das einzige dieser Art ganz aus Holz ist, 20 Meter hoch. Wir haben es aber auch zwei Meter in den Boden gesenkt in eine weiße, sogenannte Betonwanne, also die wasserdicht ist. Darunter fließt, das ist in Lorsch, das Grundwasser des Rheines. Und mit der Kühlung und Heizung des Rheines heizen und kühlen wird das gesamte Gebäude das ganze Jahr. Wir haben gar keinen Strombedarf oder Energieaufwand für ein solches Riesengebäude für 30.000 Europaletten. Und das ist für mich die Zukunft. Arbeiten mit der Natur und da braucht es mehr Kreativität. Also, wir brauchen Mut, wir brauchen Kreativität. Es ist nicht eine Geldfrage.

 

Rainer Münch: Auf das Gebäude komme ich gleich noch mal zurück. Zunächst möchte ich noch mal über diese Sinnorientierung sprechen und das, was Sie auch gesagt haben, diese Prinzipien, die hinter Alnatura stehen. Jetzt ist es ja so, dass es durchaus viele Start-ups auch gibt, die etwas in die Richtung versuchen. Die versuchen, Produkte mit einem ökologischen Hintergrund, mit guter Qualität, Handarbeit, regional wirklich zu vermarkten, aufzuziehen, und ganz viele von denen scheitern und es klappt eben nicht. Haben Sie da einen Blick drauf? Was sind da häufig die Faktoren, die fehlen? Und warum hat es bei Ihnen mit Alnatura funktioniert? Und warum funktioniert es so häufig eben auch nicht? Trotz allem Mut.

 

Götz Rehn: Ich denke, wenn wir im Wirtschaftsleben tätig sein wollen, ist es zentral, dass das, was wir tun, von den Menschen gewollt wird. Die Gefahr besteht bei vielen Pionieren, dass sie aus einem gewissen Idealismus heraus tätig sind, etwas zu tun, von dem sie meinen, dass es für die Menschen gut wäre, weil sie es für gut halten. Das ist der eine Punkt. Also es geht nicht darum, etwas sich auszudenken, sondern sozusagen herauszuerahnen aus dem, was man bei den möglichen zukünftigen Kunden beobachten kann. Das ist eine ganz andere Geste. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt. Das Zweite ist dann, dass es natürlich nicht um romantische Übungen geht, sondern wir sind im Wirtschaftsleben. Also wir kämpfen auch um jeden Cent in der Kostenseite, um unsere Produkte möglichst günstig für die Kunden zu machen. Also eine gewisse Professionalität, eine Klarheit an der Stelle ist auch dringend erforderlich. Und ich warne immer, wenn da keine Erfahrungen da sind, manche machen ja auch ein Restaurant auf oder irgendein kleines Unternehmen und sind ganz überrascht, dass sie irgendwann pleite sind, weil sie gar nicht erkannt haben, dass sie pleite sind, weil sie gar keine Beziehung zu den wirtschaftlichen Realitäten haben. Das gehört einfach dazu und für mich wäre es auch sicher nicht so gut gewesen, ohne die hervorragende Zeit bei Nestlé und die Erfahrung, die ich da sammeln konnte und was ich auch ausprobieren konnte, zu starten. Also es braucht schon auch einen wirtschaftlichen Hintergrund.

 

Rainer Münch: Damit komme ich zurück auf das Gebäude. Ich hatte Sie ja im Vorfeld gebeten, einen Wertegegenstand mitzubringen und Sie hatten mir gesagt, wir werden darin sitzen, nämlich in diesem Lehmgebäude. Sie haben ja eben schon ein bisschen was ausgeführt, was das Gebäude darstellt und was Sie damit verbinden. War das für Sie ein lang gehegter Traum, so was zu machen? Oder war das eine relativ spontane Entscheidung, weil Sie neu bauen mussten und sich dieses Verfahren angeboten hat?

 

Götz Rehn: Wir versuchen alles, was wir tun, bewusst zu tun. Bewusstes Tun heißt, darüber nachzudenken, bevor man handelt und dann auch während man handelt, weiter daran zu denken. Das bedeutete für uns natürlich, weil Alnatura sinnvoll für Mensch und Erde, wir müssen auch hinbekommen, Bürogebäude zu schaffen, was eben diesen Kriterien der Nachhaltigkeit, der Wirtschaftlichkeit, des Sozialen und der Ästhetik gleichermaßen entspricht. Das ist ja die Kunst, das ganzheitlich zu denken und nicht nur ein Gesichtspunkt, den wirtschaftlichen oder den künstlerischen, dann ist es manchmal wirtschaftlich überhaupt nicht mehr darstellbar und so weiter. Das Ganze ist entstanden dann in der Zusammenarbeit mit einem, ja, mit einem Freund aus Jugendzeiten, mit dem ich Seifenkistenrennen gefahren bin, den ich über ganz, ganz viele Jahre nicht gesehen hatte und der mich dann zufällig in Hamburg bei einer Ladeneröffnung, hat mir auf die Schulter getippt und ich sagte zu seinem großen Erstaunen, dass ich überhaupt noch wusste, wie er heißt, "Ah hallo, Michael." Also dieser Michael war in einem großen Konzern damals tätig und das passte dann von der Zeit sehr gut und hatte auch für dieses Unternehmen ein nachhaltiges Gebäude als Projektleiter betreut auf Geschäftsführungsebene. Und ich war damals in der schwierigen Situation, dass dm sich von Alnatura trennte und ich wirklich alle Kraft darauf lenken musste, das Unternehmen zu erhalten und hab ihn dann gefragt, ob er mir hilft. Und er hat die Projektleitung übernommen. Ich habe trotzdem noch mal nachgerechnet, 40 Tage Zeit investiert, was aber für so ein außergewöhnliches Projekt nicht viel ist. Und ich danke ihm da auch sehr, insbesondere auch dem Martin Haas von Haas Cook Zemrich. Das ist das Architekturbüro aus Stuttgart, die das konzipiert haben, weil wir sehr viel mitgewirkt haben. Also beim ersten Entwurf kamen die Architekten und hatten ja wunderschöne Entwürfe mitgebracht, aber das war nicht das, was mir vorschwebte, sondern das ist ja ein ganz einfaches Haus an und für sich, was sehr stark auch aus der Funktion heraus gestaltet ist. Und das wurde dann im Dialog mit sozusagen den Architekten und unter der Leitung von Michael von Rudloff eben entwickelt. Wir haben das sehr früh auch mit den Mitarbeitenden abgestimmt. Es gab so Resonanzgruppen, in denen die Kolleginnen und Kollegen das Ganze begleitet haben. Und ich bin, da es ja doch ganz anders war als das, was man normalerweise hat: keiner hat ein Zimmer, ich sitze auch zusammen mit anderen, klappt alles wunderbar. Aber das wusste man natürlich nicht vorher. Das merkt man erst, wenn man dann einzieht. Ich erinnere mich noch sehr, sehr gut.Also es ist schon sechs Jahre her, als wir dann im Januar hier rein sind. Wir hatten über‘s Wochenende die ganzen Arbeitsplätze umgebaut und so weiter und ich hatte schon die Luft angehalten, muss ich sagen, weil ich andere Situationen bei Büroumzügen erlebt hatte. Große Revolution, was alles schlecht ist. Es war, als ob es immer so gewesen wäre. Es hat von der ersten Minute an wunderbar funktioniert.

 

Rainer Münch: Wie war das für Sie, hier einzuziehen?

 

Götz Rehn: Ja, eine große Freude. Also ich wundere mich, dass überhaupt irgendjemand zu Hause arbeiten möchte. Wir haben hier ein ganz großes Gelände, fünf Hektar drumrum. Ein Teil ist Naturschutzgebiet. Wir haben auch, von uns initiiert, von der Alnatura Stiftung, einen Kindergarten, wo fünf Kindergartengruppen, 100 Kinder drin sind und 200 auf der Warteliste. Wir haben auch der Stadt angeboten – ist ein öffentlicher Waldorf-Kindergarten – wir sind bereit, weitere Kindergärten zu machen, wenn die Stadt mag, aber sie meditiert noch darüber. Das ist ja leider in unserer Gesellschaft meistens das Phänomen, dass wir nicht in die Gänge kommen bei solchen Themen. Ja, und dieses Gelände bietet sich sehr an und es ist herrlich, hier zu arbeiten. Wir haben eine sehr, sehr gute Luft, weil wir von außerhalb, da ist ein größeres Waldstück, da holen wir die Luft in mannshohen Kanälen unterirdisch hier ins Gebäude. Wir haben keinerlei andere Klimatisierung und haben, auch wenn's draußen 40 Grad hat, hier sehr gute Temperaturen. Die Lehmwände sind enorm, was sie da auch liefern und spülen das Gebäude nachts sozusagen mit der kühlen Waldluft durch. Und alle sagen, es ist doch erstaunlich gute Luft, auch gute Akustik. Also es ist wirklich sehr, sehr gelungen. Wir haben auch viele, viele Preise gewonnen, auch die Architekten. Und trotzdem habe ich jetzt nirgendwo Vergleichbares je wieder gesehen. Das ist auch wieder ein interessantes Phänomen. Insofern könnte man vielleicht noch hinzufügen, also selbst wenn's dann positive Beispiele gibt, dann bräuchte man vielleicht nicht so viel Mut, um diesen Weg zu gehen. Also man muss halt auch aus seiner Bequemlichkeit raus. Man muss die bestehenden Regeln überwinden wollen. Es ist vieles hier überhaupt nicht so, wie das Baurecht das vielleicht zunächst verlangen würde. Also die Breite, die Tiefe des Gebäudes ist doppelt so hoch wie normal, so lang. Und das geht nur, indem alle Räume gesprinklert sind. Also überall an den Decken sind diese Rohre weiß gestrichen. Das ist jetzt nicht das Schönste, aber so ist es dann halt. Da muss man dann halt auch Kompromisse eingehen.

 

Rainer Münch: Sie haben es in Ihren Ausführungen angeschnitten. Das Thema Präsenz in den Büros ist ja auch eine immer noch aktuelle Debatte, wo der Weg da hinführt. Wie blicken Sie da drauf?

 

Götz Rehn: Meine Beobachtung ist, dass Zusammenarbeit am besten in Präsenz funktioniert. Sie geht besonders reibungslos. Sie ist sehr sparsam, weil ich eben in kurzer Zeit sehr viel erledigen kann. Es kommt zu weniger Missverständnissen. Es ist koordinierter. Es ist auch vergnüglicher, muss ich sagen. Ich sitze ja auch manchmal an, in solchen Videokonferenzen und man versteht manchmal nicht gut, wechselseitig, also nicht nur akustisch, sondern auch sonst. Es gibt viele, auch immer wieder technische Probleme, und ich finde es eben auch zusätzlich interessant, wenn ich hier bin, kann ich manches einfach, indem ich dorthin gehe, wo derjenige ist, mit dem ich was regeln will, bevor ich jetzt wieder eine Mail schreibe. Da schreibt man dann wieder zurück, weil dann kann man den gerade nicht erreichen. Ich sehe ihn ja hier, er ist da, störe ihn nicht, wir besprechen das schnell und die Sache ist erledigt. Oder ich rufe an. Also dieses Direkte, der direkte Kontakt. Dann aber auch zu sehen, wie der andere schaut, wenn man spricht. Also die Reaktionen besser wahrnehmen zu können, das führt auch zu ganz anderen Prozessen. Wir hatten gestern gerade einen langen Termin, auch in der Geschäftsführung, Spiegelungsrunde, also Reflektionsrunde. Das kann ich mir überhaupt nicht am Bildschirm vorstellen. Es gibt auch viele andere Themen, wo man doch sehr viel vertiefend miteinander sich austauschen möchte, die dringend Präsenz erwarten. Ich mache auch meine Kulturseminare nur in Präsenz, zum Beispiel.

 

Rainer Münch: Haben Sie Verständnis für die Perspektive der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen?

 

Götz Rehn: Tiefstes Verständnis. Na klar. Es ist halt einfach die Frage: Was steht im Fokus? Für mich als Unternehmer steht das Unternehmen im Fokus, und viele haben eben ihr privates Umfeld, haben sich durch Corona da auch gewisse Gewohnheiten heranentwickelt und versuchen halt auch, ihren privaten Kontext zu optimieren. Und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich denke aber, dass es auch für die Entwicklung der Einzelnen sehr-- ich meine, die sind ja schon auch hier -, aber dass es sehr hilfreich sein kann, im Miteinander, also live sich auszutauschen. Also ich denke, das hat, das ist auch ein wichtiger Entwicklungsfaktor, also die persönliche Begegnung mit allem, was dazu gehört.

 

Rainer Münch: Herr Rehn, ich möchte Sie nun noch mit einer moralischen Frage konfrontieren. Alnatura setzt sich ja mit großer Leidenschaft für nachhaltige Produkte ein und das zu Standards deutlich über dem gesetzlich geforderten Maß. Zugleich hat die Qualität bei aller Preiswürdigkeit auch ihren Preis und ist damit für Teile der Gesellschaft vermutlich nicht erschwinglich. Sehen Sie Alnatura daher als ein Angebot für Besserverdiener?

