Rainer Münch: Heute ist Kathrin Anselm zu Gast. Sie ist Geschäftsführerin bei Airbnb und verantwortlich für 25 Länder Mittel- und Osteuropas, von Deutschland bis Turkmenistan. 2022 leitete sie das Airbnb-Programm zur Bereitstellung vorübergehender Unterkünfte für mehr als 150.000 Flüchtlinge aus der Ukraine. Kathrin startete ihre Karriere bei Oliver Wyman und baute später die Dating-Plattform One2Like mit auf, bis diese vom Marktführer Parship übernommen wurde. Zu ihren weiteren beruflichen Meilensteinen zählen ProSiebenSat.1, Rocket Internet, Limango und der britische Lieferdienst Deliveroo. Kathrin gehört zu den Top 50 Woman in Tech des Handelsblatts und wurde vom Focus-Magazin zu den Top 100 Woman 2021 gewählt. Die Vogue hat sie kürzlich als Wegbereiter für eine neue Generation an weiblichen Führungskräften bezeichnet. Liebe Katrin, ich freue mich sehr, dass Du heute bei Purpose vs. Profit zu Gast bist.
Kathrin Anselm: Vielen Dank Rainer. Ich freue mich auch sehr.
Rainer Münch: Ich möchte direkt einsteigen mit dem letzten Punkt, nämlich mit der Vogue, die Dich ja als Wegbereiterin für eine neue Generation an weiblichen Führungskräften bezeichnet hat. Wie fühlt sich das für Dich an? Was macht das mit Dir?
Kathrin Anselm: Also, erst mal von der Vogue interviewt zu werden, ist natürlich schon mal ein Gefühl: Mic Drop, ich kann jetzt nach Hause gehen. Das ist aber eine sehr weibliche Sicht auf die Dinge. Das hat mich sehr stolz gemacht und es ist für mich sehr befriedigend, das auch als Headline zu lesen, weil ich genau das sein möchte. Ich möchte eine Wegbereiterin für Führungskräfte sein, aber insbesondere auch für weibliche Führungskräfte. Warum? Die Statistiken sprechen eine klare Sprache und sie werden nicht besser. Das wenigste Venture-Capital-Geld geht zu weiblichen Gründern. Der Anteil ist schon rückläufig. Wir werden in Deutschland langsam besser mit Frauen in Vorstandsteams, in Aufsichtsräten. Wir sind irgendwie bei 20 bis 25 % Frauenanteil bei den Top 200 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland. Das ist wahnsinnig langsam und zäh. Und wir hinken so dermaßen hinterher in Europa. Wir haben bis zu 35 oder 40 % in Aufsichtsräten. Da muss mehr gehen. Und es ist für mich wirklich ein Anliegen, diesen Wandel zu gestalten und voranzutreiben, weil ich genau weiß, wie es ist. Als ich bei Oliver Wyman angefangen habe, war Oliver Wyman noch Mercer Management Consulting, 1998, Frauenquote in Deutschland 5 %. Es gab genau eine Partnerin, eine Frau auf Partner Level. Und das ist eine Situation, die mich durch meine ersten Berufsjahre sehr eng begleitet hat und für mich in meiner Karriereentwicklung war es wirklich entscheidend, starke Männer aber vor allem auch starke Frauen zu haben, die mich gesehen haben, die mein Potenzial gesehen haben, die sich aktiv an mich gewandt haben und gesagt haben: ”Lass uns mal reden. Ich habe hier ein paar Ideen.” Eine starke Frau bei Mercer, später Oliver Wyman. Eine sehr starke Frau bei Kabel Deutschland, heute Vodafone. Und das waren für mich prägende Momente, die ich zurückgeben möchte. Und es ist zutiefst befriedigend zu sehen, dass ich an einem Punkt bin, schon lange eigentlich an einem Punkt bin, wo ich das tun kann, wo ich auch dafür gesehen werde, Plattformen nutzen kann, auf weibliche Führungskräfte, auf Gleichberechtigung, auf Pay Gaps, auch – ich stehe ja sehr stark zum Thema Quote. Ich halte eine Quote für sehr sinnvoll. Für mich ist eine Frauenquote wie ein OKR, den man sich setzt und daran arbeitet, diese Themen voranzutreiben. Und für mich ist heute ein ganz besonderer Tag. Sehr zufällig, wirklich nicht geplant, es hat sich zufällig ergeben, ist meine Nichte heute zu Besuch in Berlin. Ich habe selber keine Kinder. Sehr bewusste Entscheidung, aber ich bin begeisterte Tante und es gibt für mich fast nichts Schöneres als auch die Rückmeldung der GenZ zu sehen und der alten Gen Alphas, die mir sagen: “Kathrin, das ist wichtig. Das ist wichtig. Vorbilder sind wichtig.” Von daher: Ja, es macht mich sehr zufrieden.
Rainer Münch: Wenn Du die Frauenquote ansprichst, die eben noch Potenzial nach oben hat, dann ist ja der Großteil der Führungskräfte heute männlich. Welche Werte sollte eine männliche Führungskraft haben, um hier eben auch die Veränderung mitzugestalten in Richtung eines höheren Frauenanteils?