 

Götz Rehn: Nein. Schon vom ersten Tag an, im ersten Laden in Mannheim, habe ich erkannt, wie wichtig es ist, dass jeder, der möchte, bei uns einkaufen kann. Ich habe damals mit glatten Preisen gearbeitet. Ist vielleicht ganz interessant. Es kostet nicht eins neunundneunzig, sondern zwei Euro oder zwei D-Mark, Entschuldigung. Die erste Erkenntnis war: Das geht gar nicht, das geht gegen die Gewohnheiten. Also ich habe in der ganzen Nacht alles umgezeichnet auf 1,99 oder 99 Cent. Die zweite Beobachtung war, dass einige Studenten in den Laden in Mannheim kamen und sagten: "Das ist zu teuer." Ich sage: "Okay, in einer Woche können Sie in jedem Warenbereich ein Produkt finden, was wir zum Sparpreis anbieten." Also das war die Philosophie. Das ist heute bei uns in den Märkten Prima! Alnatura. Das ist wirklich mehr als günstig. Ansonsten haben wir ja die Philosophie, dass möglichst viele Menschen Alnatura kaufen können sollten. Das hat zur Konsequenz gehabt, dass wir im Preis immer sehr, sehr günstig waren. Und heute ist es so, nach Corona interessanterweise, dass alle Alnatura Markenprodukte zwischen zehn oder nahezu alle, muss man vorsichtig sein, die meisten Alnatura Markenprodukten zwischen zehn und 20 Prozent günstiger sind, günstiger sind als konventionelle Lebensmittel. Also eine Haferflocke 500 Gramm von Alnatura kostet eins 1,29, die von einem großen Hersteller aus Köln kosten 1,59, 1,69. Und das ist, glaube ich auch wichtig und auch ein Merkmal von Alnatura, dass wir für viele Menschen da sind. Und wenn Sie heute in einen Markt von uns gehen würden, sehen Sie ganz, ganz unterschiedliche Einkommensgruppen, die bei uns einkaufen. Und vielleicht noch eine Anekdote, die ich beobachtet habe, dass alle Taxifahrer, mit denen ich unterwegs bin, davon mindestens 60 Prozent bei Alnatura einkaufen. War ich überrascht.

 

Rainer Münch: Sehen Sie da noch viel Potenzial auch in die Richtung für Alnatura, sozusagen da die Gesellschaft noch breiter zu erreichen? Oder sagen Sie, Sie sind da in der Mitte angekommen und es gibt jetzt eigentlich da keine Schwellen mehr, auch vielleicht für Menschen, die glauben, Alnatura könnte zu teuer für sie sein?

 

Götz Rehn: Der Punkt ist ganz wichtig: Viele Menschen glauben immer noch, Bio schmeckt nicht. Bio ist eher teuer und es bewirkt auch nicht viel und sie sind unsicher, ob es überhaupt sicher ist. Das wird von gewissen Kreisen auch genährt. Und insofern ist das schon eine Herausforderung. Aber diejenigen, die uns dann kennenlernen, die bei uns mal eingekauft haben, die die Weißwürste probiert haben oder aktuell die Erdbeeren oder die Spargel oder was auch immer, der Geschmack überzeugt, sage ich mal. Und das ist, glaube ich, auch dann sehr nachhaltig. Und insofern bin ich der Auffassung, nicht nur wegen des Geschmacks, sondern wegen des ganzen Konzeptes und dem, was wir im Moment erleben, dass wir die Zukunft vor uns haben. Also ich glaube, dass die Entwicklung von Alnatura weiterhin sehr, sehr positiv sein wird und dass wir noch viele, viele neue Kunden erreichen werden. Wir wollen auch in den nächsten Monaten und auch in Zukunft deutlich mehr Alnatura Super Natur Märkte eröffnen, weil eben die Nachfrage, zumindest nach unseren Bioprodukten, sehr groß ist.

 

Rainer Münch: Was ist Ihre Vision? Wo steht Alnatura 2050?

 

Götz Rehn: Ja, das ist ein Unternehmen, was vermutlich dreimal so groß ist als heute oder zweieinhalb Mal so groß, das in Deutschland ein doch breites Netz an Alnatura Super Natur Märkten hat und das mit seinen Markenprodukten nicht nur wie jetzt schwerpunktmäßig Deutschland, Österreich und Schweiz, sondern auch in anderen europäischen Ländern, ich denke zum Beispiel an Frankreich, viel breiter vertreten ist.

 

Rainer Münch: Ich habe Sie dann auch gebeten, sich auseinanderzusetzen mit den Fragen von Max Frisch. Und Sie haben sich ausgewählt die Frage: Halten Sie die Natur für einen Freund? Warum haben Sie sich für diese Frage entschieden und was ist Ihre Antwort darauf?

 

Götz Rehn: Ja, es liegt nahe. Alnatura ist sinnvoll für Mensch und Erde oder Natur, und für mich ist deshalb die Wahl auf diesen Satz gefallen, weil ich beobachte, dass wir in unserer Gesellschaft die Natur leider nicht freundschaftlich behandeln, obwohl die Natur zu uns sehr freundschaftlich ist und es an für sich heute darum gehen müsste, nicht nur die Natur vor dem Menschen zu beschützen. Das ist die Aufgabe des Natur- und Umweltschutzes und Klimaschutzes. Also wir beschützen ja nicht die Natur, sondern wir beschützen die Natur vor uns selber. Es ist ja eine etwas schizophrene Situation. Sondern dass wir weiterkommen in der Form, dass wir sagen, wir sind freundlich zu der Natur. Er ist unser Freund, er ist unser allerbester Freund, ist auch existenziell unser Freund. Und dass wir aus dieser Freundschaft heraus versuchen, die Natur in ihrer Entwicklung zu fördern. Und das tut eben der Biolandbau, indem er Humus aufbaut, Artenvielfalt unterstützt, den Wasserhaushalt verbessert, CO₂ bindet. Und insofern hoffe ich, dass noch viele Menschen das unterstützen, damit die Freundschaft von der Natur erlebt werden kann.

 

Rainer Münch: Haben Sie den Eindruck, dass wir als Gesellschaft da auf einem guten und auf dem richtigen Weg sind?

 

Götz Rehn: Nein, wir sind nicht auf einem guten Weg und es wäre auch nicht nötig, auf dem Weg zu sein. Das ist ja diese Diskrepanz zwischen Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz und Naturschutz. Das ist ja in meinen Augen etwas, was wir überwinden können. Und das versuche ich ja mit Alnatura zu zeigen. Alles das, was ich ja angesprochen habe. Und das ist die Aufgabe in Zukunft. Und das ist sinnvolles Handeln, sich so zu verhalten, dass es der Natur besser geht und dass die Produkte und Dienstleistungen daraus hervorgehen, die uns Menschen tatsächlich dienen, ohne der Natur und oder sogar dem Menschen zu schaden.

 

Rainer Münch: Gibt es Dinge, die Ihnen diesbezüglich Hoffnung machen, jenseits von Alnatura?

 

Götz Rehn: Ja, ich finde, es gibt viele Initiativen der unterschiedlichsten Art, oft kleine, im Verborgenen. Wenn ich an die ganzen Biobauern denke und Bäuerinnen als Beispiel oder auch andere Handwerksbetriebe, die schon auch auf diesem Weg tätig sind. Also man ist da nicht allein, sonst könnte man es ja auch gar nicht tun. Und ganz besonders bin ich aber zuversichtlich, weil ich eben feststelle, dass immer mehr Menschen bei uns Kundinnen und Kunden werden. Und das zeigt ja, dass ein Sinn für, sagen wir mal, eine sinnvolle Lebensweise sich doch mehr und mehr durchsetzt. Also ich bin zutiefst optimistisch.

 

Rainer Münch: Lieber Herr Rehn, diese Zuversicht ist ein sehr schöner Abschluss unseres Gesprächs. Es hat mich sehr gefreut, dass Sie Gast waren bei Purpose versus Profit und bis zum nächsten Mal.

 

Götz Rehn: Ja, vielen Dank für Ihre Zeit und die interessanten Fragen und bis ein andermal.

(Das Gespräch wurde aufgezeichnet am 30. April 2025)

    In der aktuellen Folge ist Professor Dr. Götz Rehn zu Gast, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Alnatura. Das Gespräch beginnt im Ruhrgebiet und führt über Vorbilder im Leben schließlich zur Sozialorganik, der Frage nach dem Sinn und zur Natur. Emotional wird Götz Rehn, wenn es um die Qualität und Erschwinglichkeit seiner Produkte geht, aber auch beim Thema Homeoffice und der Bedeutung persönlicher Begegnungen.

    Das Gespräch wurde aufgezeichnet am 30. April 2025.

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    Rainer Münch: Willkommen bei Purpose versus Profit. Ich bin Rainer Münch und ich unterhalte mich hier mit meinen Gästen über die Werteorientierung im Geschäftsleben. Mein heutiger Gast ist Professor Dr. Götz Rehn, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Alnatura. Zur Aufnahme bin ich am vollkommen nachhaltig gestalteten Alnatura Campus in Darmstadt zu Gast. Unser Gespräch beginnt dann im Ruhrgebiet und führt über Vorbilder im Leben schließlich zur Sozialorganik, der Frage nach dem Sinn und zur Natur. Es ist bemerkenswert, wie alle Aspekte des Alnatura Geschäftsmodells durchdacht sind und wie sie ineinandergreifen. Emotional wird Götz Rehn, wenn es um die Qualität und Erschwinglichkeit seiner Produkte geht, aber auch beim Stichwort Homeoffice und der Bedeutung persönlicher Begegnung. Und nun viel Spaß mit der heutigen Folge. Seine ersten fünf Berufsjahre hat Götz Rehn bei Nestlé verbracht, bevor er dann 1984 im Alter von 34 Jahren Alnatura gründete. Alnatura, das sind aktuell 152 Super Natur Märkte und 1.400 Biolebensmittel, die europaweit in mehr als 15.000 Filialen erhältlich sind. Parallel leitet er das Institut für Sozialorganik an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft. 2021 wurde er für sein Lebenswerk mit dem deutschen Gründerpreis ausgezeichnet. Er ist Vater von zwei Kindern. Seine liebsten Hobbys Fahrradfahren, Skifahren und Segeln haben eines gemeinsam: Sie sind alle an der frischen Luft. Lieber Herr Rehn, herzlich willkommen bei Purpose versus Profit.

     

    Götz Rehn: Herzlich willkommen, vielen Dank.

     

    Rainer Münch: Herr Rehn, Sie sind im Ruhrgebiet groß geworden und stammen aus einer der ältesten Chirurgenfamilien Deutschlands. Wie hat es Sie von da in den Biolebensmittelhandel nach Darmstadt verschlagen?

     

    Götz Rehn: Das ist eine lange Reise. Ich versuche, es kurz und verständlich zu beantworten. Ich bin mit zwölf Jahren aus Freiburg ins Ruhrgebiet nach Bochum gekommen. Das war 1962. Damals war das Ruhrgebiet in der Zusammenbruchsituation. Arbeitslosigkeit, traurige Menschen, zerstörte Städte in gewisser Hinsicht, sehr viel Schmutz. Und das hat mich sehr beschäftigt in der ganzen Schulzeit und ich habe mich immer wieder mehr oder minder ausführlich mit der Frage beschäftigt: Ist das Wirtschaft? Oder muss Wirtschaft so sein? Oder könnte es nicht doch anders möglich sein, dass Wirtschaft wirklich dem Menschen dient? Und irgendwann habe ich mich dann entschieden, das auszuprobieren und ein Modell zu versuchen. Der Weg dorthin war lang und beschwerlich. Ich habe nach dem Studium der Volkswirtschaft und Promotion in Organisations- und über Organisationsentwicklung fünf Jahre bei Nestlé gearbeitet und parallel das Alnatura-Modell entwickelt.

     

    Rainer Münch: Wie würden Sie denn Ihren Wertekanon und den Nordstern für Ihr Handeln beschreiben?

     

    Götz Rehn: Für mich ist der Begriff Werte herausfordernd, weil er etwas mit Bekenntnis zu tun hat. Ich kritisiere das nicht, aber für mich persönlich ist es wichtig, dass das, was ich tue, dass ich das erkannt habe, also dass mir etwas bewusst ist, dass ich es einsehen kann und dann halte ich mich auch daran. Beispiel: Als ich dann vor über 40 Jahren mit Alnatura begonnen habe, gab es ja keinerlei rechtliche Vorgaben für das, was Bio ist. Das war in keiner Weise geregelt und für mich war von Anfang an klar: Bio bei Alnatura ist 100 Prozent Bio-Rohstoffe im Produkt. Das erwarten die Kunden. Die EU-Verordnung, die ja bis heute gültig ist, verlangt 95 Prozent. Das zeigt ganz deutlich, egal um was es geht bei uns, wir versuchen, unsere Produkte, unsere Märkte, die Gehäuse, in denen wir leben und arbeiten, so zu gestalten, dass sie eben bestmöglich nachhaltig sind.

     

    Rainer Münch: Was war damals die Motivation für Sie zu sagen, 95 Prozent genügt mir nicht? Wir machen 100.

     

    Götz Rehn: Ja, die Erkenntnis, dass wenn man biologische Lebensmittel aus Biolandbau anbietet, man natürlich konsequent sein sollte, weil die Kundinnen und Kunden erwarten – und das hatte ich sie natürlich schon gefragt, die Kunden und Kundinnen – die erwarten das. Und da die Produkte aus der Agrarindustrie ja etwas ganz anderes sind und eventuell auch mit Rückständen belastet sind, kam das natürlich überhaupt nicht infrage, beide Rohstoffe miteinander zu verquicken.

     

    Rainer Münch: Wenn Sie Ihre Haltung, die Sie heute haben und Ihre Überzeugungen mit denen vergleichen von vor 40 Jahren, hat sich da viel verändert? Ist es, ist es eine Transformation, die Sie da auch persönlich erlebt haben? Oder sagen Sie: "Nee, das ist eigentlich immer noch, die Haltung hat sich nicht verändert."?

     

    Götz Rehn: Die Grundeinstellung, dass wir unsere Welt nur zum Segen der Menschen, auch mithilfe der Natur weiterentwickeln können, dass das nur auf Basis einer vierten Dimension sozusagen möglich ist, also aus einer Sinnbestimmung heraus, die hat sich nicht geändert. Allerdings hat sich natürlich die Begründung verändert, die Vielfalt der Anwendungen verändert, aber diese Grundhaltung, dass wir den Materialismus an der Stelle überwinden sollten durch Ergänzung, wir wollen ja nicht auflösen, dann könnten wir nicht mehr existieren. Es geht ja nicht um Sozialromantik oder so etwas. Aber dass wir es ergänzen müssen, das, was Sie vielleicht als Werte beschreiben und wirklich aus dem Bewusstsein heraus tätig zu sein, das ist das, was geblieben ist. Und ich denke, das wird auch bleiben.