Kathrin Anselm: Mein Nordstern ist ja eine Welt, in der wir über Führungskräfte reden und nicht über weibliche und männliche Führungskräfte. Aber wir sind da noch nicht. Das ist noch eine Reise und daran müssen wir gemeinsam, Männer wie Frauen, arbeiten. Von männlichen Führungskräften, die in Schlüsselpositionen sitzen, wünsche ich mir, nein ich wünsche es mir nicht, ich fordere es ein: dass der Wert Gleichberechtigung – Gleichberechtigung im Zugang zu Chancen, zu Karrierepfaden, zu Gehältern –, tief in dem eigenen Denken und Entscheiden verankert wird. Und wenn wir das schaffen und wenn sich Menschen das als Wert auf ihr Notepad, auf einem Post it an ihren Laptop kleben und ihre täglichen Entscheidungen daran ausrichten, aber auch in ihrer Schlüsselfunktion als Manager, oder auch CEOs, Gründer, ihr Unternehmen danach ausrichten, so zu handeln, dann kommen wir ein ganzes Stück voran. Und auf so etwas freue ich mich und auf so etwas möchte ich wirklich hinarbeiten.
Rainer Münch: Wie würdest Du Deine persönliche Werteorientierung jenseits der Gleichberechtigung beschreiben? Was ist Dir wichtig?
Kathrin Anselm: Das ist eine wirklich schöne Frage. Ich glaube, nein, ich weiß der wichtigste Wert, der mich antreibt, ist Unabhängigkeit und Freiheit. Und sehr spezifisch auch die finanzielle Unabhängigkeit als Frau. Das ist der Glaubenssatz und der Wert, der mir denke ich am stärksten von meinen Eltern vermittelt wurde. Auch wenn ich eher in einem traditionellen Rollenmodell aufgewachsen bin: meine Mutter zuhause, die hat das Haus gemanaged und das gesamte Leben. Mein Vater war beruflich viel im Außendienst unterwegs. Unabhängigkeit, so aufgestellt zu sein, dass man seine Entscheidung unbeeinflusst und frei treffen kann, ist der größte und wichtigste Wert. Und den lebe ich auch so, dass wenn ich so darüber nachdenke, was bei mir so in meinem Werte-Stackrank steht, würde ich sagen, er steht da auf Nummer eins.
Rainer Münch: Ich kann den Wert sehr gut auf Dich beziehen, auf Dich selbst beziehen. Wie äußert sich der Wert in Deinem Umgang mit Mitarbeitenden in Deiner Rolle als Führungskraft?
Kathrin Anselm: Ja, das strahlt ganz schön ab. Ich denke, situationsgegeben kommuniziere ich diesen Wert oder lebe ich diesen Wert noch spürbarer für Frauen, weil es einfach immer noch ein Ungleichgewicht gibt. Insbesondere wenn man über finanzielle Unabhängigkeit nachdenkt. Unabhängigkeit so als Wert übertragen auf meinen Führungsstil heißt für mich: Empowerment. Ich möchte, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit allem ausgerüstet sind, was sie brauchen, um einen exzellenten Job zu machen. Wie wir bei Airbnb sagen würden: “Just being the best version of themselves.” Dazu gehört, dass ich sie ausstatte, dass ich ihnen Dinge erkläre, dass ich ihnen die Verbindungen aufbaue, die Connection im Unternehmen mache, die Zugänge schaffe zu Wissen und ihnen die Flügel verleihe, damit sie fliegen können und damit sie den besten Job ihrer Zeit machen können. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen, dass ich sehr, sehr viel verlange, ich verlange auch sehr viel von mir selbst. Das kann ich aber nur, wenn ich ihnen das Rüstzeug gebe, dann loszufliegen und unabhängig zu sein. Und das zweite: Ich denke, da ist eine zweite Nuance drin in dem Thema Unabhängigkeit, auch Unabhängigkeit im Sinne von Freiheit in den Entscheidungen. Ich arbeite heute für Airbnb. Wir sind ein börsennotiertes Unternehmen, wie mein Kollege immer sagt: “Im Herzen ein Startup und als Organisation a beautiful work in progress.” Ich finde, das trifft es sehr schön. Wir müssen als Führungskräfte eine Umgebung schaffen, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich wohlfühlen, unabhängig Entscheidungen zu treffen, Entscheidungen fundiert, aber auch schnell zu treffen. Und sie zu treffen mit dem Wissen, es kann auch eine falsche Entscheidung sein im Sinne von: das Ergebnis, das gewünscht ist, stellt sich nicht ein oder anstelle einer Lösung kommt ein neues Problem auf den Tisch, um dann zurückzukommen und zu sagen: Ich muss es noch mal versuchen.
Rainer Münch: Fällt Dir eine Situation ein, wo Dir das mal sehr schwer gefallen ist, diese Unabhängigkeit auch zuzulassen und zu fördern?
Kathrin Anselm: Unabhängigkeit zuzulassen, Freiheit zuzulassen und Freiheit und Unabhängigkeit zu geben, hat sehr viel, hat essenziell mit Vertrauen zu tun. Das heißt der Mensch, dem ich diese Möglichkeiten gebe, der Kollegin, dem Kollegen, der Mitarbeiterin, dem Mitarbeiter, damit kommt auch eine Verantwortung, Vertrauen aufzubauen und das sozusagen als Geschenk in Empfang zu nehmen und dafür zu sorgen, dass ich mich damit auch wohlfühle und loslassen kann. Ich habe Situationen über meine letzten 25 Jahre arbeiten, wo ich merke, wenn bestimmte sozusagen Vertrauenshürden oder Check-Ins nicht in bestimmten Zeitpunkten genommen werden, dann fange ich an, nervös zu werden und misstrauisch zu werden und dann muss ich die Freiheiten zurückrollen. Und das fühlt sich total doof an. Das ist nicht, wie ich arbeiten will und ich nehme das dann auch ganz oft sozusagen auf meine Schultern, denke mir: Okay, hätte ich im Setup dieser Rolle etwas anders machen können? Habe ich da einen Fehler gemacht? Habe ich da etwas übersehen? Aber ja. Also das kann schon mal vorkommen.