     

    Rainer Münch: In unserem Vorgespräch haben Sie einige Menschen genannt, die Ihren Lebensweg geprägt haben, unter anderem Alfred Rexroth und Herbert Witzenmann. Wie würden Sie diesen Einfluss beschreiben und haben Sie heute noch Vorbilder?

     

    Götz Rehn: Ja, es gibt viele Menschen, deren Werke von höchstem Interesse sind, die ja schon lange verstorben sind. Da können Sie einen Goethe nehmen, einen Schiller nehmen und viele, viele andere. Auch Rudolf Steiner hat mich sehr, sehr intensiv begleitet. Die beiden, die Sie ansprechen, sind insofern interessant, ganz unterschiedlich. Alfred Rexroth, beides Unternehmer, Alfred Rexroth, in Lohr am Main, eine Kokillengießerei, Hydraulik, Gussteile. Dort hatte ich als siebzehnjähriger Schüler ein Industriepraktikum gemacht in der Kokillengießerei, 3 Wochen, 45 Grad Arbeitstemperatur. Eine Pfanne wog 70 Kilo, die haben wir zu zweit getragen. Also der andere Herr war etwas kräftiger als ich. Das hat mich sehr geprägt, dieses Arbeitsleben, diese Eindrücke. Und dann wurde ich nach dem Abitur zufällig, wie das manchmal so ist, eingeladen, mit einem Herrn, der bei Rexroth arbeitete, verschiedene kleine Unternehmerinnen zu besuchen, die zugearbeitet haben, die Teile hergestellt haben. Und die Art und Weise, der Herr hieß Herr Blex, wie er mit den Menschen gesprochen hat, das hat mich irgendwie sehr angesprochen. Und es war nicht nur darauf ausgerichtet, dass er jetzt besonders günstig einkaufen kann. Er war im Stil sehr angenehm. Es war etwas, was wir später dann als Organisationsentwicklung kennengelernt haben, dass es also um den Menschen und um die Wirtschaftlichkeit geht und dass es darum geht, das miteinander zu verbinden. Das war das eine Erlebnis und das hat schon mit dazu beigetragen, dann den Versuch zu wagen, in diese Richtung zu gehen. Die zweite Persönlichkeit, Herbert Witzenmann, war damals Geschäftsführer, zusammen mit seinem Bruder, der Witzenmann GmbH in Pforzheim, bis heute ein sehr erfolgreiches Unternehmen für Metallspezialschläuche. Und er war gleichzeitig für die sozialwissenschaftliche Sektion, so heißt das am Goetheanum, also der Hochschule, in Dornach bei Basel, wo man eben ja das Werk Rudolf Steiners sozusagen studieren und kennenlernen kann. Und ich bin durch einen Bekannten, flüchtigen Bekannten eingeladen worden, mitzukommen und hab diese Persönlichkeit dort erlebt und hab festgestellt, das ist ein Mensch, der meine Fragen, die ich hatte, nicht im Sinne einer flachklatschenden Antwort, sozusagen beantwortete, sondern Ansatzpunkte lieferte, wie ich durch eigene Erkenntnisbemühungen und, ja, eigene Forschung zu Ergebnissen komme, die für mich dann erkannt und individuell geklärt sind. Und das war eine ganz intensive Zusammenarbeit, es war natürlich auch, sagen wir hilfreich, weil er im Wirtschaftsleben beheimatet war, das für ihn nicht fremd war. Und ich habe viele Themen, bis hin sogar zur Gestaltung der Farben, der Alnatura Super Natur Märkte, die ja aubergine und hellgrün sind, mit ihm bewegt. Also das war eine Persönlichkeit, die mich da sehr begleitet hat.

     

    Rainer Münch: Achten Sie stark darauf, dass innerhalb des Unternehmens, innerhalb Alnatura Führungskräfte Vorbilder sind? Und wie machen Sie das?

     

    Götz Rehn: Also ich versuche, die menschengerecht und aufgabenadäquat und ja, präzise und auch sorgfältig, vielleicht auch manchmal etwas zu gütig, aus meiner Sicht, mit den Kolleginnen und Kollegen gemeinsam das Unternehmen zu gestalten. Nun sind wir ein großes Unternehmen mit 3.600 Kolleginnen und Kollegen. Da kann man natürlich nicht mehr mit jedem sprechen. Und es sind natürlich ganz unterschiedliche Gremien, in denen man mitwirkt. Aber ich versuche schon zu zeigen, was wichtig ist und auch in Einzelfällen deutlich zu machen, wie ein anderes Denken dann auch zu anderen Ergebnissen führt. Also mehr über die inhaltliche Begleitung.

     

    Rainer Münch: Jetzt ist der Titel des Podcasts "Purpose versus Profit", also ein gewisses Spannungsfeld zwischen einer Purpose- und einer Profitorientierung. Wie blicken Sie auf dieses Spannungsfeld? Und gibt's Situationen, wo Sie schon mal sagen mussten schweren Herzens, jetzt muss ich mich für den Profit entscheiden, wir können uns an der Stelle den Purpose nicht leisten?

     

    Götz Rehn: Es ist ja mein Lebensthema, diese zwei Begriffe, wobei ich eben damals den Begriff des Sinns anstelle von Purpose gewählt habe. Warum? Purpose heißt ja Zweck und sicher ein erweiterter Zweck, also nicht nur ein wirtschaftlicher Zweck. Das ist sicher das Neue daran. Aber es ist doch im gesamten wirtschaftlichen Kontext verankert. Das konnte man jetzt auch in den letzten Monaten beobachten. Wenn dann neue Forderungen kommen, dann werden auch die Ziele eines Unternehmens etwas angepasst. Das gäbe es bei uns nie. Und der Sinn geht eben über diese physische Sichtweise hinaus. Sinn ist für uns etwas, deswegen habe ich das vorhin auch vierte Dimension genannt, wo wir das Ökonomische, Ökologische und Soziale, das sind ja die drei Nachhaltigkeitskriterien, um die vierte Dimension erweitern. Nur eine vierte Dimension gibt es ja gar nicht im Physischen. Insofern schon ein Hinweis darauf, es geht um eine geistige Bestimmung, es geht um ein Menschenbild, es geht um ein Weltbild. Und aus diesem Sinn heraus tätig zu sein, des jeweiligen Gegenstands, auf das sich meine Handlung bezieht, bedeutet ja, dass ich's erkennen muss. Also wenn ich sozusagen eine Karotte richtig anbauen möchte, muss ich kapieren, was ist eine Karotte, was braucht die für einen Boden und so weiter. Und dann bekomme ich auch die beste Karotte. Verzichte natürlich im Biolandbau auf sämtlichen Kunstdünger und sämtliche Herbizide, Fungizide und was es da sonst noch so gibt. Wenn ich das, sagen wir mal zur Philosophie eines Unternehmens mache, dann bedeutet das natürlich, erst die Qualität und dann der Preis. So ist auch unsere Mission: beste Qualität in ästhetischer Anmut zum günstigsten Preis. Aber die beste Qualität wird gestützt durch die Vision „Sinnvoll für Mensch und Erde“. Und wie stellen wir das sicher, um das auch konkret zu machen? Weil das kann man ja alles so schön behaupten. Ich hab vom ersten Tag an einen Arbeitskreis Qualität mit Fachleuten der verschiedensten Disziplinen, die eben ernährungsrelevant sind, ins Leben gerufen, der frei von uns ist. Da werden nur die Fahrtkosten ersetzt und jedes Produkt, wo Alnatura draufsteht, geht in diesen Arbeitskreis und die entscheiden dann, ob wir das Produkt so machen können in den Rezepturen, ob wir überhaupt das Produkt machen können, ob wir es so verpacken dürfen. Ich hatte gerade heute Morgen wieder ein Gespräch dazu, weil eine Kollegin etwas traurig war, dass ein gewisses Produkt nicht möglich ist. Also die sagen auch wirklich nein und das zeigt, dass es uns da sehr ernst ist. Jetzt sprechen Sie ja zu Recht dieses Dilemma an. Das ist ja etwas provokant, aber natürlich bewegt man sich immer zwischen auf der einen Seite der Wirtschaftlichkeit, möchte ich mal sagen, und auf der anderen Seite bei uns jetzt der Sinnhaftigkeit. Und ich versuche, dieser Spannung dadurch zu entkommen - die Felder sind ganz verschieden - dass ich auf der einen Seite diese Qualitätsseite überall absichere durch klare Grundsätze oder Gremien und auf der anderen Seite eine gewisse Beweglichkeit habe und das Ganze, ich erkläre es gleich, in einem Rahmen, der sozusagen ja nicht wirtschaftlich bestimmend ist. Das heißt, wir kommen mit einer Umsatzrendite um die anderthalb, zwei Prozent aus. Mehr brauchen wir nicht. Wenn wir bessere Situationen haben, dann investieren wir das in die Preise. Und wenn es Spannungen gibt, zum Beispiel wir haben ein definiertes Produkt und wir wollen das im Handel gelistet sehen und der Handel sagt: "Ja, der Einkaufs- und der Verkaufspreis, das passt nicht", dann versuchen wir im Gespräch miteinander auszuloten, könnte es denn möglich sein, wenn wir mit dem Preis und dem Verkaufspreis etwas runtergehen, dass sie dann erheblich mehr Menge abnehmen? Also wir würden nicht die Qualität ändern, aber wir versuchen einfach deutlich zu machen, also an der Qualität kann man nichts ändern. Aber finden wir andere Wege? Es sind Umwege. Wenn es um sehr grundsätzliche Fragen geht, gehe ich keine Kompromisse ein. Also ich war schon in Situationen, wo es hätte sein können, dass das Unternehmen nicht mehr existieren würde. Aber von meinen Grundsätzen werde ich nicht abweichen. Also solange ich das führe, wird das so sein.

     

    Rainer Münch: Mhm.

     

    Götz Rehn: Das ist auch das, glaube ich, was uns zu dem gemacht hat, was Alnatura heute ist. Wir sind ja die beliebteste Lebensmittelmarke und der beliebteste Lebensmittelmarkt inzwischen, was ja im Vergleich unserer Größe zu den großen Mitbewerbern im Markt, glaube ich zeigt, dass es uns immer besser gelingt, wirklich von den Kunden erlebt zu werden.

     

    Rainer Münch: Jetzt haben Sie die Sinnfrage angesprochen, die Kernfrage, die vierte Dimension. Das ist ja auch ein Thema und eine Frage, die Sie an Ihrem Institut für Sozialorganik vertiefen. Wie kam es zu dem Institut und was sind die Impulse für Unternehmenslenker, die Sie daraus ableiten können?

     

    Götz Rehn: Also wie kam es zum Institut? Ich kriegte Besuch von einem Professor von der Alanus Hochschule, der damals auch Rektor war. Und wir kannten uns aus früheren Zeiten. Wir hatten uns viele, viele Jahre nicht gesehen. Und er sagte dann: "Ja, mhm, werden denn die Inhalte, die ihr jetzt bei Alnatura als Modellunternehmen ausprobiert und umsetzt, wie geht das denn weiter? Werden die auch erforscht oder spricht man darüber?" Ich sage: "Nein, an und für sich nicht." Es war zwar immer mein Ideal, dass wir da weiterkommen und er hat es dann auf den Weg gebracht, dass ich da diese Honorarprofessur bekam und auch das Institut, das aber von Spenden finanziert werden musste, weil das eine private Hochschule ist, das bis heute aber auch von Spenden der verschiedensten Unternehmen finanziert wird, also nicht von Alnatura, weil selber wollen wir uns nicht in der Form unterstützen. Und dann war die Frage als Erstes: "Was können wir für einen vernünftigen Studiengang machen?" Und meine Lebenserfahrung hat ja gezeigt, ich habe wie gesagt Volkswirtschaft studiert. Das hat sicher, ja, mein wirtschaftliches Denken unterstützt. Aber die Modelle, die wir da kennengelernt haben, die decken ja nicht die Wirklichkeit ab. Und auch teilweise in der Betriebswirtschaft, wenn das sehr nur mathematisch ist, was ja bei vielen betriebswirtschaftlichen Studiengängen der Fall ist, trifft das auch nicht alles, was man braucht, um dann vernünftig im Wirtschaftsleben und erfolgreich tätig sein zu können. Und dann haben wir einen Studiengang entwickelt unter dem Titel „Wirtschaft neu denken“, der drei Säulen hat. Die erste Säule ist Betriebswirtschaft, ergänzt um Sozialorganik. Kann ich gleich was dazu sagen. Das Zweite ist, weil es eine Kunsthochschule ist, mit den verschiedensten Disziplinen, dass die betriebswirtschaftlichen Studentinnen und Studenten Kunstprojekte auch mit angehenden Künstlern machen. Das hat einen großen Effekt. Und das Dritte ist Praxiserfahrung. Die haben nicht sehr lange Semesterferien gehabt und wenn jemand das gut macht, wir waren auch Partnerunternehmen dort, dann haben diejenigen, die dann den Abschluss gemacht haben im Bachelor, konnten schon Marktleiter sein in einer Filiale. Also, wir haben auch einige bei uns im Unternehmen, das sind wirklich, das ist eine sehr interessante Ausbildung, die ausgesprochen gut funktioniert. Und die Idee der Sozialorganik ist eben die Weiterführung der Betriebswirtschaft in der Form, dass es darum geht, wie können wir eben Unternehmen so gestalten, dass das, was dort stattfindet, noch konkreter für die Mitarbeitenden verstanden wird? Also, wir haben zum Beispiel eine Wertbildungsrechnung, da würde jetzt die Zeit nicht reichen, in einem Gegenstrommodell entwickelt. Das sehen Sie in jedem Markt, der ganz einfach auf der einen Seite vom Umsatz und Ertrag, den Sie in einem Laden machen, ausgehend und den Leistungen, die erbracht werden andererseits. Das lässt er gegeneinander laufen. Und wenn das eine höher ist als das andere, haben Sie entweder eine Entschuldung oder eine Verschuldung oder einen Gewinn und Verlust, könnte man auch sagen, und das sehr transparent und sehr hilfreich. Und so haben wir eine ganze Reihe von neuen Konzepten entwickelt, die wir im Unternehmen anwenden und dort auch forscherisch weiter vertiefen.