Rainer Münch: Ich hatte Dich ja gebeten, einen Wertegegenstand mitzubringen. Was hast Du denn da mitgebracht?
Kathrin Anselm: Ich habe zwei dabei, ehrlich gesagt, weil der eine für mich beruflich einen sehr hohen Stellenwert im Sinne eines Wertes hat und einen privaten. Ich fange mal mit dem Privaten an, weil das ganz schön zu dem passt, was wir auch über finanzielle Unabhängigkeit besprochen haben. Und zwar trage ich seit Anfang meiner 30er eine Uhr von Cartier. Das ist die Tank Francaise, das Medium Modell. Das ist sehr ikonisch und das kennen auch sehr viele Leute und können sich wahrscheinlich auch vorstellen, wie sehr man sich darüber freuen kann. Und das war und ist für mich verbunden mit dem Wert Unabhängigkeit, auf eigenen Füßen stehen, weil es die erste große in Anführungszeichen Luxusausgabe war, die ich für mich selbst getätigt habe, von dem ersten Bonus, den ich nicht wie ein Eichhörnchen in meine Altersvorsorge geschoben habe. Ich bin in einem Zuhause aufgewachsen mit Glaubenssätzen, die lauten: hart arbeiten, Geld verdienen, Geld sparen, für‘s Alter vorsorgen. Hart arbeiten bedeutet Erfolg und man leiht kein Geld, sondern man ist wirklich versucht, finanziell unabhängig zu sein. Kredite aufnehmen waren nicht so das Ding bei meinen Eltern oder in meiner Familie und von daher ist das sozusagen noch an den Moment zu kommen, wo ich mich selber wohlgefühlt habe. Wo ich sage, okay, da habe ich mich auch noch mal mehr gelöst und bin ich selbst geworden, ein paar Jahre lang alles in die Altersvorsorge geschoben und jetzt ist der Moment, wo ich mir etwas leiste, was mir sehr viel bedeutet. Und diese Uhr trage ich konsequent. Ich bin jetzt Anfang 50, seit offenkundig sehr, sehr langer Zeit, 18 Jahre trage ich die eigentlich täglich und die begleitet mich sehr. So, das ist der private Wert.
Rainer Münch: Vielleicht ganz kurz, da nicht alle mit dieser Uhr und dem Modell vertraut sind. Es eine silberne Uhr, Edelstahlarmband mit einem rechteckigen Ziffernblatt mit römischen Ziffern.
Kathrin Anselm: Genau. Ja. Und der zweite Wertegegenstand, er liegt auch hier vor mir auf dem Tisch, normalerweise habe ich den an meiner Hose, ist mein Access Badge für alle Airbnb-Büros weltweit. Den habe ich seit etwas mehr als fünf Jahren. Der erinnert mich jeden Tag daran – gar nicht mal so sehr, dass ich für Airbnb arbeite –, sondern der hat einen viel größeren Stellenwert. Er erinnert mich daran, dass es möglich ist, jedem Unternehmenslenker, jeder Führungskraft, jedem Menschen im beruflichen Umfeld, die Möglichkeiten zu nutzen, werteorientiertes Management, werteorientierte Unternehmen zu bauen, auszubauen, den eigenen Führungsstil daran auszurichten. Ich arbeite seit 25 Jahren. Airbnb ist sicherlich das Unternehmen, das am stärksten und am konsequentesten wertegetrieben arbeitet. Unser Kernwert ist: „Be a Host, Always.” Da steckt sehr viel drin. Respekt, Empathie, Rücksichtnahme, Verantwortung übernehmen und noch viel mehr das Thema: Was kann ich in einem kompromisslos profitorientierten Unternehmen, an der Börse notiert, was kann ich gleichzeitig in dieser sehr klaren Performance-Orientierung tun, um dieses Unternehmen, die Plattform, die ich geschaffen habe, für soziale Belange, für Impact ohne Profit einzusetzen? Du hast es am Anfang schon angesprochen. Dieser Badge erinnert mich auch jeden Tag daran, nicht nur dass das geht, sondern erinnert mich auch jeden Tag daran, dass es mich sehr glücklich gemacht hat, dass ich über ein halbes Jahr bei Airbnb Geschäft Geschäft sein lassen konnte und mit in Spitze 300 Kolleginnen und Kollegen weltweit bei Airbnb und unserer Schwesterorganisation Airbnb.org, das ist eine NGO, eine eigenständige, die neben uns steht, an dem Projekt arbeiten konnte, über 150.000 Menschen ein temporäres Zuhause zu geben, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Und das ist unbeschreiblich. Das Gefühl ist unbeschreiblich, wie man seine Arbeit, die Plattform, die Technik nutzen kann, um was Gutes zu tun. Und ich kann mich erinnern, als Russland den Krieg gegen Ukraine begonnen hat, Ende Februar 2022. Und wir saßen hier, hier in Berlin, 500 Kilometer von der Grenze entfernt. Wir haben die Menschen in den Bahnhof strömen sehen und jeder hat sich gefragt: Was können wir tun? Und ich bin jeden Tag zur Arbeit gegangen oder saß vor meinem Rechner und ich konnte was tun. Unbezahlbar. Und daran erinnert mich dieser Badge.
Rainer Münch: Und auch da wieder, sozusagen für die Hörer, es ist eine Karte.
Kathrin Anselm: Eigentlich ein Anhänger, um es genau zu beschreiben. Ein Anhänger mit einem Clip, den kann man an die Hose machen und da hängen zwei Magnetzugangskarten dran in einer Plastikhülle. Eine ist spezifisch für das Bürogebäude in Berlin, wo das Headquarter von Airbnb für Zentral- und Osteuropa sitzt. Und der zweite Badge ist ein Badge, der ist hinten drauf rot und dort steht “Be A Host”. Das ist der Kern-Value, der Wert von Airbnb. Und auf der Vorderseite ist ein Bild, das vor fünf Jahren von mir sehr, sehr begeistert in San Francisco während meines Onboardings in meiner ersten Woche bei Airbnb aufgenommen wurde. Im ikonischen Headquarter von Airbnb, 888 Brandon Street, das immer wieder in Design-Zeitschriften beschrieben wird. Es ist wirklich ein tolles Büro. Da steht “Hi, I’m Kathrin”, jeder weiß meinen Namen und kann mich sofort bei Airbnb ansprechen. Und auf der Rückseite ist “Be a Host, Always.”
Rainer Münch: Bist Du denn selber gerne und oft ein Host?
Kathrin Anselm: Heute nicht, zumindest nicht auf der Airbnb-Plattform, weil ich als Mieter einer Wohnung in Berlin als Teil meiner Registrierungspflicht die Genehmigung einholen muss und mein aktueller Vermieter möchte diese Zustimmung nicht geben. Das ist okay. Ich respektiere das und das ist auch völlig legitim. In der vorhergehenden Mietwohnung war ich ein Host. Wir haben unser Gästezimmer auf Airbnb gelistet, meine Registrierungsnummer beim Bezirksamt Mitte eingeholt, die Zustimmung meines Vermieters abgegeben. Die Auflagen sind da. Man muss relativ viel mit Papier machen, aber dann geht‘s schnell. Ich bin momentan nur vor allem “Be A Host” für meine Freunde und Freundinnen zu Hause und meine Familie. Ich habe das große Glück, dass meine Familie vom Bodensee immer sehr gerne oder vielmehr meine Schwester und meine Nichten vom Bodensee sehr gerne nach Berlin kommen. Und dann wird die Wohnung zu einem großen Schlaflager. Das ist super. Ich bedauere es ein bisschen, dass ich momentan nicht hosten kann auf Airbnb. Nicht nur, weil ich die Erfahrung sehr gerne mag und die Gäste wirklich hinreißend sind. Sondern noch viel mehr, ich bin zutiefst davon überzeugt, dass man als Manager konsequent sein eigenes Produkt testen sollte. Der beste Weg, um die breiten Funktionalitäten und Möglichkeiten als Gastgeber auf Airbnb zu verstehen, ist einen eigenen Account zu haben und es zu testen und aussagefähig zu sein. Und das gilt genauso für das Nutzen der Plattform als Gast. Das mache ich viel mehr. Ich bin seit fünf Jahren bei Airbnb und ich hatte in fünf Jahren jetzt meinen 50. Check-In. Ich teste: “I’m a host, not now. Ich bin aber ein guest all the time.“
Rainer Münch: Aber der häufige Besuch Deiner Schwester spricht ja dafür, dass Du ein sehr guter Host bist, offensichtlich.
Kathrin Anselm: Ja, ich glaube. Ja, ich hoffe.
Rainer Münch: Es ist ein Wohlfühlklima bei Dir zu Hause. Du hast die Thematik mit der Vermieterfreigabe mit der Registrierung angesprochen in Berlin. Da schwebt jetzt auch so eine große moralische Frage im Raum, mit der Airbnb häufig konfrontiert wird, nämlich dass das Geschäftsmodell dazu führt, dass der Wohnraum knapper wird und dass die Mieten steigen. Wie stehst Du dazu?