     

    Rainer Münch: Was nehmen Sie heute als die größten Hindernisse wahr, dass die Unternehmen sich diesem Sinn mehr zuwenden und sozusagen ihre Sinnorientierung stärken?

     

    Götz Rehn: Ich glaube, wir haben zu wenig Vertrauen in uns Menschen. Also ich meine jetzt in die möglichen Kundinnen und Kunden. Das ist das, was mich bei dem Alnatura Weg wirklich täglich, ja, begeistert, erfreut, motiviert, dass immer mehr Menschen unsere Produkte kaufen, obwohl wir sie ja gar nicht an uns binden. Wir machen ja nahezu keine Kommunikation, sondern sie verbinden sich mit uns. Was ja auch eine schöne Geste ist und zeigt, wie ernst es ist, und dass manche Unternehmen ihr Angebot ändern können, wenn sie ein größeres Vertrauen hätten. Man ist doch meistens der Auffassung, man will die Kunden so eng an der Kandarre führen oder wie von einer Marionette geführt sollen sie sich so verhalten. Wenn ich oben was ändere, dann reagieren sie unten. Das das eine. Das Zweite ist, dass es auch Wege gibt, neue Wege zu gehen. Also Möglichkeiten gibt, möchte ich sagen. Also nehmen wir mal hier das Gebäude, in dem wir sitzen. Das ist ein gutes Beispiel. Das ist ein Bürogebäude, 10.000 Quadratmeter Bürofläche. Es hat 1.700 Euro pro Quadratmeter gekostet, ist damit deutlich günstiger als jedes andere Bürogebäude. Es ist das Nachhaltigste, was es in Europa gibt im Moment. Die Wände sind aus gestampftem Lehm, 60 Zentimeter stark, aus den Abfällen der Baugrube des Bahnhofs Stuttgart 21, haben wir geschenkt bekommen, und wenn das Gebäude nicht mehr gebraucht wird, dann zerfällt der Lehm und geht wieder in die Erde zurück. Es ist für die Zusammenarbeit optimal. Wir arbeiten auf einer Fläche, es ist auch von der Akustik perfekt und ich finde, es ist auch recht schön geworden. Und das sind eben dann die vier Kriterien, um die es geht. Und das zu zeigen, ist eben unser Ansinnen und da mehr Mut zu haben, da kann ich viele Unternehmen nur, ja, ermuntern. Also, wir haben ja auch ein großes Hochregallager gebaut, um noch ein Beispiel zu erzählen, was das einzige dieser Art ganz aus Holz ist, 20 Meter hoch. Wir haben es aber auch zwei Meter in den Boden gesenkt in eine weiße, sogenannte Betonwanne, also die wasserdicht ist. Darunter fließt, das ist in Lorsch, das Grundwasser des Rheines. Und mit der Kühlung und Heizung des Rheines heizen und kühlen wird das gesamte Gebäude das ganze Jahr. Wir haben gar keinen Strombedarf oder Energieaufwand für ein solches Riesengebäude für 30.000 Europaletten. Und das ist für mich die Zukunft. Arbeiten mit der Natur und da braucht es mehr Kreativität. Also, wir brauchen Mut, wir brauchen Kreativität. Es ist nicht eine Geldfrage.

     

    Rainer Münch: Auf das Gebäude komme ich gleich noch mal zurück. Zunächst möchte ich noch mal über diese Sinnorientierung sprechen und das, was Sie auch gesagt haben, diese Prinzipien, die hinter Alnatura stehen. Jetzt ist es ja so, dass es durchaus viele Start-ups auch gibt, die etwas in die Richtung versuchen. Die versuchen, Produkte mit einem ökologischen Hintergrund, mit guter Qualität, Handarbeit, regional wirklich zu vermarkten, aufzuziehen, und ganz viele von denen scheitern und es klappt eben nicht. Haben Sie da einen Blick drauf? Was sind da häufig die Faktoren, die fehlen? Und warum hat es bei Ihnen mit Alnatura funktioniert? Und warum funktioniert es so häufig eben auch nicht? Trotz allem Mut.

     

    Götz Rehn: Ich denke, wenn wir im Wirtschaftsleben tätig sein wollen, ist es zentral, dass das, was wir tun, von den Menschen gewollt wird. Die Gefahr besteht bei vielen Pionieren, dass sie aus einem gewissen Idealismus heraus tätig sind, etwas zu tun, von dem sie meinen, dass es für die Menschen gut wäre, weil sie es für gut halten. Das ist der eine Punkt. Also es geht nicht darum, etwas sich auszudenken, sondern sozusagen herauszuerahnen aus dem, was man bei den möglichen zukünftigen Kunden beobachten kann. Das ist eine ganz andere Geste. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt. Das Zweite ist dann, dass es natürlich nicht um romantische Übungen geht, sondern wir sind im Wirtschaftsleben. Also wir kämpfen auch um jeden Cent in der Kostenseite, um unsere Produkte möglichst günstig für die Kunden zu machen. Also eine gewisse Professionalität, eine Klarheit an der Stelle ist auch dringend erforderlich. Und ich warne immer, wenn da keine Erfahrungen da sind, manche machen ja auch ein Restaurant auf oder irgendein kleines Unternehmen und sind ganz überrascht, dass sie irgendwann pleite sind, weil sie gar nicht erkannt haben, dass sie pleite sind, weil sie gar keine Beziehung zu den wirtschaftlichen Realitäten haben. Das gehört einfach dazu und für mich wäre es auch sicher nicht so gut gewesen, ohne die hervorragende Zeit bei Nestlé und die Erfahrung, die ich da sammeln konnte und was ich auch ausprobieren konnte, zu starten. Also es braucht schon auch einen wirtschaftlichen Hintergrund.

     

    Rainer Münch: Damit komme ich zurück auf das Gebäude. Ich hatte Sie ja im Vorfeld gebeten, einen Wertegegenstand mitzubringen und Sie hatten mir gesagt, wir werden darin sitzen, nämlich in diesem Lehmgebäude. Sie haben ja eben schon ein bisschen was ausgeführt, was das Gebäude darstellt und was Sie damit verbinden. War das für Sie ein lang gehegter Traum, so was zu machen? Oder war das eine relativ spontane Entscheidung, weil Sie neu bauen mussten und sich dieses Verfahren angeboten hat?

     

    Götz Rehn: Wir versuchen alles, was wir tun, bewusst zu tun. Bewusstes Tun heißt, darüber nachzudenken, bevor man handelt und dann auch während man handelt, weiter daran zu denken. Das bedeutete für uns natürlich, weil Alnatura sinnvoll für Mensch und Erde, wir müssen auch hinbekommen, Bürogebäude zu schaffen, was eben diesen Kriterien der Nachhaltigkeit, der Wirtschaftlichkeit, des Sozialen und der Ästhetik gleichermaßen entspricht. Das ist ja die Kunst, das ganzheitlich zu denken und nicht nur ein Gesichtspunkt, den wirtschaftlichen oder den künstlerischen, dann ist es manchmal wirtschaftlich überhaupt nicht mehr darstellbar und so weiter. Das Ganze ist entstanden dann in der Zusammenarbeit mit einem, ja, mit einem Freund aus Jugendzeiten, mit dem ich Seifenkistenrennen gefahren bin, den ich über ganz, ganz viele Jahre nicht gesehen hatte und der mich dann zufällig in Hamburg bei einer Ladeneröffnung, hat mir auf die Schulter getippt und ich sagte zu seinem großen Erstaunen, dass ich überhaupt noch wusste, wie er heißt, "Ah hallo, Michael." Also dieser Michael war in einem großen Konzern damals tätig und das passte dann von der Zeit sehr gut und hatte auch für dieses Unternehmen ein nachhaltiges Gebäude als Projektleiter betreut auf Geschäftsführungsebene. Und ich war damals in der schwierigen Situation, dass dm sich von Alnatura trennte und ich wirklich alle Kraft darauf lenken musste, das Unternehmen zu erhalten und hab ihn dann gefragt, ob er mir hilft. Und er hat die Projektleitung übernommen. Ich habe trotzdem noch mal nachgerechnet, 40 Tage Zeit investiert, was aber für so ein außergewöhnliches Projekt nicht viel ist. Und ich danke ihm da auch sehr, insbesondere auch dem Martin Haas von Haas Cook Zemrich. Das ist das Architekturbüro aus Stuttgart, die das konzipiert haben, weil wir sehr viel mitgewirkt haben. Also beim ersten Entwurf kamen die Architekten und hatten ja wunderschöne Entwürfe mitgebracht, aber das war nicht das, was mir vorschwebte, sondern das ist ja ein ganz einfaches Haus an und für sich, was sehr stark auch aus der Funktion heraus gestaltet ist. Und das wurde dann im Dialog mit sozusagen den Architekten und unter der Leitung von Michael von Rudloff eben entwickelt. Wir haben das sehr früh auch mit den Mitarbeitenden abgestimmt. Es gab so Resonanzgruppen, in denen die Kolleginnen und Kollegen das Ganze begleitet haben. Und ich bin, da es ja doch ganz anders war als das, was man normalerweise hat: keiner hat ein Zimmer, ich sitze auch zusammen mit anderen, klappt alles wunderbar. Aber das wusste man natürlich nicht vorher. Das merkt man erst, wenn man dann einzieht. Ich erinnere mich noch sehr, sehr gut.Also es ist schon sechs Jahre her, als wir dann im Januar hier rein sind. Wir hatten über‘s Wochenende die ganzen Arbeitsplätze umgebaut und so weiter und ich hatte schon die Luft angehalten, muss ich sagen, weil ich andere Situationen bei Büroumzügen erlebt hatte. Große Revolution, was alles schlecht ist. Es war, als ob es immer so gewesen wäre. Es hat von der ersten Minute an wunderbar funktioniert.

     

    Rainer Münch: Wie war das für Sie, hier einzuziehen?

     

    Götz Rehn: Ja, eine große Freude. Also ich wundere mich, dass überhaupt irgendjemand zu Hause arbeiten möchte. Wir haben hier ein ganz großes Gelände, fünf Hektar drumrum. Ein Teil ist Naturschutzgebiet. Wir haben auch, von uns initiiert, von der Alnatura Stiftung, einen Kindergarten, wo fünf Kindergartengruppen, 100 Kinder drin sind und 200 auf der Warteliste. Wir haben auch der Stadt angeboten – ist ein öffentlicher Waldorf-Kindergarten – wir sind bereit, weitere Kindergärten zu machen, wenn die Stadt mag, aber sie meditiert noch darüber. Das ist ja leider in unserer Gesellschaft meistens das Phänomen, dass wir nicht in die Gänge kommen bei solchen Themen. Ja, und dieses Gelände bietet sich sehr an und es ist herrlich, hier zu arbeiten. Wir haben eine sehr, sehr gute Luft, weil wir von außerhalb, da ist ein größeres Waldstück, da holen wir die Luft in mannshohen Kanälen unterirdisch hier ins Gebäude. Wir haben keinerlei andere Klimatisierung und haben, auch wenn's draußen 40 Grad hat, hier sehr gute Temperaturen. Die Lehmwände sind enorm, was sie da auch liefern und spülen das Gebäude nachts sozusagen mit der kühlen Waldluft durch. Und alle sagen, es ist doch erstaunlich gute Luft, auch gute Akustik. Also es ist wirklich sehr, sehr gelungen. Wir haben auch viele, viele Preise gewonnen, auch die Architekten. Und trotzdem habe ich jetzt nirgendwo Vergleichbares je wieder gesehen. Das ist auch wieder ein interessantes Phänomen. Insofern könnte man vielleicht noch hinzufügen, also selbst wenn's dann positive Beispiele gibt, dann bräuchte man vielleicht nicht so viel Mut, um diesen Weg zu gehen. Also man muss halt auch aus seiner Bequemlichkeit raus. Man muss die bestehenden Regeln überwinden wollen. Es ist vieles hier überhaupt nicht so, wie das Baurecht das vielleicht zunächst verlangen würde. Also die Breite, die Tiefe des Gebäudes ist doppelt so hoch wie normal, so lang. Und das geht nur, indem alle Räume gesprinklert sind. Also überall an den Decken sind diese Rohre weiß gestrichen. Das ist jetzt nicht das Schönste, aber so ist es dann halt. Da muss man dann halt auch Kompromisse eingehen.

     

    Rainer Münch: Sie haben es in Ihren Ausführungen angeschnitten. Das Thema Präsenz in den Büros ist ja auch eine immer noch aktuelle Debatte, wo der Weg da hinführt. Wie blicken Sie da drauf?