Kathrin Anselm: Also erst mal bin ich froh, dass wir darüber sprechen können. Ich manage seit geraumer Zeit disruptive Geschäftsmodelle. Ich sage mal data set of 3. Es gibt jetzt noch keine weltumspannende, klare Beweisführung. Aber deutsche Verbraucher tun sich tendenziell etwas schwerer im Annehmen und für sich nutzbar machen von neuen, disruptiven digitalen Geschäftsmodellen. Ich habe direkte Vergleiche immer mit meinen Kollegen in Europa. Das habe ich bei den Geschäften, die ich vorher gemanaged habe, auch gesehen. Die Deutschen sind immer sehr zurückhaltend. Und das führt dazu, dass disruptive Geschäftsmodelle sehr, sehr oft medial durch Meinungsmache erst mal besprochen und diskutiert werden und dass man die Fakten gerne mal vernachlässigt. Und deswegen bin ich froh, dass Fragen kommen. Was genau steckt denn dahinter? Weil ich da eine Möglichkeit habe, über Fakten zu argumentieren und auch darzulegen, wo jeder inklusive uns eine Verantwortung übernehmen muss. Und um da an dem Punkt genau mal einzusteigen: Als allererstes muss man wirklich anerkennen, dass Wohnraumknappheit ein Problem ist, dass aus verschiedenen Faktoren bedingt wird. Das ist ein komplexes Problem, das zu knacken ist. Nicht eine Sache von „eine Lösung mal umsetzen und das war's dann“. Wir haben allein in Deutschland, wenn ich die letzten Zahlen richtig im Kopf habe, einen Wohnraumleerstand von fast 2 Millionen Wohnungen. Das sind die Zensuszahlen glaube ich von 2022. Der Leerstand ist tendenziell in Ostdeutschland und auch im ländlichen Gebiet, aber er ist auch in den Städten. Die Bundesregierung hat Zahlen aufgelegt, die Länder haben sich auch dazu committed, was den Neubau von Wohnungen angeht, um Wohnraumknappheit entgegenzutreten. Wir hinken massivst hinterher im Umsetzen dieser Neubauziele oder auch im Umwidmen von Immobilien, von Gewerbeimmobilien, Büroimmobilien zu Wohnungen. Ich weiß, das ist viel leichter gesagt als getan, aber auch da ergeben sich Möglichkeiten. Aber insgesamt hinken wir in der Umsetzung dieser Pläne hinterher. Wir haben Binnenmigration, wir haben temporäre, grenzüberschreitende Migration nach Deutschland und wir haben veränderte Lebensstile, die alle als Faktoren auf den Wohnungsmarkt und die Wohnraumknappheit einwirken. Das stimmt, Airbnb wird häufig von den Medien als der Schlüssel zur Lösung der Wohnraumknappheit kolportiert. Die Daten sprechen aber eine ganz andere Lage und das ist wichtig, dass man die auch kennt. Das Fraunhofer Institut hat jetzt vor einigen Wochen eine deutschlandweite Studie aufgelegt, um sich dem Thema Wohnraumknappheit und der Rolle von Kurzzeitvermietungsplattformen wie Airbnb zu widmen. Das Fraunhofer Institut hat ausgewertet, dass fast 80 % der Nutzer von Airbnb, die als Gastgeberin/Gastgeber auf Airbnb anbieten, so genannte Home Sharer sind, die ihre Wohnung für nicht mehr als 90 Tage im Jahr vermieten. Das erschließt schon da, dass das Wohnungen sind, in denen diese Menschen selbst leben. Das heißt damit wird kein Wohnraum entzogen. Das kann es also nicht sein. Die verbleibenden knapp 20 % sind gewerbliche Ferienimmobilien, die deutlich mehr verdienen und die alle den Regularien für Wohnraumschutz entsprechen. Es gibt keine Unterkunft auf Airbnb, und ich nehme mal das Beispiel vor allem in Berlin, das nicht den Regularien für Wohnraumschutz der Stadt Berlin entspricht. Wir haben vor einiger Zeit konsequent noch mal die letzten Reste aufgeräumt. Safe. Der gute Teil sind Home Sharer. Die Anzahl der Unterkünfte, die auf Airbnb gelistet werden, sind unter oder bei 0,3 % des Wohnungsbestandes deutschlandweit. Das gilt auch für Berlin, diese Zahlen. Das heißt der Effekt ist wirklich vernachlässigbar. Das sind die Zahlen erst mal. Nichtsdestotrotz: Wohnraumschutz ist immens wichtig und Wohnraumzweckentfremdung darf niemals an einen Punkt kommen, wo Leuten wirklich Wohnraum weggenommen wird. Und an der Stelle, das war für mich zum Beispiel, auch noch mal ganz persönlich eingeschoben, das war für mich wirklich eine wichtige Entscheidung, als ich vor fünf Jahren, mehr als fünf Jahren von einem Headhunter angesprochen wurde, ob ich mir vorstellen kann, für diese Rolle zu interviewen. Ich war einerseits total begeistert. Ich war Nutzer von Airbnb der ersten Stunde. Ich fand das super. Ich kann mit diesem Geschäft, mit der Art wie Gastgeber und Gäste interagieren, wahnsinnig viel anfangen. Es war schon immer irgendwie mein Ding. Gleichzeitig war ich zurückhaltend. Ich weiß, ich habe damals gesagt, ich kann das nur machen, wenn das nicht so, also ich möchte nicht ein Geschäftsmodell führen, das darauf basiert, wie das andere disruptive Geschäftsmodelle auch zeitweise gemacht haben, darauf basiert, dass rechtliche Möglichkeiten sehr stark ausgereizt werden und da man eigentlich nicht das Richtige tut. Das Richtige ist für mich von Anfang an und ich bin froh, dass da sozusagen das Wertesystem von Airbnb und meines gut überlappen. Ich bin im Herzen Unternehmer. Ich bin für wirtschaftliche Freiheiten und für Unternehmertum. Und Gastgeber auf Airbnb ist wie Unternehmen. Es ist 55 % Frauen. Für ganz viele Frauen ist es das erste unternehmerische Unterfangen. Gleichzeitig muss ich meiner Verantwortung als Unternehmer oder als Führungskraft dieses Unternehmens gerecht werden, Regulierung einzuhalten, Wohnraum – in unserem Fall Wohnraum – zu schützen. Wir stehen auf und versuchen ein Teil der Lösung zu sein, wo wir unseren Impact sehen. Es muss verhältnismäßig sein und Möglichkeiten bieten, dass Menschen untervermieten können, 90 Tage zum Beispiel im Jahr, weil sie sich damit, und das wissen wir aus Umfragen, einen guten Teil auch ihrer Lebenshaltungskosten finanzieren, ihre eigenen Reisen finanzieren. Und gleichzeitig brauchen wir eine Regulierung, die dafür sorgt, dass mit Wohnraum nicht spekuliert wird, nicht auf unserer Plattform und idealerweise auch auf keiner anderen Kurzzeitvermietungsplattform. Was viele Menschen nicht wissen, und da bin ich wirklich stolz drauf, weil das zeigt, dass wir uns jeden Tag, und das ist anstrengend, jeden Tag in die Auseinandersetzung zu gehen, Performance, Profit, wachsen, groß werden und gesellschaftliche Verantwortung. Und die haben wir. Dieses Spannungsfeld sich immer wieder vor Augen zu führen. Was kann ich da machen? Wie bringe ich das übereinander? In den Top 200 Märkten, in denen Airbnb aktiv ist, haben wir seit Jahren, also in 80 % dieser Märkte haben wir seit Jahren schon irgendeine Form von Wohnraumregulierung und wir halten uns da auch daran. Und von daher sage ich, als Fazit bezogen auf Airbnb und die Faktenlage: Meinungsmache mal ein bisschen runterfahren und Faktenmache mal ein bisschen hochfahren und dann sich ein klares Bild verschaffen. Und sich auch eingestehen, dass Wohnraumknappheit, dass die großen Hebel ganz woanders sitzen. Aber auch als Unternehmensvertreter zu sagen: Okay, ich kann mich auch nicht verstecken, ich muss meinen Teil, und selbst wenn ich nur ein kleiner Hebel bin, dazu beitragen, dass ich nicht Teil des Problems bin, sondern Teil der Lösung. Und das mache ich als eine Kernaufgabe meines täglichen Schaffens. Und es treibt uns wirklich an, auch wenn es manchmal ganz schön anstrengend ist.
Rainer Münch: Ich kann mich an der Stelle ja auch als Airbnb-Fan outen. Also ich glaube, sicherlich gibt es da kritische Stimmen und es gibt immer auch Einzelfälle, an denen man diese Kritik auch gut aufziehen kann, weil sie so eklatant sind. Aber ich finde in der Tat auch, dass man nicht vergessen darf, was Airbnb auch leistet, und geleistet hat für die Völkerverständigung. Ich finde, das Reisen ist häufig eine andere Erfahrung. Du bist bei jemand zu Gast. Ich finde es immer wieder toll, wie viel Mühe sich manche der Gastgeber auch geben, das persönlich zu gestalten, Empfehlungen zu geben, lokale Tipps. Ich habe schon diverse Marmeladen und Honige Zuhause. Das ist irgendwie das Lieblingsgastgeschenk, was dann bereitgestellt wird und ich nehme es dann jedes Mal mit. Von daher glaube ich, dass da auch viel passiert. Ich hatte Dich noch gebeten, Dich mit Max Frisch ein bisschen zu beschäftigen und mit seinem Fragebogen. Ich finde, das sind ja ganz viele tolle Fragen dabei, die auch zum Nachdenken anregen und die eine ganz tolle Tiefe haben, wenn man die Fragen kurz wirken lässt. Du hattest mir ein paar zurückgespielt, da habe ich aus Deiner Vorauswahl wiederum eine ausgewählt. Und zwar: Halten Sie sich für einen guten Freund? Und da möchte ich Dich fragen, warum Du Dich für diese Frage entschieden hast und was Deine Antwort darauf ist.
Kathrin Anselm: Ja, das ist so schön. Und Anekdote, Rainer, wir haben gestern Abend, meine Schwester, meine Nichte und ich, am Küchentresen geschnippelt, gekocht und ich habe gesagt: Morgen sehen wir uns, Du und ich, um diese Podcast-Aufnahme zu machen, und dass wir über den Max Frisch Fragebogen einmal gesprochen haben. Ich glaube meine Nichte kennt die Historie nicht. Wir, Du und ich, oder ich vor allem, ich bin ja noch bisschen älter als Du, ich kenne ihn natürlich immer noch als Beileger im ZEITmagazin oder im FAZ-Magazin. Wir haben über die drei Fragen gesprochen und das war für mich wirklich total spannend zu sehen, wie eine 16-jährige und eine 50-jährige irgendwie so ziemlich nah beieinander sind in der Sicht der Welt. So. Warum halten Sie sich für einen guten Freund? Ich habe die Frage gewählt, weil ich in den letzten drei Jahren durch zwei sehr traumatische Erfahrungen gegangen bin in meinem Leben und in meinem Privatleben. Und Airbnb hat mich wirklich getragen in der Zeit. Das muss ich wirklich sagen. Aber das war für mich noch mal eine Zeit, in der ich noch mal ganz anders über das Thema Freundschaften nachgedacht habe und wie wichtig Freundschaften in meinem Leben sind, um schwierige Phasen – und diese zwei konkreten – mit klarem Blick und – ich möchte es mal Würde nennen – Würde und einem Gefühl, dass ich stabil in dieser Welt bin, durchzustehen. Es war für mich ganz wichtig und noch mal, so banal das klingt, ich habe Freundschaften und das Konzept von Freundschaften neu entdeckt. Ich habe einen deutlich besseren Blick darauf bekommen, noch mal einen ehrlichen Blick auch, dass ich eigentlich wählerisch bin mit dem Begriff Freund und Freundin. Also da muss man sich sozusagen hin entwickeln und ansonsten sind es sehr gute Bekannte oder liebe Bekannte oder Geschäftsbekannte – aber keine Freunde. Und in dem, weil mir meine Freundinnen und Freunde so geholfen haben und so ein Support-System waren, habe ich mich selber gefragt: Bin ich denn ein guter Freund? Deswegen habe ich die Frage gewählt, weil ich mich damit wirklich jetzt die letzten Jahre auseinandergesetzt habe. Und die Antwort ist gar nicht so einfach. Also die ehrliche Antwort lautet: nicht immer. Aber es wird schrittweise besser. Und was ich damit meine, ist für mich noch mal eine Reise auch als Führungskraft. Also ich würde mal sagen, für mich war dieser Start als Analyst bei Oliver Wyman, das war natürlich, ich kam 98 von der Uni, also man wurde Investmentbanker, ist Product Manager bei L'Oreal geworden oder man ist zu einer Top-Beratung gegangen und man war sozusagen im Olymp der deutschen Uniabsolventen. Das waren damals die Traumkarrieren. Also ich bin für dieses Verwurzelung total dankbar. Das ist ja auch ein Erbe und auch in gewisser Weise eine Belastung und eine Herausforderung. Ich komme aus einer Familie und aus einem Elternhaus, wir waren finanziell okay, aber das war nicht irre viel, also wir waren nicht reich, definitiv nicht. Und harte Arbeit, Karriere machen, Geld verdienen, Geld sparen, das hatte ich ja schon gesagt, das war wichtig.