     

    Götz Rehn: Meine Beobachtung ist, dass Zusammenarbeit am besten in Präsenz funktioniert. Sie geht besonders reibungslos. Sie ist sehr sparsam, weil ich eben in kurzer Zeit sehr viel erledigen kann. Es kommt zu weniger Missverständnissen. Es ist koordinierter. Es ist auch vergnüglicher, muss ich sagen. Ich sitze ja auch manchmal an, in solchen Videokonferenzen und man versteht manchmal nicht gut, wechselseitig, also nicht nur akustisch, sondern auch sonst. Es gibt viele, auch immer wieder technische Probleme, und ich finde es eben auch zusätzlich interessant, wenn ich hier bin, kann ich manches einfach, indem ich dorthin gehe, wo derjenige ist, mit dem ich was regeln will, bevor ich jetzt wieder eine Mail schreibe. Da schreibt man dann wieder zurück, weil dann kann man den gerade nicht erreichen. Ich sehe ihn ja hier, er ist da, störe ihn nicht, wir besprechen das schnell und die Sache ist erledigt. Oder ich rufe an. Also dieses Direkte, der direkte Kontakt. Dann aber auch zu sehen, wie der andere schaut, wenn man spricht. Also die Reaktionen besser wahrnehmen zu können, das führt auch zu ganz anderen Prozessen. Wir hatten gestern gerade einen langen Termin, auch in der Geschäftsführung, Spiegelungsrunde, also Reflektionsrunde. Das kann ich mir überhaupt nicht am Bildschirm vorstellen. Es gibt auch viele andere Themen, wo man doch sehr viel vertiefend miteinander sich austauschen möchte, die dringend Präsenz erwarten. Ich mache auch meine Kulturseminare nur in Präsenz, zum Beispiel.

     

    Rainer Münch: Haben Sie Verständnis für die Perspektive der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen?

     

    Götz Rehn: Tiefstes Verständnis. Na klar. Es ist halt einfach die Frage: Was steht im Fokus? Für mich als Unternehmer steht das Unternehmen im Fokus, und viele haben eben ihr privates Umfeld, haben sich durch Corona da auch gewisse Gewohnheiten heranentwickelt und versuchen halt auch, ihren privaten Kontext zu optimieren. Und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich denke aber, dass es auch für die Entwicklung der Einzelnen sehr-- ich meine, die sind ja schon auch hier -, aber dass es sehr hilfreich sein kann, im Miteinander, also live sich auszutauschen. Also ich denke, das hat, das ist auch ein wichtiger Entwicklungsfaktor, also die persönliche Begegnung mit allem, was dazu gehört.

     

    Rainer Münch: Herr Rehn, ich möchte Sie nun noch mit einer moralischen Frage konfrontieren. Alnatura setzt sich ja mit großer Leidenschaft für nachhaltige Produkte ein und das zu Standards deutlich über dem gesetzlich geforderten Maß. Zugleich hat die Qualität bei aller Preiswürdigkeit auch ihren Preis und ist damit für Teile der Gesellschaft vermutlich nicht erschwinglich. Sehen Sie Alnatura daher als ein Angebot für Besserverdiener?

     

    Götz Rehn: Nein. Schon vom ersten Tag an, im ersten Laden in Mannheim, habe ich erkannt, wie wichtig es ist, dass jeder, der möchte, bei uns einkaufen kann. Ich habe damals mit glatten Preisen gearbeitet. Ist vielleicht ganz interessant. Es kostet nicht eins neunundneunzig, sondern zwei Euro oder zwei D-Mark, Entschuldigung. Die erste Erkenntnis war: Das geht gar nicht, das geht gegen die Gewohnheiten. Also ich habe in der ganzen Nacht alles umgezeichnet auf 1,99 oder 99 Cent. Die zweite Beobachtung war, dass einige Studenten in den Laden in Mannheim kamen und sagten: "Das ist zu teuer." Ich sage: "Okay, in einer Woche können Sie in jedem Warenbereich ein Produkt finden, was wir zum Sparpreis anbieten." Also das war die Philosophie. Das ist heute bei uns in den Märkten Prima! Alnatura. Das ist wirklich mehr als günstig. Ansonsten haben wir ja die Philosophie, dass möglichst viele Menschen Alnatura kaufen können sollten. Das hat zur Konsequenz gehabt, dass wir im Preis immer sehr, sehr günstig waren. Und heute ist es so, nach Corona interessanterweise, dass alle Alnatura Markenprodukte zwischen zehn oder nahezu alle, muss man vorsichtig sein, die meisten Alnatura Markenprodukten zwischen zehn und 20 Prozent günstiger sind, günstiger sind als konventionelle Lebensmittel. Also eine Haferflocke 500 Gramm von Alnatura kostet eins 1,29, die von einem großen Hersteller aus Köln kosten 1,59, 1,69. Und das ist, glaube ich auch wichtig und auch ein Merkmal von Alnatura, dass wir für viele Menschen da sind. Und wenn Sie heute in einen Markt von uns gehen würden, sehen Sie ganz, ganz unterschiedliche Einkommensgruppen, die bei uns einkaufen. Und vielleicht noch eine Anekdote, die ich beobachtet habe, dass alle Taxifahrer, mit denen ich unterwegs bin, davon mindestens 60 Prozent bei Alnatura einkaufen. War ich überrascht.

     

    Rainer Münch: Sehen Sie da noch viel Potenzial auch in die Richtung für Alnatura, sozusagen da die Gesellschaft noch breiter zu erreichen? Oder sagen Sie, Sie sind da in der Mitte angekommen und es gibt jetzt eigentlich da keine Schwellen mehr, auch vielleicht für Menschen, die glauben, Alnatura könnte zu teuer für sie sein?

     

    Götz Rehn: Der Punkt ist ganz wichtig: Viele Menschen glauben immer noch, Bio schmeckt nicht. Bio ist eher teuer und es bewirkt auch nicht viel und sie sind unsicher, ob es überhaupt sicher ist. Das wird von gewissen Kreisen auch genährt. Und insofern ist das schon eine Herausforderung. Aber diejenigen, die uns dann kennenlernen, die bei uns mal eingekauft haben, die die Weißwürste probiert haben oder aktuell die Erdbeeren oder die Spargel oder was auch immer, der Geschmack überzeugt, sage ich mal. Und das ist, glaube ich, auch dann sehr nachhaltig. Und insofern bin ich der Auffassung, nicht nur wegen des Geschmacks, sondern wegen des ganzen Konzeptes und dem, was wir im Moment erleben, dass wir die Zukunft vor uns haben. Also ich glaube, dass die Entwicklung von Alnatura weiterhin sehr, sehr positiv sein wird und dass wir noch viele, viele neue Kunden erreichen werden. Wir wollen auch in den nächsten Monaten und auch in Zukunft deutlich mehr Alnatura Super Natur Märkte eröffnen, weil eben die Nachfrage, zumindest nach unseren Bioprodukten, sehr groß ist.

     

    Rainer Münch: Was ist Ihre Vision? Wo steht Alnatura 2050?

     

    Götz Rehn: Ja, das ist ein Unternehmen, was vermutlich dreimal so groß ist als heute oder zweieinhalb Mal so groß, das in Deutschland ein doch breites Netz an Alnatura Super Natur Märkten hat und das mit seinen Markenprodukten nicht nur wie jetzt schwerpunktmäßig Deutschland, Österreich und Schweiz, sondern auch in anderen europäischen Ländern, ich denke zum Beispiel an Frankreich, viel breiter vertreten ist.

     

    Rainer Münch: Ich habe Sie dann auch gebeten, sich auseinanderzusetzen mit den Fragen von Max Frisch. Und Sie haben sich ausgewählt die Frage: Halten Sie die Natur für einen Freund? Warum haben Sie sich für diese Frage entschieden und was ist Ihre Antwort darauf?

     

    Götz Rehn: Ja, es liegt nahe. Alnatura ist sinnvoll für Mensch und Erde oder Natur, und für mich ist deshalb die Wahl auf diesen Satz gefallen, weil ich beobachte, dass wir in unserer Gesellschaft die Natur leider nicht freundschaftlich behandeln, obwohl die Natur zu uns sehr freundschaftlich ist und es an für sich heute darum gehen müsste, nicht nur die Natur vor dem Menschen zu beschützen. Das ist die Aufgabe des Natur- und Umweltschutzes und Klimaschutzes. Also wir beschützen ja nicht die Natur, sondern wir beschützen die Natur vor uns selber. Es ist ja eine etwas schizophrene Situation. Sondern dass wir weiterkommen in der Form, dass wir sagen, wir sind freundlich zu der Natur. Er ist unser Freund, er ist unser allerbester Freund, ist auch existenziell unser Freund. Und dass wir aus dieser Freundschaft heraus versuchen, die Natur in ihrer Entwicklung zu fördern. Und das tut eben der Biolandbau, indem er Humus aufbaut, Artenvielfalt unterstützt, den Wasserhaushalt verbessert, CO₂ bindet. Und insofern hoffe ich, dass noch viele Menschen das unterstützen, damit die Freundschaft von der Natur erlebt werden kann.

     

    Rainer Münch: Haben Sie den Eindruck, dass wir als Gesellschaft da auf einem guten und auf dem richtigen Weg sind?

     

    Götz Rehn: Nein, wir sind nicht auf einem guten Weg und es wäre auch nicht nötig, auf dem Weg zu sein. Das ist ja diese Diskrepanz zwischen Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz und Naturschutz. Das ist ja in meinen Augen etwas, was wir überwinden können. Und das versuche ich ja mit Alnatura zu zeigen. Alles das, was ich ja angesprochen habe. Und das ist die Aufgabe in Zukunft. Und das ist sinnvolles Handeln, sich so zu verhalten, dass es der Natur besser geht und dass die Produkte und Dienstleistungen daraus hervorgehen, die uns Menschen tatsächlich dienen, ohne der Natur und oder sogar dem Menschen zu schaden.

     

    Rainer Münch: Gibt es Dinge, die Ihnen diesbezüglich Hoffnung machen, jenseits von Alnatura?

     

    Götz Rehn: Ja, ich finde, es gibt viele Initiativen der unterschiedlichsten Art, oft kleine, im Verborgenen. Wenn ich an die ganzen Biobauern denke und Bäuerinnen als Beispiel oder auch andere Handwerksbetriebe, die schon auch auf diesem Weg tätig sind. Also man ist da nicht allein, sonst könnte man es ja auch gar nicht tun. Und ganz besonders bin ich aber zuversichtlich, weil ich eben feststelle, dass immer mehr Menschen bei uns Kundinnen und Kunden werden. Und das zeigt ja, dass ein Sinn für, sagen wir mal, eine sinnvolle Lebensweise sich doch mehr und mehr durchsetzt. Also ich bin zutiefst optimistisch.

     

    Rainer Münch: Lieber Herr Rehn, diese Zuversicht ist ein sehr schöner Abschluss unseres Gesprächs. Es hat mich sehr gefreut, dass Sie Gast waren bei Purpose versus Profit und bis zum nächsten Mal.

     

    Götz Rehn: Ja, vielen Dank für Ihre Zeit und die interessanten Fragen und bis ein andermal.

    (Das Gespräch wurde aufgezeichnet am 30. April 2025)

    In der aktuellen Folge ist Professor Dr. Götz Rehn zu Gast, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Alnatura. Das Gespräch beginnt im Ruhrgebiet und führt über Vorbilder im Leben schließlich zur Sozialorganik, der Frage nach dem Sinn und zur Natur. Emotional wird Götz Rehn, wenn es um die Qualität und Erschwinglichkeit seiner Produkte geht, aber auch beim Thema Homeoffice und der Bedeutung persönlicher Begegnungen.

    Das Gespräch wurde aufgezeichnet am 30. April 2025.

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    Rainer Münch: Willkommen bei Purpose versus Profit. Ich bin Rainer Münch und ich unterhalte mich hier mit meinen Gästen über die Werteorientierung im Geschäftsleben. Mein heutiger Gast ist Professor Dr. Götz Rehn, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Alnatura. Zur Aufnahme bin ich am vollkommen nachhaltig gestalteten Alnatura Campus in Darmstadt zu Gast. Unser Gespräch beginnt dann im Ruhrgebiet und führt über Vorbilder im Leben schließlich zur Sozialorganik, der Frage nach dem Sinn und zur Natur. Es ist bemerkenswert, wie alle Aspekte des Alnatura Geschäftsmodells durchdacht sind und wie sie ineinandergreifen. Emotional wird Götz Rehn, wenn es um die Qualität und Erschwinglichkeit seiner Produkte geht, aber auch beim Stichwort Homeoffice und der Bedeutung persönlicher Begegnung. Und nun viel Spaß mit der heutigen Folge. Seine ersten fünf Berufsjahre hat Götz Rehn bei Nestlé verbracht, bevor er dann 1984 im Alter von 34 Jahren Alnatura gründete. Alnatura, das sind aktuell 152 Super Natur Märkte und 1.400 Biolebensmittel, die europaweit in mehr als 15.000 Filialen erhältlich sind. Parallel leitet er das Institut für Sozialorganik an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft. 2021 wurde er für sein Lebenswerk mit dem deutschen Gründerpreis ausgezeichnet. Er ist Vater von zwei Kindern. Seine liebsten Hobbys Fahrradfahren, Skifahren und Segeln haben eines gemeinsam: Sie sind alle an der frischen Luft. Lieber Herr Rehn, herzlich willkommen bei Purpose versus Profit.

     

    Götz Rehn: Herzlich willkommen, vielen Dank.

     

    Rainer Münch: Herr Rehn, Sie sind im Ruhrgebiet groß geworden und stammen aus einer der ältesten Chirurgenfamilien Deutschlands. Wie hat es Sie von da in den Biolebensmittelhandel nach Darmstadt verschlagen?

     

    Götz Rehn: Das ist eine lange Reise. Ich versuche, es kurz und verständlich zu beantworten. Ich bin mit zwölf Jahren aus Freiburg ins Ruhrgebiet nach Bochum gekommen. Das war 1962. Damals war das Ruhrgebiet in der Zusammenbruchsituation. Arbeitslosigkeit, traurige Menschen, zerstörte Städte in gewisser Hinsicht, sehr viel Schmutz. Und das hat mich sehr beschäftigt in der ganzen Schulzeit und ich habe mich immer wieder mehr oder minder ausführlich mit der Frage beschäftigt: Ist das Wirtschaft? Oder muss Wirtschaft so sein? Oder könnte es nicht doch anders möglich sein, dass Wirtschaft wirklich dem Menschen dient? Und irgendwann habe ich mich dann entschieden, das auszuprobieren und ein Modell zu versuchen. Der Weg dorthin war lang und beschwerlich. Ich habe nach dem Studium der Volkswirtschaft und Promotion in Organisations- und über Organisationsentwicklung fünf Jahre bei Nestlé gearbeitet und parallel das Alnatura-Modell entwickelt.

     

    Rainer Münch: Wie würden Sie denn Ihren Wertekanon und den Nordstern für Ihr Handeln beschreiben?

     

    Götz Rehn: Für mich ist der Begriff Werte herausfordernd, weil er etwas mit Bekenntnis zu tun hat. Ich kritisiere das nicht, aber für mich persönlich ist es wichtig, dass das, was ich tue, dass ich das erkannt habe, also dass mir etwas bewusst ist, dass ich es einsehen kann und dann halte ich mich auch daran. Beispiel: Als ich dann vor über 40 Jahren mit Alnatura begonnen habe, gab es ja keinerlei rechtliche Vorgaben für das, was Bio ist. Das war in keiner Weise geregelt und für mich war von Anfang an klar: Bio bei Alnatura ist 100 Prozent Bio-Rohstoffe im Produkt. Das erwarten die Kunden. Die EU-Verordnung, die ja bis heute gültig ist, verlangt 95 Prozent. Das zeigt ganz deutlich, egal um was es geht bei uns, wir versuchen, unsere Produkte, unsere Märkte, die Gehäuse, in denen wir leben und arbeiten, so zu gestalten, dass sie eben bestmöglich nachhaltig sind.

     

    Rainer Münch: Was war damals die Motivation für Sie zu sagen, 95 Prozent genügt mir nicht? Wir machen 100.

     

    Götz Rehn: Ja, die Erkenntnis, dass wenn man biologische Lebensmittel aus Biolandbau anbietet, man natürlich konsequent sein sollte, weil die Kundinnen und Kunden erwarten – und das hatte ich sie natürlich schon gefragt, die Kunden und Kundinnen – die erwarten das. Und da die Produkte aus der Agrarindustrie ja etwas ganz anderes sind und eventuell auch mit Rückständen belastet sind, kam das natürlich überhaupt nicht infrage, beide Rohstoffe miteinander zu verquicken.

     

    Rainer Münch: Wenn Sie Ihre Haltung, die Sie heute haben und Ihre Überzeugungen mit denen vergleichen von vor 40 Jahren, hat sich da viel verändert? Ist es, ist es eine Transformation, die Sie da auch persönlich erlebt haben? Oder sagen Sie: "Nee, das ist eigentlich immer noch, die Haltung hat sich nicht verändert."?

     

    Götz Rehn: Die Grundeinstellung, dass wir unsere Welt nur zum Segen der Menschen, auch mithilfe der Natur weiterentwickeln können, dass das nur auf Basis einer vierten Dimension sozusagen möglich ist, also aus einer Sinnbestimmung heraus, die hat sich nicht geändert. Allerdings hat sich natürlich die Begründung verändert, die Vielfalt der Anwendungen verändert, aber diese Grundhaltung, dass wir den Materialismus an der Stelle überwinden sollten durch Ergänzung, wir wollen ja nicht auflösen, dann könnten wir nicht mehr existieren. Es geht ja nicht um Sozialromantik oder so etwas. Aber dass wir es ergänzen müssen, das, was Sie vielleicht als Werte beschreiben und wirklich aus dem Bewusstsein heraus tätig zu sein, das ist das, was geblieben ist. Und ich denke, das wird auch bleiben.

     

    Rainer Münch: In unserem Vorgespräch haben Sie einige Menschen genannt, die Ihren Lebensweg geprägt haben, unter anderem Alfred Rexroth und Herbert Witzenmann. Wie würden Sie diesen Einfluss beschreiben und haben Sie heute noch Vorbilder?

     

    Götz Rehn: Ja, es gibt viele Menschen, deren Werke von höchstem Interesse sind, die ja schon lange verstorben sind. Da können Sie einen Goethe nehmen, einen Schiller nehmen und viele, viele andere. Auch Rudolf Steiner hat mich sehr, sehr intensiv begleitet. Die beiden, die Sie ansprechen, sind insofern interessant, ganz unterschiedlich. Alfred Rexroth, beides Unternehmer, Alfred Rexroth, in Lohr am Main, eine Kokillengießerei, Hydraulik, Gussteile. Dort hatte ich als siebzehnjähriger Schüler ein Industriepraktikum gemacht in der Kokillengießerei, 3 Wochen, 45 Grad Arbeitstemperatur. Eine Pfanne wog 70 Kilo, die haben wir zu zweit getragen. Also der andere Herr war etwas kräftiger als ich. Das hat mich sehr geprägt, dieses Arbeitsleben, diese Eindrücke. Und dann wurde ich nach dem Abitur zufällig, wie das manchmal so ist, eingeladen, mit einem Herrn, der bei Rexroth arbeitete, verschiedene kleine Unternehmerinnen zu besuchen, die zugearbeitet haben, die Teile hergestellt haben. Und die Art und Weise, der Herr hieß Herr Blex, wie er mit den Menschen gesprochen hat, das hat mich irgendwie sehr angesprochen. Und es war nicht nur darauf ausgerichtet, dass er jetzt besonders günstig einkaufen kann. Er war im Stil sehr angenehm. Es war etwas, was wir später dann als Organisationsentwicklung kennengelernt haben, dass es also um den Menschen und um die Wirtschaftlichkeit geht und dass es darum geht, das miteinander zu verbinden. Das war das eine Erlebnis und das hat schon mit dazu beigetragen, dann den Versuch zu wagen, in diese Richtung zu gehen. Die zweite Persönlichkeit, Herbert Witzenmann, war damals Geschäftsführer, zusammen mit seinem Bruder, der Witzenmann GmbH in Pforzheim, bis heute ein sehr erfolgreiches Unternehmen für Metallspezialschläuche. Und er war gleichzeitig für die sozialwissenschaftliche Sektion, so heißt das am Goetheanum, also der Hochschule, in Dornach bei Basel, wo man eben ja das Werk Rudolf Steiners sozusagen studieren und kennenlernen kann. Und ich bin durch einen Bekannten, flüchtigen Bekannten eingeladen worden, mitzukommen und hab diese Persönlichkeit dort erlebt und hab festgestellt, das ist ein Mensch, der meine Fragen, die ich hatte, nicht im Sinne einer flachklatschenden Antwort, sozusagen beantwortete, sondern Ansatzpunkte lieferte, wie ich durch eigene Erkenntnisbemühungen und, ja, eigene Forschung zu Ergebnissen komme, die für mich dann erkannt und individuell geklärt sind. Und das war eine ganz intensive Zusammenarbeit, es war natürlich auch, sagen wir hilfreich, weil er im Wirtschaftsleben beheimatet war, das für ihn nicht fremd war. Und ich habe viele Themen, bis hin sogar zur Gestaltung der Farben, der Alnatura Super Natur Märkte, die ja aubergine und hellgrün sind, mit ihm bewegt. Also das war eine Persönlichkeit, die mich da sehr begleitet hat.

     

    Rainer Münch: Achten Sie stark darauf, dass innerhalb des Unternehmens, innerhalb Alnatura Führungskräfte Vorbilder sind? Und wie machen Sie das?

     

    Götz Rehn: Also ich versuche, die menschengerecht und aufgabenadäquat und ja, präzise und auch sorgfältig, vielleicht auch manchmal etwas zu gütig, aus meiner Sicht, mit den Kolleginnen und Kollegen gemeinsam das Unternehmen zu gestalten. Nun sind wir ein großes Unternehmen mit 3.600 Kolleginnen und Kollegen. Da kann man natürlich nicht mehr mit jedem sprechen. Und es sind natürlich ganz unterschiedliche Gremien, in denen man mitwirkt. Aber ich versuche schon zu zeigen, was wichtig ist und auch in Einzelfällen deutlich zu machen, wie ein anderes Denken dann auch zu anderen Ergebnissen führt. Also mehr über die inhaltliche Begleitung.

     

    Rainer Münch: Jetzt ist der Titel des Podcasts "Purpose versus Profit", also ein gewisses Spannungsfeld zwischen einer Purpose- und einer Profitorientierung. Wie blicken Sie auf dieses Spannungsfeld? Und gibt's Situationen, wo Sie schon mal sagen mussten schweren Herzens, jetzt muss ich mich für den Profit entscheiden, wir können uns an der Stelle den Purpose nicht leisten?

     

    Götz Rehn: Es ist ja mein Lebensthema, diese zwei Begriffe, wobei ich eben damals den Begriff des Sinns anstelle von Purpose gewählt habe. Warum? Purpose heißt ja Zweck und sicher ein erweiterter Zweck, also nicht nur ein wirtschaftlicher Zweck. Das ist sicher das Neue daran. Aber es ist doch im gesamten wirtschaftlichen Kontext verankert. Das konnte man jetzt auch in den letzten Monaten beobachten. Wenn dann neue Forderungen kommen, dann werden auch die Ziele eines Unternehmens etwas angepasst. Das gäbe es bei uns nie. Und der Sinn geht eben über diese physische Sichtweise hinaus. Sinn ist für uns etwas, deswegen habe ich das vorhin auch vierte Dimension genannt, wo wir das Ökonomische, Ökologische und Soziale, das sind ja die drei Nachhaltigkeitskriterien, um die vierte Dimension erweitern. Nur eine vierte Dimension gibt es ja gar nicht im Physischen. Insofern schon ein Hinweis darauf, es geht um eine geistige Bestimmung, es geht um ein Menschenbild, es geht um ein Weltbild. Und aus diesem Sinn heraus tätig zu sein, des jeweiligen Gegenstands, auf das sich meine Handlung bezieht, bedeutet ja, dass ich's erkennen muss. Also wenn ich sozusagen eine Karotte richtig anbauen möchte, muss ich kapieren, was ist eine Karotte, was braucht die für einen Boden und so weiter. Und dann bekomme ich auch die beste Karotte. Verzichte natürlich im Biolandbau auf sämtlichen Kunstdünger und sämtliche Herbizide, Fungizide und was es da sonst noch so gibt. Wenn ich das, sagen wir mal zur Philosophie eines Unternehmens mache, dann bedeutet das natürlich, erst die Qualität und dann der Preis. So ist auch unsere Mission: beste Qualität in ästhetischer Anmut zum günstigsten Preis. Aber die beste Qualität wird gestützt durch die Vision „Sinnvoll für Mensch und Erde“. Und wie stellen wir das sicher, um das auch konkret zu machen? Weil das kann man ja alles so schön behaupten. Ich hab vom ersten Tag an einen Arbeitskreis Qualität mit Fachleuten der verschiedensten Disziplinen, die eben ernährungsrelevant sind, ins Leben gerufen, der frei von uns ist. Da werden nur die Fahrtkosten ersetzt und jedes Produkt, wo Alnatura draufsteht, geht in diesen Arbeitskreis und die entscheiden dann, ob wir das Produkt so machen können in den Rezepturen, ob wir überhaupt das Produkt machen können, ob wir es so verpacken dürfen. Ich hatte gerade heute Morgen wieder ein Gespräch dazu, weil eine Kollegin etwas traurig war, dass ein gewisses Produkt nicht möglich ist. Also die sagen auch wirklich nein und das zeigt, dass es uns da sehr ernst ist. Jetzt sprechen Sie ja zu Recht dieses Dilemma an. Das ist ja etwas provokant, aber natürlich bewegt man sich immer zwischen auf der einen Seite der Wirtschaftlichkeit, möchte ich mal sagen, und auf der anderen Seite bei uns jetzt der Sinnhaftigkeit. Und ich versuche, dieser Spannung dadurch zu entkommen - die Felder sind ganz verschieden - dass ich auf der einen Seite diese Qualitätsseite überall absichere durch klare Grundsätze oder Gremien und auf der anderen Seite eine gewisse Beweglichkeit habe und das Ganze, ich erkläre es gleich, in einem Rahmen, der sozusagen ja nicht wirtschaftlich bestimmend ist. Das heißt, wir kommen mit einer Umsatzrendite um die anderthalb, zwei Prozent aus. Mehr brauchen wir nicht. Wenn wir bessere Situationen haben, dann investieren wir das in die Preise. Und wenn es Spannungen gibt, zum Beispiel wir haben ein definiertes Produkt und wir wollen das im Handel gelistet sehen und der Handel sagt: "Ja, der Einkaufs- und der Verkaufspreis, das passt nicht", dann versuchen wir im Gespräch miteinander auszuloten, könnte es denn möglich sein, wenn wir mit dem Preis und dem Verkaufspreis etwas runtergehen, dass sie dann erheblich mehr Menge abnehmen? Also wir würden nicht die Qualität ändern, aber wir versuchen einfach deutlich zu machen, also an der Qualität kann man nichts ändern. Aber finden wir andere Wege? Es sind Umwege. Wenn es um sehr grundsätzliche Fragen geht, gehe ich keine Kompromisse ein. Also ich war schon in Situationen, wo es hätte sein können, dass das Unternehmen nicht mehr existieren würde. Aber von meinen Grundsätzen werde ich nicht abweichen. Also solange ich das führe, wird das so sein.

     

    Rainer Münch: Mhm.

     

    Götz Rehn: Das ist auch das, glaube ich, was uns zu dem gemacht hat, was Alnatura heute ist. Wir sind ja die beliebteste Lebensmittelmarke und der beliebteste Lebensmittelmarkt inzwischen, was ja im Vergleich unserer Größe zu den großen Mitbewerbern im Markt, glaube ich zeigt, dass es uns immer besser gelingt, wirklich von den Kunden erlebt zu werden.