Rainer Münch: Da war zumindest was auf dem Sparbuch, offensichtlich.
Kathrin Anselm: Ja. Ich bin in dem Unternehmensberater Job wirklich total aufgegangen. Ich habe keine gute Work Life Balance gehabt, weil ich alles für die Arbeit gegeben habe. Und ich habe darüber jahrelang Freundschaften vernachlässigt. Das muss ich wirklich so rückblickend zugeben. Und ich habe das große Glück, dass Menschen aus dieser Zeit, auch alte Schulfreunde, die ich wirklich vernachlässigt habe, wo ich gemerkt habe, die suchen den Kontakt zu mir und ich will dem die Zeit nicht einräumen, weil ich meinte, mein berufliches Leben hat höhere Priorität, dass die am Ball geblieben sind und dass die einfach und das die heute auf einmal, dass die mir heute das nicht nachtragen, dass ich den Raum jetzt, wo ich den Raum irgendwie die letzten Jahre viel mehr öffnen konnte, dass die immer noch am Start sind, die ziehen mich hin und wieder damit auf, dass es schön wäre, wenn ich nicht wieder in so einer Versenkung verschwinde. So, das ist das, was ich meine. Es wird immer besser. In den Phasen, wo ich mich für einen guten Freund halte oder eine gute Freundin vielmehr, dann sage ich das, weil ich mit ein paar Eigenschaften wirklich zufrieden bin und stolz bin, dass ich die habe, dass ich was geben kann und dass ich Zeit dafür habe. Freundinnen und Freunde sagen mir, ich kann gut zuhören, dass ich ziemlich hoch punkte beim Thema Empathie, dass ich mich oft in Situationen selbst einfühlen kann und dass ich mir die Zeit nehme. Und dass ich aber auch besser geworden bin darin zurückzuspielen, wenn ich selber Grenzen ziehen muss, wenn ich manchmal nicht kann oder manchmal mein Reservoir an Rat geben erschöpft ist. Und das ist für mich auch eine Evolution gewesen, auch als Freund oder als Freundin vielmehr Grenzen zu ziehen und zu sagen: Ich kann Dir bis hierhin eine gute Freundin sein. Da fängt ein Bereich an, wo ich glaube ich nicht so irre stark bin, aber ich bin für Dich da, bei der Suche nach jemanden, der vielleicht bestimmte andere Bereiche abdecken kann, temporär, wenn es mal auch um ein Trauma in einem Leben einer Freundin oder eines Freundes gerade geht. Und es ist schön. Es ist total toll, wenn Menschen sagen, wirklich aus tiefem Herzen: “Du bist eine gute Freundin”. Also das wird nicht von viel getoppt.
Rainer Münch: Was mir da gut gefällt bei der Frage, bei den Fragen allgemein, ist ja dieser Blick in den Spiegel, und ich glaube, das ist auch etwas, was in der heutigen Zeit zu kurz kommt. An ganz vielen Stellen dieses eben nicht auf die anderen zu schauen und sozusagen was da alles verbessert werden könnte, sondern auf sich zu schauen und dann eben zu reflektieren, wo kann ich bei mir ansetzen, auch in der Freundschaft. Und wie Du sagst, dann ist das auch eine ganz tolle Bestätigung, wenn ein positives Feedback kommt. Und wenn man dann eben als guter Freund oder gute Freundin eben auch da sein kann und etwas leisten kann.
Kathrin Anselm: Sehe ich auch so.
Rainer Münch: Zum Abschluss möchte ich Dich noch fragen im Sinne unseres Podcast-Titels Purpose vs. Profit: Gab es denn schon mal eine Situation in Deinem Berufsleben, wo Du Dich für den Profit und gegen den Purpose entscheiden musstest?