     

    Rainer Münch: Jetzt haben Sie die Sinnfrage angesprochen, die Kernfrage, die vierte Dimension. Das ist ja auch ein Thema und eine Frage, die Sie an Ihrem Institut für Sozialorganik vertiefen. Wie kam es zu dem Institut und was sind die Impulse für Unternehmenslenker, die Sie daraus ableiten können?

     

    Götz Rehn: Also wie kam es zum Institut? Ich kriegte Besuch von einem Professor von der Alanus Hochschule, der damals auch Rektor war. Und wir kannten uns aus früheren Zeiten. Wir hatten uns viele, viele Jahre nicht gesehen. Und er sagte dann: "Ja, mhm, werden denn die Inhalte, die ihr jetzt bei Alnatura als Modellunternehmen ausprobiert und umsetzt, wie geht das denn weiter? Werden die auch erforscht oder spricht man darüber?" Ich sage: "Nein, an und für sich nicht." Es war zwar immer mein Ideal, dass wir da weiterkommen und er hat es dann auf den Weg gebracht, dass ich da diese Honorarprofessur bekam und auch das Institut, das aber von Spenden finanziert werden musste, weil das eine private Hochschule ist, das bis heute aber auch von Spenden der verschiedensten Unternehmen finanziert wird, also nicht von Alnatura, weil selber wollen wir uns nicht in der Form unterstützen. Und dann war die Frage als Erstes: "Was können wir für einen vernünftigen Studiengang machen?" Und meine Lebenserfahrung hat ja gezeigt, ich habe wie gesagt Volkswirtschaft studiert. Das hat sicher, ja, mein wirtschaftliches Denken unterstützt. Aber die Modelle, die wir da kennengelernt haben, die decken ja nicht die Wirklichkeit ab. Und auch teilweise in der Betriebswirtschaft, wenn das sehr nur mathematisch ist, was ja bei vielen betriebswirtschaftlichen Studiengängen der Fall ist, trifft das auch nicht alles, was man braucht, um dann vernünftig im Wirtschaftsleben und erfolgreich tätig sein zu können. Und dann haben wir einen Studiengang entwickelt unter dem Titel „Wirtschaft neu denken“, der drei Säulen hat. Die erste Säule ist Betriebswirtschaft, ergänzt um Sozialorganik. Kann ich gleich was dazu sagen. Das Zweite ist, weil es eine Kunsthochschule ist, mit den verschiedensten Disziplinen, dass die betriebswirtschaftlichen Studentinnen und Studenten Kunstprojekte auch mit angehenden Künstlern machen. Das hat einen großen Effekt. Und das Dritte ist Praxiserfahrung. Die haben nicht sehr lange Semesterferien gehabt und wenn jemand das gut macht, wir waren auch Partnerunternehmen dort, dann haben diejenigen, die dann den Abschluss gemacht haben im Bachelor, konnten schon Marktleiter sein in einer Filiale. Also, wir haben auch einige bei uns im Unternehmen, das sind wirklich, das ist eine sehr interessante Ausbildung, die ausgesprochen gut funktioniert. Und die Idee der Sozialorganik ist eben die Weiterführung der Betriebswirtschaft in der Form, dass es darum geht, wie können wir eben Unternehmen so gestalten, dass das, was dort stattfindet, noch konkreter für die Mitarbeitenden verstanden wird? Also, wir haben zum Beispiel eine Wertbildungsrechnung, da würde jetzt die Zeit nicht reichen, in einem Gegenstrommodell entwickelt. Das sehen Sie in jedem Markt, der ganz einfach auf der einen Seite vom Umsatz und Ertrag, den Sie in einem Laden machen, ausgehend und den Leistungen, die erbracht werden andererseits. Das lässt er gegeneinander laufen. Und wenn das eine höher ist als das andere, haben Sie entweder eine Entschuldung oder eine Verschuldung oder einen Gewinn und Verlust, könnte man auch sagen, und das sehr transparent und sehr hilfreich. Und so haben wir eine ganze Reihe von neuen Konzepten entwickelt, die wir im Unternehmen anwenden und dort auch forscherisch weiter vertiefen.

     

    Rainer Münch: Was nehmen Sie heute als die größten Hindernisse wahr, dass die Unternehmen sich diesem Sinn mehr zuwenden und sozusagen ihre Sinnorientierung stärken?

     

    Götz Rehn: Ich glaube, wir haben zu wenig Vertrauen in uns Menschen. Also ich meine jetzt in die möglichen Kundinnen und Kunden. Das ist das, was mich bei dem Alnatura Weg wirklich täglich, ja, begeistert, erfreut, motiviert, dass immer mehr Menschen unsere Produkte kaufen, obwohl wir sie ja gar nicht an uns binden. Wir machen ja nahezu keine Kommunikation, sondern sie verbinden sich mit uns. Was ja auch eine schöne Geste ist und zeigt, wie ernst es ist, und dass manche Unternehmen ihr Angebot ändern können, wenn sie ein größeres Vertrauen hätten. Man ist doch meistens der Auffassung, man will die Kunden so eng an der Kandarre führen oder wie von einer Marionette geführt sollen sie sich so verhalten. Wenn ich oben was ändere, dann reagieren sie unten. Das das eine. Das Zweite ist, dass es auch Wege gibt, neue Wege zu gehen. Also Möglichkeiten gibt, möchte ich sagen. Also nehmen wir mal hier das Gebäude, in dem wir sitzen. Das ist ein gutes Beispiel. Das ist ein Bürogebäude, 10.000 Quadratmeter Bürofläche. Es hat 1.700 Euro pro Quadratmeter gekostet, ist damit deutlich günstiger als jedes andere Bürogebäude. Es ist das Nachhaltigste, was es in Europa gibt im Moment. Die Wände sind aus gestampftem Lehm, 60 Zentimeter stark, aus den Abfällen der Baugrube des Bahnhofs Stuttgart 21, haben wir geschenkt bekommen, und wenn das Gebäude nicht mehr gebraucht wird, dann zerfällt der Lehm und geht wieder in die Erde zurück. Es ist für die Zusammenarbeit optimal. Wir arbeiten auf einer Fläche, es ist auch von der Akustik perfekt und ich finde, es ist auch recht schön geworden. Und das sind eben dann die vier Kriterien, um die es geht. Und das zu zeigen, ist eben unser Ansinnen und da mehr Mut zu haben, da kann ich viele Unternehmen nur, ja, ermuntern. Also, wir haben ja auch ein großes Hochregallager gebaut, um noch ein Beispiel zu erzählen, was das einzige dieser Art ganz aus Holz ist, 20 Meter hoch. Wir haben es aber auch zwei Meter in den Boden gesenkt in eine weiße, sogenannte Betonwanne, also die wasserdicht ist. Darunter fließt, das ist in Lorsch, das Grundwasser des Rheines. Und mit der Kühlung und Heizung des Rheines heizen und kühlen wird das gesamte Gebäude das ganze Jahr. Wir haben gar keinen Strombedarf oder Energieaufwand für ein solches Riesengebäude für 30.000 Europaletten. Und das ist für mich die Zukunft. Arbeiten mit der Natur und da braucht es mehr Kreativität. Also, wir brauchen Mut, wir brauchen Kreativität. Es ist nicht eine Geldfrage.

     

    Rainer Münch: Auf das Gebäude komme ich gleich noch mal zurück. Zunächst möchte ich noch mal über diese Sinnorientierung sprechen und das, was Sie auch gesagt haben, diese Prinzipien, die hinter Alnatura stehen. Jetzt ist es ja so, dass es durchaus viele Start-ups auch gibt, die etwas in die Richtung versuchen. Die versuchen, Produkte mit einem ökologischen Hintergrund, mit guter Qualität, Handarbeit, regional wirklich zu vermarkten, aufzuziehen, und ganz viele von denen scheitern und es klappt eben nicht. Haben Sie da einen Blick drauf? Was sind da häufig die Faktoren, die fehlen? Und warum hat es bei Ihnen mit Alnatura funktioniert? Und warum funktioniert es so häufig eben auch nicht? Trotz allem Mut.

     

    Götz Rehn: Ich denke, wenn wir im Wirtschaftsleben tätig sein wollen, ist es zentral, dass das, was wir tun, von den Menschen gewollt wird. Die Gefahr besteht bei vielen Pionieren, dass sie aus einem gewissen Idealismus heraus tätig sind, etwas zu tun, von dem sie meinen, dass es für die Menschen gut wäre, weil sie es für gut halten. Das ist der eine Punkt. Also es geht nicht darum, etwas sich auszudenken, sondern sozusagen herauszuerahnen aus dem, was man bei den möglichen zukünftigen Kunden beobachten kann. Das ist eine ganz andere Geste. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt. Das Zweite ist dann, dass es natürlich nicht um romantische Übungen geht, sondern wir sind im Wirtschaftsleben. Also wir kämpfen auch um jeden Cent in der Kostenseite, um unsere Produkte möglichst günstig für die Kunden zu machen. Also eine gewisse Professionalität, eine Klarheit an der Stelle ist auch dringend erforderlich. Und ich warne immer, wenn da keine Erfahrungen da sind, manche machen ja auch ein Restaurant auf oder irgendein kleines Unternehmen und sind ganz überrascht, dass sie irgendwann pleite sind, weil sie gar nicht erkannt haben, dass sie pleite sind, weil sie gar keine Beziehung zu den wirtschaftlichen Realitäten haben. Das gehört einfach dazu und für mich wäre es auch sicher nicht so gut gewesen, ohne die hervorragende Zeit bei Nestlé und die Erfahrung, die ich da sammeln konnte und was ich auch ausprobieren konnte, zu starten. Also es braucht schon auch einen wirtschaftlichen Hintergrund.

     

    Rainer Münch: Damit komme ich zurück auf das Gebäude. Ich hatte Sie ja im Vorfeld gebeten, einen Wertegegenstand mitzubringen und Sie hatten mir gesagt, wir werden darin sitzen, nämlich in diesem Lehmgebäude. Sie haben ja eben schon ein bisschen was ausgeführt, was das Gebäude darstellt und was Sie damit verbinden. War das für Sie ein lang gehegter Traum, so was zu machen? Oder war das eine relativ spontane Entscheidung, weil Sie neu bauen mussten und sich dieses Verfahren angeboten hat?

     

    Götz Rehn: Wir versuchen alles, was wir tun, bewusst zu tun. Bewusstes Tun heißt, darüber nachzudenken, bevor man handelt und dann auch während man handelt, weiter daran zu denken. Das bedeutete für uns natürlich, weil Alnatura sinnvoll für Mensch und Erde, wir müssen auch hinbekommen, Bürogebäude zu schaffen, was eben diesen Kriterien der Nachhaltigkeit, der Wirtschaftlichkeit, des Sozialen und der Ästhetik gleichermaßen entspricht. Das ist ja die Kunst, das ganzheitlich zu denken und nicht nur ein Gesichtspunkt, den wirtschaftlichen oder den künstlerischen, dann ist es manchmal wirtschaftlich überhaupt nicht mehr darstellbar und so weiter. Das Ganze ist entstanden dann in der Zusammenarbeit mit einem, ja, mit einem Freund aus Jugendzeiten, mit dem ich Seifenkistenrennen gefahren bin, den ich über ganz, ganz viele Jahre nicht gesehen hatte und der mich dann zufällig in Hamburg bei einer Ladeneröffnung, hat mir auf die Schulter getippt und ich sagte zu seinem großen Erstaunen, dass ich überhaupt noch wusste, wie er heißt, "Ah hallo, Michael." Also dieser Michael war in einem großen Konzern damals tätig und das passte dann von der Zeit sehr gut und hatte auch für dieses Unternehmen ein nachhaltiges Gebäude als Projektleiter betreut auf Geschäftsführungsebene. Und ich war damals in der schwierigen Situation, dass dm sich von Alnatura trennte und ich wirklich alle Kraft darauf lenken musste, das Unternehmen zu erhalten und hab ihn dann gefragt, ob er mir hilft. Und er hat die Projektleitung übernommen. Ich habe trotzdem noch mal nachgerechnet, 40 Tage Zeit investiert, was aber für so ein außergewöhnliches Projekt nicht viel ist. Und ich danke ihm da auch sehr, insbesondere auch dem Martin Haas von Haas Cook Zemrich. Das ist das Architekturbüro aus Stuttgart, die das konzipiert haben, weil wir sehr viel mitgewirkt haben. Also beim ersten Entwurf kamen die Architekten und hatten ja wunderschöne Entwürfe mitgebracht, aber das war nicht das, was mir vorschwebte, sondern das ist ja ein ganz einfaches Haus an und für sich, was sehr stark auch aus der Funktion heraus gestaltet ist. Und das wurde dann im Dialog mit sozusagen den Architekten und unter der Leitung von Michael von Rudloff eben entwickelt. Wir haben das sehr früh auch mit den Mitarbeitenden abgestimmt. Es gab so Resonanzgruppen, in denen die Kolleginnen und Kollegen das Ganze begleitet haben. Und ich bin, da es ja doch ganz anders war als das, was man normalerweise hat: keiner hat ein Zimmer, ich sitze auch zusammen mit anderen, klappt alles wunderbar. Aber das wusste man natürlich nicht vorher. Das merkt man erst, wenn man dann einzieht. Ich erinnere mich noch sehr, sehr gut.Also es ist schon sechs Jahre her, als wir dann im Januar hier rein sind. Wir hatten über‘s Wochenende die ganzen Arbeitsplätze umgebaut und so weiter und ich hatte schon die Luft angehalten, muss ich sagen, weil ich andere Situationen bei Büroumzügen erlebt hatte. Große Revolution, was alles schlecht ist. Es war, als ob es immer so gewesen wäre. Es hat von der ersten Minute an wunderbar funktioniert.

     

    Rainer Münch: Wie war das für Sie, hier einzuziehen?

     

    Götz Rehn: Ja, eine große Freude. Also ich wundere mich, dass überhaupt irgendjemand zu Hause arbeiten möchte. Wir haben hier ein ganz großes Gelände, fünf Hektar drumrum. Ein Teil ist Naturschutzgebiet. Wir haben auch, von uns initiiert, von der Alnatura Stiftung, einen Kindergarten, wo fünf Kindergartengruppen, 100 Kinder drin sind und 200 auf der Warteliste. Wir haben auch der Stadt angeboten – ist ein öffentlicher Waldorf-Kindergarten – wir sind bereit, weitere Kindergärten zu machen, wenn die Stadt mag, aber sie meditiert noch darüber. Das ist ja leider in unserer Gesellschaft meistens das Phänomen, dass wir nicht in die Gänge kommen bei solchen Themen. Ja, und dieses Gelände bietet sich sehr an und es ist herrlich, hier zu arbeiten. Wir haben eine sehr, sehr gute Luft, weil wir von außerhalb, da ist ein größeres Waldstück, da holen wir die Luft in mannshohen Kanälen unterirdisch hier ins Gebäude. Wir haben keinerlei andere Klimatisierung und haben, auch wenn's draußen 40 Grad hat, hier sehr gute Temperaturen. Die Lehmwände sind enorm, was sie da auch liefern und spülen das Gebäude nachts sozusagen mit der kühlen Waldluft durch. Und alle sagen, es ist doch erstaunlich gute Luft, auch gute Akustik. Also es ist wirklich sehr, sehr gelungen. Wir haben auch viele, viele Preise gewonnen, auch die Architekten. Und trotzdem habe ich jetzt nirgendwo Vergleichbares je wieder gesehen. Das ist auch wieder ein interessantes Phänomen. Insofern könnte man vielleicht noch hinzufügen, also selbst wenn's dann positive Beispiele gibt, dann bräuchte man vielleicht nicht so viel Mut, um diesen Weg zu gehen. Also man muss halt auch aus seiner Bequemlichkeit raus. Man muss die bestehenden Regeln überwinden wollen. Es ist vieles hier überhaupt nicht so, wie das Baurecht das vielleicht zunächst verlangen würde. Also die Breite, die Tiefe des Gebäudes ist doppelt so hoch wie normal, so lang. Und das geht nur, indem alle Räume gesprinklert sind. Also überall an den Decken sind diese Rohre weiß gestrichen. Das ist jetzt nicht das Schönste, aber so ist es dann halt. Da muss man dann halt auch Kompromisse eingehen.

     

    Rainer Münch: Sie haben es in Ihren Ausführungen angeschnitten. Das Thema Präsenz in den Büros ist ja auch eine immer noch aktuelle Debatte, wo der Weg da hinführt. Wie blicken Sie da drauf?

     

    Götz Rehn: Meine Beobachtung ist, dass Zusammenarbeit am besten in Präsenz funktioniert. Sie geht besonders reibungslos. Sie ist sehr sparsam, weil ich eben in kurzer Zeit sehr viel erledigen kann. Es kommt zu weniger Missverständnissen. Es ist koordinierter. Es ist auch vergnüglicher, muss ich sagen. Ich sitze ja auch manchmal an, in solchen Videokonferenzen und man versteht manchmal nicht gut, wechselseitig, also nicht nur akustisch, sondern auch sonst. Es gibt viele, auch immer wieder technische Probleme, und ich finde es eben auch zusätzlich interessant, wenn ich hier bin, kann ich manches einfach, indem ich dorthin gehe, wo derjenige ist, mit dem ich was regeln will, bevor ich jetzt wieder eine Mail schreibe. Da schreibt man dann wieder zurück, weil dann kann man den gerade nicht erreichen. Ich sehe ihn ja hier, er ist da, störe ihn nicht, wir besprechen das schnell und die Sache ist erledigt. Oder ich rufe an. Also dieses Direkte, der direkte Kontakt. Dann aber auch zu sehen, wie der andere schaut, wenn man spricht. Also die Reaktionen besser wahrnehmen zu können, das führt auch zu ganz anderen Prozessen. Wir hatten gestern gerade einen langen Termin, auch in der Geschäftsführung, Spiegelungsrunde, also Reflektionsrunde. Das kann ich mir überhaupt nicht am Bildschirm vorstellen. Es gibt auch viele andere Themen, wo man doch sehr viel vertiefend miteinander sich austauschen möchte, die dringend Präsenz erwarten. Ich mache auch meine Kulturseminare nur in Präsenz, zum Beispiel.

     

    Rainer Münch: Haben Sie Verständnis für die Perspektive der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen?

     

    Götz Rehn: Tiefstes Verständnis. Na klar. Es ist halt einfach die Frage: Was steht im Fokus? Für mich als Unternehmer steht das Unternehmen im Fokus, und viele haben eben ihr privates Umfeld, haben sich durch Corona da auch gewisse Gewohnheiten heranentwickelt und versuchen halt auch, ihren privaten Kontext zu optimieren. Und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich denke aber, dass es auch für die Entwicklung der Einzelnen sehr-- ich meine, die sind ja schon auch hier -, aber dass es sehr hilfreich sein kann, im Miteinander, also live sich auszutauschen. Also ich denke, das hat, das ist auch ein wichtiger Entwicklungsfaktor, also die persönliche Begegnung mit allem, was dazu gehört.

     

    Rainer Münch: Herr Rehn, ich möchte Sie nun noch mit einer moralischen Frage konfrontieren. Alnatura setzt sich ja mit großer Leidenschaft für nachhaltige Produkte ein und das zu Standards deutlich über dem gesetzlich geforderten Maß. Zugleich hat die Qualität bei aller Preiswürdigkeit auch ihren Preis und ist damit für Teile der Gesellschaft vermutlich nicht erschwinglich. Sehen Sie Alnatura daher als ein Angebot für Besserverdiener?

     

    Götz Rehn: Nein. Schon vom ersten Tag an, im ersten Laden in Mannheim, habe ich erkannt, wie wichtig es ist, dass jeder, der möchte, bei uns einkaufen kann. Ich habe damals mit glatten Preisen gearbeitet. Ist vielleicht ganz interessant. Es kostet nicht eins neunundneunzig, sondern zwei Euro oder zwei D-Mark, Entschuldigung. Die erste Erkenntnis war: Das geht gar nicht, das geht gegen die Gewohnheiten. Also ich habe in der ganzen Nacht alles umgezeichnet auf 1,99 oder 99 Cent. Die zweite Beobachtung war, dass einige Studenten in den Laden in Mannheim kamen und sagten: "Das ist zu teuer." Ich sage: "Okay, in einer Woche können Sie in jedem Warenbereich ein Produkt finden, was wir zum Sparpreis anbieten." Also das war die Philosophie. Das ist heute bei uns in den Märkten Prima! Alnatura. Das ist wirklich mehr als günstig. Ansonsten haben wir ja die Philosophie, dass möglichst viele Menschen Alnatura kaufen können sollten. Das hat zur Konsequenz gehabt, dass wir im Preis immer sehr, sehr günstig waren. Und heute ist es so, nach Corona interessanterweise, dass alle Alnatura Markenprodukte zwischen zehn oder nahezu alle, muss man vorsichtig sein, die meisten Alnatura Markenprodukten zwischen zehn und 20 Prozent günstiger sind, günstiger sind als konventionelle Lebensmittel. Also eine Haferflocke 500 Gramm von Alnatura kostet eins 1,29, die von einem großen Hersteller aus Köln kosten 1,59, 1,69. Und das ist, glaube ich auch wichtig und auch ein Merkmal von Alnatura, dass wir für viele Menschen da sind. Und wenn Sie heute in einen Markt von uns gehen würden, sehen Sie ganz, ganz unterschiedliche Einkommensgruppen, die bei uns einkaufen. Und vielleicht noch eine Anekdote, die ich beobachtet habe, dass alle Taxifahrer, mit denen ich unterwegs bin, davon mindestens 60 Prozent bei Alnatura einkaufen. War ich überrascht.

     

    Rainer Münch: Sehen Sie da noch viel Potenzial auch in die Richtung für Alnatura, sozusagen da die Gesellschaft noch breiter zu erreichen? Oder sagen Sie, Sie sind da in der Mitte angekommen und es gibt jetzt eigentlich da keine Schwellen mehr, auch vielleicht für Menschen, die glauben, Alnatura könnte zu teuer für sie sein?

     

    Götz Rehn: Der Punkt ist ganz wichtig: Viele Menschen glauben immer noch, Bio schmeckt nicht. Bio ist eher teuer und es bewirkt auch nicht viel und sie sind unsicher, ob es überhaupt sicher ist. Das wird von gewissen Kreisen auch genährt. Und insofern ist das schon eine Herausforderung. Aber diejenigen, die uns dann kennenlernen, die bei uns mal eingekauft haben, die die Weißwürste probiert haben oder aktuell die Erdbeeren oder die Spargel oder was auch immer, der Geschmack überzeugt, sage ich mal. Und das ist, glaube ich, auch dann sehr nachhaltig. Und insofern bin ich der Auffassung, nicht nur wegen des Geschmacks, sondern wegen des ganzen Konzeptes und dem, was wir im Moment erleben, dass wir die Zukunft vor uns haben. Also ich glaube, dass die Entwicklung von Alnatura weiterhin sehr, sehr positiv sein wird und dass wir noch viele, viele neue Kunden erreichen werden. Wir wollen auch in den nächsten Monaten und auch in Zukunft deutlich mehr Alnatura Super Natur Märkte eröffnen, weil eben die Nachfrage, zumindest nach unseren Bioprodukten, sehr groß ist.

     

    Rainer Münch: Was ist Ihre Vision? Wo steht Alnatura 2050?

     

    Götz Rehn: Ja, das ist ein Unternehmen, was vermutlich dreimal so groß ist als heute oder zweieinhalb Mal so groß, das in Deutschland ein doch breites Netz an Alnatura Super Natur Märkten hat und das mit seinen Markenprodukten nicht nur wie jetzt schwerpunktmäßig Deutschland, Österreich und Schweiz, sondern auch in anderen europäischen Ländern, ich denke zum Beispiel an Frankreich, viel breiter vertreten ist.

     

    Rainer Münch: Ich habe Sie dann auch gebeten, sich auseinanderzusetzen mit den Fragen von Max Frisch. Und Sie haben sich ausgewählt die Frage: Halten Sie die Natur für einen Freund? Warum haben Sie sich für diese Frage entschieden und was ist Ihre Antwort darauf?

     

    Götz Rehn: Ja, es liegt nahe. Alnatura ist sinnvoll für Mensch und Erde oder Natur, und für mich ist deshalb die Wahl auf diesen Satz gefallen, weil ich beobachte, dass wir in unserer Gesellschaft die Natur leider nicht freundschaftlich behandeln, obwohl die Natur zu uns sehr freundschaftlich ist und es an für sich heute darum gehen müsste, nicht nur die Natur vor dem Menschen zu beschützen. Das ist die Aufgabe des Natur- und Umweltschutzes und Klimaschutzes. Also wir beschützen ja nicht die Natur, sondern wir beschützen die Natur vor uns selber. Es ist ja eine etwas schizophrene Situation. Sondern dass wir weiterkommen in der Form, dass wir sagen, wir sind freundlich zu der Natur. Er ist unser Freund, er ist unser allerbester Freund, ist auch existenziell unser Freund. Und dass wir aus dieser Freundschaft heraus versuchen, die Natur in ihrer Entwicklung zu fördern. Und das tut eben der Biolandbau, indem er Humus aufbaut, Artenvielfalt unterstützt, den Wasserhaushalt verbessert, CO₂ bindet. Und insofern hoffe ich, dass noch viele Menschen das unterstützen, damit die Freundschaft von der Natur erlebt werden kann.

     

    Rainer Münch: Haben Sie den Eindruck, dass wir als Gesellschaft da auf einem guten und auf dem richtigen Weg sind?

     

    Götz Rehn: Nein, wir sind nicht auf einem guten Weg und es wäre auch nicht nötig, auf dem Weg zu sein. Das ist ja diese Diskrepanz zwischen Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz und Naturschutz. Das ist ja in meinen Augen etwas, was wir überwinden können. Und das versuche ich ja mit Alnatura zu zeigen. Alles das, was ich ja angesprochen habe. Und das ist die Aufgabe in Zukunft. Und das ist sinnvolles Handeln, sich so zu verhalten, dass es der Natur besser geht und dass die Produkte und Dienstleistungen daraus hervorgehen, die uns Menschen tatsächlich dienen, ohne der Natur und oder sogar dem Menschen zu schaden.

     

    Rainer Münch: Gibt es Dinge, die Ihnen diesbezüglich Hoffnung machen, jenseits von Alnatura?

     

    Götz Rehn: Ja, ich finde, es gibt viele Initiativen der unterschiedlichsten Art, oft kleine, im Verborgenen. Wenn ich an die ganzen Biobauern denke und Bäuerinnen als Beispiel oder auch andere Handwerksbetriebe, die schon auch auf diesem Weg tätig sind. Also man ist da nicht allein, sonst könnte man es ja auch gar nicht tun. Und ganz besonders bin ich aber zuversichtlich, weil ich eben feststelle, dass immer mehr Menschen bei uns Kundinnen und Kunden werden. Und das zeigt ja, dass ein Sinn für, sagen wir mal, eine sinnvolle Lebensweise sich doch mehr und mehr durchsetzt. Also ich bin zutiefst optimistisch.

     

    Rainer Münch: Lieber Herr Rehn, diese Zuversicht ist ein sehr schöner Abschluss unseres Gesprächs. Es hat mich sehr gefreut, dass Sie Gast waren bei Purpose versus Profit und bis zum nächsten Mal.

     

    Götz Rehn: Ja, vielen Dank für Ihre Zeit und die interessanten Fragen und bis ein andermal.

    (Das Gespräch wurde aufgezeichnet am 30. April 2025)

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