Kathrin Anselm: Das ist eine ganz schön harte Nuss. Aber spontan kommt mir eine Situation in den Kopf. Ich habe vor Jahren mit einem unfassbar inspirierenden Gründer zusammengearbeitet als seine Co-Geschäftsführerin in einem Geschäftsmodell, das nennt sich Creative Crowd Sourcing oder Creative Collaboration. Sein Business wurde aus der UdK heraus, also der Universität der Künste heraus gegründet. Und ich denke, eigentlich kann man sagen, dass diese Plattform eine der Vorreiter dieses Geschäftsmodells in Deutschland war. Worum geht es da? Das sind Plattformen, auf denen Unternehmen Kreativwettbewerbe oder Kreativaufträge ausschreiben können, aber mit dem spezifischen Zuschnitt: Ich möchte den kreativen Ideenprozess, die Ideation, öffnen. Ich möchte einen großen Pool an Talent, sehr diversem Talent haben, Grenzen überschreitend, Kultur überschreitend, auch interdisziplinär, die an meiner Aufgabenstellung arbeiten und den Ideation-Prozess deutlich größer und vielfältiger machen als das, was ich als Closed Shop oder Blackbox-Prozess von einer Agentur bekommen würde. Das sind oftmals Consumer Brands, die so was nutzen für sich. Schönes Beispiel war: Wir haben mit Coca-Cola gearbeitet und die wollten, dass ihre Getränkekiste ein Element wird – da ist ja oft kein Raum dafür, das zu stapeln –, und die haben sich überlegt, wenn sie das in irgendeiner Form zu einem Designelement machen, was man sich gerne in die Küche oder in den Flur stellt, und vielleicht dem Ganzen noch mal ein zweites Leben gibt oder einen Wiederverwendungszweck oder ein zweites Einsatzfeld, dass das noch mal für sie das Geschäft verbreitern würde mit Pfandflaschen und Getränken in Kisten und Pfandflaschen. So, das ist ein Beispiel für so ein Projekt, das auf so einer Plattform ausgeschrieben wurde. Das sind Geschäfte, die sind schwer profitabel zu führen und gleichzeitig sind es Plattformen, die stark auf der Impact-Seite sind, weil sie sehr vielen Menschen Zugang zu Projekten mit starken Marken bieten, die sie so in ihrem Freelancer-Dasein, oftmals sind Leute Einzel-Gewerke, die bewusst so arbeiten wollen, nicht Teil der Agentur sind, sondern starke Marken ihre eigene Mappe und ihr eigenes Portfolio geben. Und in unserem Fall war das so, das ist eine Plattform, wo wir sehr stark Wert daraufgelegt haben, dass die Vergütung der individuellen, kreativen Disziplin auch sehr fair ist, dass sehr viel Geld, Preisgelder deutlich breiter verteilt werden, dass es eine Grundvergütung gibt für den Einsatz. Wir hatten ein Geschäft in Berlin und in New York. Und es ist ein klassischer, würde man heute sagen wahrscheinlich, ein klassischer Restrukturierungsmoment, wo das Überleben der Firma daran gekoppelt war, dass wir den kreativsten Arm, der in dem Geschäft in den USA auch saß, und natürlich auch die Community der Kreativen auch befeuert hat, in Deutschland oder auch weltweit, die sich auf der Plattform angemeldet haben. Wir mussten das Geschäft zu machen. Und da war wirklich die Frage: Wie entscheide ich? Ich habe Business Angels und kleine Venture-Capital-Firmen, die natürlich auf ihr 5x-, 10x-Ergebnis hoffen. Ich habe ein Businessmodell, das sehr stark schon sozusagen an der Förderungsseite auch unterwegs ist und wirklich Wert darauflegt, kreative Vielfalt auch zu fördern und dieses Ökosystem in gewisser Weise mitzufinanzieren. Schneide ich im Geschäft in Deutschland was ab, um das amerikanische Geschäft aufrecht zu erhalten? Fahre ich das amerikanische Geschäft komplett runter und nehme sehr vielen Menschen den Zugang zu dieser kreativen Community? Ich müsste mehr in die Details gehen, damit man die Gewissenslage versteht und wirklich nachfühlen kann. Aber das war für mich der Moment, also eine schwierige Entscheidung. Wir geben den amerikanischen Teil auf und stabilisieren das deutsche Geschäft, um hier diesen Profit und Impact-Aspekt aufrecht zu erhalten. Selbst das, also das ist im Kern schon eher, könnte man auch sagen, naja, das ist schon eine klassische Geschäftsentscheidung. Selbst die war im Kern schon so irre schwierig. Wenn man eine Plattform managed, das ist ähnlich bei Airbnb, auch wenn Airbnb über 5 Millionen Gastgeberinnen und Gastgeber hat, 8 Millionen Unterkünfte und die Community dieses Startups viel kleiner war. Man hat immer einen persönlichen Bezug zu diesen Menschen, durch Community Meetups, durch Menschen, die sich in der Community hervortun als Group Leaders. Das ist schwer in dem Moment, wo es menschlich wird und man die Verbindung aufgebaut hat und man sieht, wie diese Menschen sich entwickeln durch dieses Geschäft und auch Spaß daran haben. Das tat ganz schön weh.
Rainer Münch: Da bin ich froh, dass Du für Dich hier in Berlin eine Balance gefunden hast bei Airbnb, zwischen Purpose und Profit, und darf Dir damit auch herzlich danken für das schöne Gespräch, für die Offenheit, für die Ehrlichkeit. Hat mir viel Freude bereitet. Vielen Dank, dass Du da warst, Kathrin.
Kathrin Anselm: Vielen Dank, Rainer. Es hat mir wirklich Spaß gemacht.